29. November 2014

Gedenkfeier zum Volkstrauertag in Dinkelsbühl

Die Gedenkfeier zum Volkstrauertag am 16. November in Dinkelsbühl begann mit einem ökumenischen Gottesdienst in der St.-Georgs-Kirche. Von dort begaben sich die Teilnehmer mit Kränzen und die Fahnenabordnungen der Vereine – unter ihnen auch die Kreisgruppe Dinkelsbühl – Feuchtwangen – zur Kriegergedächtniskapelle, wo Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer eine Ansprache hielt und Kränze niedergelegt wurden. Die musikalische Umrahmung gestalteten der Concordia Männerchor und die Stadtkapelle Dinkelsbühl. Dr. Hammer erinnerte an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren und den Enthusiasmus, mit dem die Soldaten damals in den Krieg zogen. Anfängliche Siege gingen in katastrophale Niederlagen über, zum ersten Mal wurden chemische Waffen eingesetzt, es gab Millionen Tote. An der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen fand die Feier ihren Abschluss mit der Kranzniederlegung und einer Rede von Werner Kloos, stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes Bayern, die im Folgenden leicht gekürzt abgedruckt wird.
Die modernen Kriege machen viele Menschen unglücklich, solange sie dauern, und niemand glücklich, wenn sie vorüber sind. Johann Wolfgang von Goethe stellte dies fest. 200 Jahre, zwei unerbittliche Weltkriege und einen Kalten Krieg später ist dieses Zitat leider immer noch aktuell.

„Volkstrauertag – was ist das eigentlich? Irgendein grauer Sonntag von vielen oder doch ein besonderer Tag? Kann der Mensch auf Kommando, gewissermaßen vom Terminkalender verordnet, Trauer tragen? Wohl kaum.“ Dennoch hat der Volkstrauertag seine Berechtigung, ist notwendig und sinnvoll. Seit 1924 veranstaltet der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge jährlich die zentrale Gedenkfeier. Ziel war es zunächst, das Andenken an die Millionen von Kriegstoten des Ersten Weltkrieges am Leben zu erhalten. Seit 1952 begehen wir in Deutschland den Volkstrauertag als Gedenktag für die Opfer beider Weltkriege, aber auch für die Opfer von Willkür, Gewalt, Unmenschlichkeit und rücksichtslosem Machtstreben.

Die Erinnerung an eine leidvolle Vergangenheit ist nicht nur Mahnung, sondern auch Herausforderung für jeden Einzelnen von uns. „Das ist lange her, was hab ich damit zu tun?“, wird sich heute gerade mancher junge Mensch fragen. Die Zahl derer, die den Krieg noch aus eigenem Erleben kennen, wird immer kleiner. – Das ist ein Glück, aber auch in gewissem Sinne eine Gefahr. Denn je größer die zeitliche Distanz, desto größer ist auch das Risiko der Verharmlosung oder gar des Vergessens. Gedenktage können daran wenig ändern, schon gar nicht, wenn sie nicht das Herz der Menschen erreichen.

Wir als Siebenbürger Sachsen gedenken am heutigen Volkstrauertag „der Söhne und Töchter Siebenbürgens, die ihr Leben im Osten, im Süden, im Westen, im Norden, hinter Stacheldraht, auf der Flucht, in der Heimat“ lassen mussten.

Der Erste Weltkrieg war der erste Krieg, der mit massivem Materialeinsatz, mit Panzern, Flugzeugen und Luftschiffen geführt wurde, zum ersten Mal wurden Massenvernichtungswaffen und Giftgas verwendet. Dieser Krieg zeigte der Menschheit ein noch grausameres, unbarmherzigeres Antlitz als die Kriege zuvor. Der Erste Weltkrieg hinterließ einen Scherbenhaufen in Europa und die Menschen in tiefer Erschütterung. Der Zweite Weltkrieg brachte wieder Tod und Elend über Europa. Staaten, die heute friedlich zusammenleben und von gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen profitieren, führten noch vor 75 Jahren einen erbarmungslosen Krieg gegeneinander. Sie rissen einen gesamten Kontinent, die ganze Welt in eine kriegerische Auseinandersetzung. Damals wurden ganze Familien auseinandergerissen. Junge Menschen in ganz Europa wurden ihrer Kindheit und Jugend beraubt. Männer als Soldaten an die Front geschickt. Viele kehrten nie wieder in die Arme ihrer Lieben zurück. Unzählige Menschen wurden ihrer Freiheit und ihrer Heimat beraubt. Viele verbrachten Jahre in Gefangenschaft oder im Arbeitslager fernab der Heimat. Andere mussten ihr Hab und Gut zurücklassen und in eine ungewisse Zukunft aufbrechen.

