25. November 2009

Das zukünftige Miteinander in der siebenbürgischen Gemeinschaft

Eine erste gemeinsame Tagung veranstalteten der „Evangelische Freundeskreis Siebenbürgen“ und das „Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen im Diakonischen Werk der EKD“ vom 23.- 25. Oktober 2009 in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen, wobei Studienleiter am Heiligenhof, Gustav Binder die Referenten eingeladen und die Programmbereiche zugeordnet hatte. Die Tagung zum Thema „Kirchen und Gesellschaft in Ostmitteleuropa – insbesondere in Rumänien – von 1989 bis 2009“ bot vielfältige Anregungen für das zukünftige Miteinander in der siebenbürgischen Gemeinschaft.
Zur Eröffnung der Tagung wurden Grußworte von Bischof D. Dr. Christoph Klein und der ehemaligen Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Susanne Kastner, verlesen. Bischof Klein verwies auf „ein Stück Arbeit an der Vergangenheitsbewältigung unserer Gemeinschaft und Kirche, die wohl auch dazu angetan ist, die gegenwärtigen und zukünftigen Ziele besser in den Blick zu nehmen... und den Glauben an die schützende Hand Gottes über den Siebenbürger Sachsen festzuhalten“. Wichtig für Susanne Kastner ist „die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der zuversichtliche Blick in die Zukunft“.

Der Vorsitzende des Freundeskreises, Dr. Reimar Kremer, stellte in seinem Grußwort die aussagestarke Geschichte von Abraham und Lot in den Raum, in der Lots Weib im Zurückblicken zur Salzsäule erstarrte. Damit waren einige inhaltliche Vorgaben für die 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie für die Referenten gegeben. Mit acht Vorträgen und zwei Filmvorführungen waren die knapp zwei Tage dicht gefüllt.

Im ersten Referat zum Thema „Die gegenwärtige Situation der deutschen Minderheit in Rumänien“ berichtete Prof. Dr. Paul Philippi, Ehrenvorsitzender des Landesforums, sehr ausführlich über die gegenwärtige Situation und die beachtlichen politischen Erfolge des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), wie sie besonders an der Erhaltung der 77 deutschen Schulen, aber auch in anderen Bereichen festzustellen sind. Die Zahl der Deutschen in Rumänien wird mit 60 000 veranschlagt. Der Referent entfaltete den Gedanken einer gemeinsamen Willensbildung, zu einem politischen „Wir“. Wer aber sind „Wir?“ Geradezu dialektisch entfaltet er Begriffe wie:„die Gebliebenen“, die „Gegangenen“ die „Herunter-Gekommenen“, wobei er sich zu den Letzteren zuordnet und appellierte für einen besseren Umgang miteinander. „Zum Johannes-Effekt muss ein Wir- Effekt kommen“, mit positivem Ausblick. Im Zusammenhang mit der Vergangenheitsbewältigung konnte der Referent allerdings auch diesmal nicht auf alte Deutungen des historischen Prozesses der Auswanderung der Siebenbürger Sachsen verzichten. Da kommen negativen Begriffe wie: „Sie haben uns den Rücken gekehrt, sie sind uns weggegangen, sie sind nur gegangen, weil der Nachbar gegangen ist“, immer wieder vor, und münden schließlich in kritische Feststellungen über die einstigen Verantwortlichen der Landsmannschaf, mit Heinrich Zillich an der Spitze, die 1954 in Rimsting angeblich das Ende der Siebenbürger Sachsen beschlossen hätten. Diese Sichtweisen lösten bei den Zuhörern kritische Beiträge und Fragen aus und wurden für den Weg zu einem „Wir“ als hinderlich empfunden. In diesem Bereich besteht wohl weiterhin Gesprächsbedarf.

Hierfür eröffnete das folgende Referat „Perspektiven der Zusammenarbeit zwischen den heimatverbliebenen Rumäniendeutschen und den Ausgesiedelten“ des Bundesvorsitzenden Dr. Bernd Fabritius einen neuen Gesprächsraum. Nach einleitenden Worten zur Themenstellung würde er gerne „Heimatverblieben“ näher an „Heimatverbunden“ rücken. Ihm machen die Ansätze Sorge, die immer wieder von Trennendem ausgehen: Sachsen hier, ehemalige Landsleute dort, manchmal als Sommersachsen wieder hier. Seine Überlegungen möchten nicht den Ursachen dieser Sachlage nachgehen, sondern vorrangig den „Ist“-Zustand und die Konsequenzen für die Zukunft ins Auge fassen. Seine Vision formuliert er dann so: „Unser Lebensraum ist im 21. Jahrhundert die ganze Welt, geographische Entfernungen haben an Relevanz verloren. Wird dadurch aber die ganze Welt unsere globale Heimat? Auch das hängt wohl entscheidend von unserem Willen ab. Unsere Identität bleibt dann erhalten oder wird überlebensfähig, wenn wir sie als Gemeinschaftszuordnung zu einer Heimat in der Gemeinschaft verstehen. Wir müssen die ganze Welt zu unserem Siebenbürgen machen. Es geht dabei aber nicht darum, Siebenbürgen als unsere Heimat etwa aufzugeben, sondern darum, den Heimatbegriff zu erweitern ... Dann sind die Ausgesiedelten genau so „Heimatverblieben“ wie die nicht Ausgesiedelten. Praktisch sieht Fabritius die Zukunft im Zusammenwirken in der Föderation und der evangelischen Heimatkirche „als Zusammenhalt stiftende Kraft, Träger und Kristallisationspunkt eigenen sächsischen Selbstverständnisses auf viele Jahrzehnte voraus“. Das sind Gedanken, die zum weiter Nachdenken und dialogischen Handeln auffordern.

