29. April 2013

Leserecho: Sexismus-Debatte in Deutschland

Zum Artikel „Volle Kelle“ in der Siebenbürgischen Zeitung vom 25. Februar 2013 (SbZ Online vom 20. Februar 2013) über die Sexismus-Debatte in Deutschland und die Rolle der gebürtigen Heltauerin Birgit Kelle veröffentlichen wir zwei Leserbriefe.

Mutig für den Erhalt traditioneller Werte


Die aktuelle hitzige Sexismus-Debatte, die neue Frauen- und Männerpolitik und das moderne, neuzeitliche Familien- und Eheleben haben auch die im Jahr 1985 auf dem Weltfrauenkongress in Nairobi entwickelte Idee, die dann zehn Jahre später als Gender-Mainstreaming-Bewegung (bei allen gesellschaftlichen Vorhaben müssen die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein regelmäßig berücksichtigt werden) wieder aufleben lassen. Zwar engagiert sich Birgit Kelle für einen neuen Feminismus, einen neuen Gender, und meint, dass Alice Schwarzers Feminismus ausgedient habe. Dieses, weil ihre Gleichstellungspolitik, wie Doris Roth im Artikel erwähnt, sich nur um die Frau in der Arbeitswelt kümmert, aber nicht um die Mutter und Kinder und um ein von vielen Müttern gewünschtes traditionelles Familienleben; Mütter, die, wenn es die Verhältnisse erlauben, die Kinder bis zum vierten Lebensjahr zu Hause behalten möchten.

Auch für die Themen Frauenquote, Betreuungsgeld und Erziehungsfragen, glaube ich, hat die Journalistin Kelle oft gute, realistische Ideen und Meinungen, die sie immer wieder in den vielen Talkshows unserer Fernsehsender zur Debatte bringt oder die in verschiedenen Publikationen zu lesen sind. Aktuell natürlich ihre interessanten Beiträge zur Sexismus Debatte („Dann mach doch die Bluse zu“), zur Homo-Ehe und anderen Themen. Sehr interessant ist auch einer ihrer letzten erschienen Beiträge, „Nie wieder weibliche Furore“, in dem Kelle über den Aufschrei, die Empörung der sieben Frauen berichtet, die „verblüfft“, „erschüttert“, „irritiert“ und „bestürzt“ nach dem Weltfrauentag einen Brief an Bundespräsident Gauck geschrieben haben, in dem sie ihm Vorwürfe wegen seiner an dem Tag getätigten Be- merkung machten, und zwar: „... dass er eine gravierende, flächendeckende Fehlhaltung von Männern gegenüber Frauen (….) hierzulande nicht erkennen könne“. Dazu Birgit Kelle: „Ein Vorschlag, meine Damen, machen Sie ihm doch einfach eine Liste der Wörter, die er noch benutzen darf im deutschen Sprachgebrauch“. Ein zusätzliches Argument also für Kelles Meinungen, wie sie auch in den beiden Beiträgen „Die Welt wird weiblich“ (15. Juni 2012) und „Nach außen Gleichstellung, von innen Feminismus“ (16. September 2012) schreibt, dass Gender-Mainstreaming und Schwarzers Feminismus hauptsächlich die Frau ansprechen, was auch die 1900 Frauen-Gleichstellungsbüros bei uns beweisen, während es null Männerbeauftragte sind. Aber auch die Entwicklungen in Wirtschaft und Politik, wo man merkt, dass es Berufe (Unterricht, verschiedene Behörden u.a.) gibt, in denen die Frauen in der Mehrzahl sind oder Spitzenpositionen erreicht haben, sind für die Autorin genügend Beweise für die Frauenförderung.

Erich Simonis, Nufringen

Sehr schlichtes Frauenbild

In der Siebenbürgischen Zeitung vom 25. Februar 2013 fiel mir der Artikel „Volle Kelle“ von Doris Roth sofort auf. Das Bild einer freundlich lächelnden jungen Frau, abgebildet zum Thema „Sexismus-Debatte in Deutschland“. Der Vorspann machte mich neugierig auf die Sichtweise einer allem Anschein nach in einschlägigen Medien bekannten jungen Siebenbürger Sächsin, Birgit Kelle. Was dann folgte, war eher ernüchternd. So konnte ich lesen, dass die bisherige Frauenpolitik eine verfehlte war, weil in ihrem Zentrum die berufstätige Frau (und Mutter) stand. „Der kinderlosen Frau liegt heute die Geschäftswelt zu Füßen“, behauptet Frau Kelle. Sie fordert eine neue Frauenpolitik, in deren Zentrum die Mutter steht, die „sich um den Fortbestand der Generationen kümmert“, da „Mutterschaft die ureigenste Domäne der Frau“ sei. Die ideale Mutter ist nicht berufstätig, widmet sich ausschließlich der Erziehung der Kinder und dem Haushalt. Ich hatte gehofft, solche Sätze nie mehr lesen zu müssen – außer in Geschichtsbüchern. Ernüchternd, ja befremdlich auch Frau Kelles Meinung zum Thema Sexismus. Was allgemein als „sexuelle Belästigung“ angesehen wird, verharmlost sie als „blöde Anmache“, „Lappalien“, „Blick auf das falsche Körperteil“, die erst durch „die persönliche Befindlichkeit“ zum Sexismus „hochstilisiert“ werden.

