12. Februar 2014

Rechtliche Aspekte der Debatte über "Armutszuwanderung" und Hartz IV für Bulgaren und Rumänen

Die in der Öffentlichkeit, in den Medien, aber auch unter Fachleuten geführte Debatte über Armutsmigration veranlasst zum nachfolgenden Versuch einer Versachlichung. Zum Sachverhalt: Seit dem 1. Januar 2014 können Bulgaren und Rumänen ohne die früher erforderliche Arbeitserlaubnis z. B. in Deutschland eine Beschäftigung aufnehmen. Hieraus ergeben sich Fragen (und offensichtlich Diskussionen) über Art und Umfang von sozialen Ansprüchen.
Zur Rechtslage: Jede bzw. jeder Angehörige des oben beschriebenen Personenkreises, der in Deutschland eine Arbeitsstelle antritt, ist gemäß §§ 5 ff. Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) versicherungspflichtig und (einschließlich der Familienangehörigen, vgl. § 10 SGB V) sozialversichert, somit auch krankenversichert, gegen Arbeitsunfälle versichert und hat selbstverständlich bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch einen Kindergeldanspruch. Soweit das Einkommen aus der oben beschriebenen Tätigkeit nicht ausreicht, stehen Aufstockungsansprüche nach „Hartz IV“ zu.

Die neue Rechtslage ist aus vielerlei Gründen begrüßenswert: Zum einen entspricht sie dem Gebot der Gleichbehandlung von Bürgern aus EU-Mitgliedstaaten, zum anderen lassen sich die Problembereiche, die vor dem 1. Januar 2014 existierten, wie z. B. die sogenannte Scheinselbständigkeit, unwürdige Wohnunterbringung, zu geringer Lohn etc. vermeiden bzw. verhindern.

Probleme und Rechtsfragen treten jedoch dadurch auf, dass die oben beschriebenen Freizügigkeitsregelungen auch das Recht beinhalten, dass eine Einreise zum Zwecke der Arbeitssuche erfolgt. Dies hat der Europäische Gerichtshof bereits im Jahr 2009 bejaht (vgl. die Entscheidung „Vatsouras“, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2009, S. 702), hat jedoch gleichzeitig ausgeführt, dass von dem Recht auf Einreise die Frage zu trennen ist, ob der Arbeitssuchende in Deutschland soziale Grundsicherungsansprüche hat (z. B. Arbeitslosengeld II, Unterkunftskosten etc.). Entsprechende Ansprüche schließen jedoch die entsprechenden gesetzlichen Regelungen aus (vgl. §§ 7 Abs. 1, Satz 1, Nr. 2 SGB II, 23, Abs. 3, Satz 1 SGB XII und Art. 24, Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG – Freizügigkeitsrichtlinie). Die diesbezügliche normierte Rechtslage scheint nach alledem eindeutig zu sein.

In der Literatur wird zu Recht die Rechtsauffassung vertreten, dass unter Hinweis auf Entscheidungen des Sozialgerichts Leipzig (Beschluss vom 13. Juni 2013 – S 17 AS 2198/12) und des Bundessozialgerichts (Beschluss vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 9/13 R) die europarechtliche Frage dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt werden sollte zwecks Klärung, ob der oben beschriebene Leistungsausschluss mit dem Gebot der Gleichbehandlung gemäß Art. 4 der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO[EG] Nr. 883/2004) kollidiert und ob es sich bei der „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ (so der Titel des Sozialgesetzbuches II) wirklich originär um Sozialhilfe im Sinne der genannten EU-Norm handelt. Nur der Europäische Gerichtshof dürfte die Autorität haben, für alle EU-Mitgliedstaaten diese Problematik aufzulösen (so Plagemann, „Lecks in Europa? -„Armutseinwanderung“ und Hartz IV, NJW – Editorial, Heft 5/2014).

Dr. Johann Schmidt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Nürnberg

Schlagwörter: Rechtsfragen, Armutszuwanderung

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