Dr. Jürgen Henkel entfaltete in seinem ersten Referat die zunehmenden sozialen Probleme in der Transformationsgesellschaft. Die Schere von Arm und Reich gehe immer weiter auseinander. Allerdings sei auch festzustellen, dass es den Menschen insgesamt besser ginge. In einem zweiten Vortrag über die Kirchen Rumäniens nach 1989 stellte Jürgen Henkel insbesondere die Orthodoxe Kirche vor. Die Menschen in Rumänien seien durch und durch religiös geprägt. Das Christentum lässt sich im Bereich des heutigen Rumänien auf älteste Ursprünge zurückführen. Die Orthodoxe Kirche Rumäniens hat die kommunistisch atheistische Diktatur, im Vergleich zu den anderen Kirchen ehemaliger Ostblockländer, erstaunlich gut überstanden. Laut Volkszählung von 2002 waren 86,7% orthodoxe Christen registriert. Dazu 0,9% Griechisch- Katholisch, 4,7% Römisch - Katholisch und 3,2%Reformiert. Bemerkenswert ist, dass sich nur 0,1% als Atheisten erklärten. Der Referent beschrieb auch die Schwierigkeiten, die sich nach 1989 zwischen der Orthodoxen und der Griechisch-Katholischen Kirche ergeben haben.

Dr. Karl Scheerer referierte über „Die deutsche Minderheit in Rumänien – ein Ausblick“. -. Sein Einstieg in das Thema war sehr persönlich. Als einer, der die frühe Kindheit in Siebenbürgen erlebte, aber dann in Deutschland im elterlichen Pfarrhaus aufwuchs, hier studierte und sein Berufsleben abschloss, folgte er einem „Heimweh“ und ging, zusammen mit seiner bayerischen Ehefrau, nach Siebenbürgen. In Schäßburg konnte er auch durch Unterstützung von Freunden aus Deutschland, beachtliche Projekte durchführen. Sein Engagement gilt der siebenbürgischen Gemeinschaft und ihrer Zukunft. Er hat die schlimmen Jahre der Diktatur nicht erleben müssen. Umso mehr hat er Kraft und Ausdauer an der Gestaltung der Gegenwart mitzuwirken, aber vor allem dahin zu wirken, dass die vorhandenen Kräfte gebündelt und neue Strukturen erarbeitet werden. Dazu gehören u.a. die Überlegung zur Einbeziehung von ethnisch Nichtdeutschen ins Forum, die Einbeziehung von Deutschen ohne rumänische Staatsbürgerschaft, ein Programm für Neu- und Rücksiedlung, eine engere Zusammenarbeit zwischen Forum und Kirche.

Stadtpfarrer i. R. Wolfgang Rehner berichtete über die Lage der Evangelischen Kirche in Siebenbürgen. Sie zählte Mitte dieses Jahres 13 477 Gemeindeglieder. Davon leben in Hermannstadt 1370 und in Kronstadt 1083 Gemeindeglieder. Die Gemeinden sind in 5 Kirchenbezirken organisiert. 38 Pfarrer und Pfarrerinnen leisten den geistlichen Dienst unter schwierigen Verhältnissen einer Diasporasituation. Gleichzeitig wies Rehner auch auf das Fehlen von Gemeinschaft und gemeinschaftlichem Austausch unter ihnen hin. Er beschrieb die besondere Situation sehr detailliert: Gottesdienst, Religionsunterricht, Seelsorge, Verwaltungsfragen – als Herausforderungen, dass die Kirche allen Heimat bleibt.

Mit dem Referat „Politik und politische Parteien“ beleuchtete Ralf Sudrigan, Chefredakteur der Karpatenrundschau in Kronstadt, in großen Schritten und sehr komprimiert die politische Landschaft der letzten 20 Jahre. Seine Schlussfolgerung ist, „dass die Transformation in Rumänien, selbst als EU- Mitgliedstaat nicht beendet ist, aber zumindest unter Kontrolle sein dürfte. Ein Rückfall in die Zustände vor 1989 ist nun definitiv unmöglich.“

Schließlich waren der Vortrag von Christel Ungar-Țopescu über das Leben der deutschen Minderheit im Spiegel der deutschen Fernsehsendung 1969-2009 und ein Film mit Bischof D. Dr. Chritoph Klein anlässlich seines 70. Geburtstages sehr informativ und beeindruckend.

Trotz gedrängtem Tagungsprogramm boten sich in den Abendstunden gute Möglichkeiten für ausführliche und unterhaltsame Gespräche, in denen das Leitwort des Hauses: „Alles Leben ist Begegnung“ erfahrbar wurde.

Hermann Schuller

Schlagwörter: Kirche und Heimat, Kissingen

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