Im Artikel werden Print- und Online-Medien, Foren und Vereine genannt, in denen sich Birgit Kelle regelmäßig zu Wort meldet. Damit war meine Neugierde erst recht geweckt. Ich wollte mehr über die junge Heltauerin erfahren. Und über ihre Wirkungsradien. Internet macht es möglich! So konnte ich auf Wikipedia lesen, dass Birgit Kelle römisch-katholisch und CDU-Mitglied ist. Der im Artikel genannte Verein „Frau 2000plus“, deren Vorsitzende Frau Kelle ist, zählt 20 Mitglieder. Ja, genau. 20! New Women For Europe (NWFE) ist laut Wikipedia ein heterogener Dachverband von Frauen- und Familienverbänden, zu dem insgesamt 28 Mitgliedsorganisationen aus 13 EU-Ländern zählen, zahlreiche Splittergruppen, darunter allein 15 Organisationen mit jeweils 20 oder weniger Mitgliedern; insgesamt repräsentiert er rund 1100 Einzelmitglieder. NWFE ist im gemeinsamen Transparenzregister des Europäischen Parlaments und der Kommission eingetragen. Von einem Beraterstatus habe ich nichts ge­lesen.

Groß war mein Erstaunen, als ich erkennen musste, dass eine Siebenbürger Sächsin zur Verfechterin erzkatholischer Überzeugungen gelangen konnte und diese gerne in katholischen Onlineforen (z.B. Kath.net) verbreitet, wo sie u.a. von Mitgliedern des „Zusammenschlusses papsttreuer Vereinigungen e.V.“ gelobt wird.

Ihr Menschenbild, ihr Frauenbild, ihr Welterklärungsversuch – sehr schlicht, ihre Argumente schwach, ihr Mutterideal fast alttestamentarisch. Für Frau Kelle bedeutet Familie ausschließlich Mann, Frau und Kinder. Scheidung und Wiederverheiratung werden verurteilt. Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften sind Partnerschaften zweiter Klasse und werden abgelehnt. Abtreibung wird als vorsätzliche Tötung verteufelt und selbstverständlich abgelehnt – unabhängig von der Lebenslage der Frau. In der Beziehung zwischen Mann und Frau hat die Frau die Macht. „Die weibliche Anatomie taugt sehr gut als Waffe.“, meint die Frau, die sich als einen Teil der Frauenbewegung sieht: „Ich laufe aber in eine andere Richtung.“ „Wir haben es selbst in der Hand“, behauptet sie. Ob wir Opfer sexueller Übergriffe werden oder nicht. Wir brauchen bloß den Knopf an der Bluse zuzumachen! Ich frage mich, wie lange es dauert, bis Frau Kelle behauptet, Frauen seien selber schuld, wenn sie vergewaltigt werden, weil sie zu kurze Röcke tragen.

Aufgrund ihrer extremen Ansichten taucht sie öfter in Talkshows auf – allem Anschein nach, um die Diskussion zu polarisieren und damit für Quote zu sorgen. Auffallend ist dabei, dass sie ihre vier Kinder wie eine Waffe vor sich herträgt – im Kampf. In ihren Beiträgen gibt sie sich überhaupt sehr kämpferisch. Dafür oder dagegen. Meistens dagegen. „Wo stehen wir Christen, wo steht Deutschland (…)? Die Zeit scheint gekommen, den Kampf um diese Gesellschaft wieder aufzunehmen.“ Es geht immer wieder um den Wandel im 20. bzw. 21. Jahrhundert, um den demografischen vor allem, den Frau Kelle bedauert und gerne rückgängig machen möchte. Oder zumindest aufhalten. Der Journalist Arno Frank bringt es für mich auf den Punkt, wenn er behauptet, Frau Kelle fühle sich „sichtlich einsam in einer Gesellschaft, die ihre verknöcherten Tugenden und angestaubten Moralvorstellungen längst entsorgt hat.“

Wie kommt eine junge seriöse Journalistin, die ein Studium der Rechtswissenschaften abgeschlossen hat, zu solchen Wertvorstellungen? Aus welchen Quellen speist sich ihr Frauenbild? Wie passt ein konservatives Mutterbild zu einem überaus sexualisierten Frauenbild? Sind es zwei Seiten der gleichen Medaille? – In der Sendung Beckmann erklärt Frau Kelle sich. Sie habe früher gegen alles demonstriert, auch auf der Straße. Sie habe sogar „Die Grünen“ gewählt. Doch während ihrer ersten Schwangerschaft habe sie sich radikal verändert, ihre Einstellungen auch. In einem ihrer Artikel tut sich eine weitere Quelle ihres Frauenbildes auf: „In einer Folge ,Bachelor‘ lernt man mehr über Frauen als durch 100 feministische Bücher“. Das hat mir dann doch die Sprache verschlagen. Hat sie tatsächlich 100 feministische Bücher gelesen! Ich wusste bis dahin gar nicht, dass es so viele gibt …

Helmine Klein, Regensburg

Schlagwörter: Leserecho, Frauen, Kelle

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Neueste Kommentare

  • 05.05.2013, 10:45 Uhr von orbo: "Hervorragende Analyse, Frau Klein. Danke! " @bankban, siehe Klarstellung von Frau Kelle. [weiter]
  • 02.05.2013, 10:56 Uhr von Wurschtefat: Sorry, so einen Schwachsinn kann man doch nicht wirklich ernst meinen, oder? Sie, Frau K. ... [weiter]
  • 29.04.2013, 06:15 Uhr von bankban: Hervorragende Analyse, Frau Klein. Danke! [weiter]

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