Meine Frau selbst durfte ihren Großvater nie kennenlernen, da er im Krieg gestorben ist. Unzählige Frauen mussten in Fabriken hart schuften oder ganze Bauernhöfe allein bewirtschaften, um ihre Kinder zu ernähren. Die Großmutter meiner Frau musste schließlich allein vier kleine Kinder großziehen. Manche von Ihnen, die Sie heute hier sind, gehören zu der Generation in Deutschland, die die Gräuel des Krieges am eigenen Leib erfahren und ertragen mussten oder aus Erzählungen noch zeitnah vermittelt bekamen.

Der Zweite Weltkrieg löste in Europa eine unglaubliche Vertreibungswelle aus. Ich möchte heute auch an die Opfer dieser Vertreibungen erinnern, an jene, die auf dem Weg aus dem Osten in den Westen gestorben sind. Vor Kälte, vor Hunger, vor Verzweiflung. Ich möchte an jene erinnern, die sich aufmachten in eine ungewisse Zukunft, die aus dem Nichts einen Neubeginn schaffen mussten.

Viele Soldaten sind nie wieder zu ihren Familien zurückgekehrt. Sie haben ihr Leben auf den Schlachtfeldern fernab der Heimat verloren. Die Kriegsgräberfürsorge übernimmt die immens wichtige Aufgabe, etwa zwei Millionen Kriegsgräber zu pflegen. Sie schafft so einen würdigen Ort der Erinnerung an diese Menschen. Im Namen aller möchte ich Ihnen dafür danken, dass Sie „erinnern gegen das Vergessen“.

Viele von Ihnen gehören zu der Generation in Deutschland, die durch ungeheure Anstrengung, Geduld und Kraft unser Land wieder mit aufgebaut hat. Das Anliegen des Volkstrauertages ist nicht allein vergangenheitsorientiert, sondern auch tagesaktuell. Fast täglich erleben wir neu, welch ein empfindliches, zerbrechliches Gut der Friede ist. Machtgier und Hass, religiöser Fanatismus, Druck und Gegendruck – oft genügt nur ein Funke, um ein neues Feuer der Gewalt zu entfachen. Ganz gleich ob im Irak, in Syrien oder der Ost-Ukraine. Die Art der Kriegsführung, die Behandlung von Gefangenen oder auch praktizierte Verhörmethoden erinnern an längst überwunden geglaubte Barbarei. Mühsam erkämpfte Konventionen und Regeln scheinen zu bröckeln. Gerade da, wo internationaler Terrorismus wahllos Menschen tötet, verletzt und verschreckt, vermissen wir längst jedes ethisch-moralische Tabu. Die Medien führen es uns täglich neu vor und geben uns das beklemmende Gefühl der Machtlosigkeit. Der Friede ist auch im Kleinen keine Selbstverständlichkeit, sondern er braucht Menschen, die ihn stiften – in der Ehe, in den Familien, in Vereinen und Gruppen. Dort sind wir nicht machtlos. Die Impulse zu einem friedlichen Miteinander müssen vom Herzen und vom Kopf ausgehen: Innehalten, Gedenken, das eigene Verhalten hinterfragen ist dazu unerlässlich – der Volkstrauertag bietet diese Chance.

Wir wollen uns nichts vormachen: Wir alle sind keine Weltverbesserer. Wir können die Wunden dieser Welt nicht heilen, aber wir sind für diese Welt mitverantwortlich. Jeder von uns ein Stückchen. Und dieser Mitverantwortung muss jeder für sich gerecht werden. Das bedeutet auch, die eigenen Interessen, das eigene Vergnügen und den eigenen Spaß – dem viele Menschen heute offenbar als das Maß aller Dinge im Leben nachjagen – einfach mal zurückzustellen. Wer das erkennt, hat plötzlich mehr Raum und Zeit für wirklich maßgebliche Dinge, für neue Schwerpunkte und für Werte, auf denen unser Zusammenleben in einer christlichen Gesellschaft aufbaut. Mehr Achtung, mehr Verständnis, mehr Hilfsbereitschaft, mehr Verantwortung für den Mitmenschen – das sind Bausteine einer besseren Welt, die jeder von uns mit zusammentragen kann. Nur wer insofern Frieden mit seiner eigenen kleinen Welt schließt, darf vom Frieden in der großen Welt träumen.

Ich denke, diese Maxime sollte nicht allein für den Volkstrauertag gelten, sondern für jeden Tag. Dann war auch das Schicksal der zahllosen Opfer von Krieg, Gewaltherrschaft, Vertreibung und politischer Willkür nicht vergeblich.

Schlagwörter: Volkstrauertag, Dinkelsbühl

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