22. Januar 2006

Weihnachten daheim: Großpold 2005

Georg Kramer, ein Landler aus Großpold, heute in München lebend, war vor 15 Jahren in seinem Heimatort. Dann wieder vor acht und vor vier Jahren. Und zwei Tage vor Weihnachten 2005 fuhr er mit seiner Frau nach Hause, nach Siebenbürgen, in den Unterwald, nach Großpold, die einst stattliche Landlergemeinde. Er schildert seine Erlebnisse und Gedanken auf der Reise in die alte Heimat.
Zuerst erblicke ich die Kirchturmspitze. Danach unseren hohen, schlanken Turm, sehe die Weite der Dorfsenke und die Gemeinde mit ihren Häusern und gewölbten Toreinfahrten. Und die geschlossenen Fensterläden. Meine Augen werden immer größer, mein Puls wird kräftiger. Ein paar hundert Meter und ich bin angekommen! Ich freue mich. Es dunkelt schon. Ich besuche flüchtig einige Bekannte und hole mir unseren Haustorschlüssel. Zusammen mit meiner Frau verteilen wir einige Mitbringsel und verabschieden uns, in der Hoffnung, uns an Heilig Abend im Gottesdienst wiederzusehen. Es ist kalt draußen und es liegt Schnee im Dorf und auf dem Hattert. Überall blinken Lichterspiele, die Weihnachten ankündigen.

Christsamstag. Unsere Glocken läuten. Voller Erwartung betreten wir das geheizte Gemeindehaus. Der Raum füllt sich, und schnell wird es gemütlich. Die Stimmung ist gut. Der Pfarrer kommt und der Gottesdienst beginnt. Wir singen bekannte Weihnachtslieder. Ohne Orgelbegleitung. Der Chor ebenso. Ein Schauer läuft mir den Rücken hinunter. Einige Tränen kullern. Auf diesen Moment habe ich mich gefreut, mich so sehr danach gesehnt. Wir sind wieder daheim. Ich vermisse in diesem Moment weder Vater noch Mutter, Geschwister, Nachbarn oder sonst jemanden. Sie sind alle weit weg. Weggezogen. Gestorben. Das Evangelium wird gelesen. Ich merke und sehe in den Augen der Anwesenden: Auch für sie alle ist es Weihnachten geworden. Die Ernte ist eingefahren, eine karge Weinlese gemacht und das Schwein geschlachtet. Es ist wieder Weihnachten geworden. Jeder freut sich an dem schönen und bunt geschmückten Weihnachtsbaum mit seinen weißen Kerzen und seiner glänzenden Spitze, die bis in den Himmel reicht. In aller Stille verlassen diese ca. 25 Frauen, 15 Männer, sechs Jugendliche bzw. Kinder das Gemeindehaus. Davon insgesamt fünf Leute zu Besuch aus dem Westen. Man begrüßt sich und freut sich. Die Leute klagen nicht. Sie hadern auch nicht mit ihrem Schicksal. Sie fügen sich in ihr Leben. Es gibt keine Hektik. Auch von Geschenken wird nicht gesprochen. Jeder feiert in seiner Freude, jeder in seinem Leid und ist dabei ganz sicher glücklicher als manch einer, der weit weg von zu Hause ist. Und weniger einsam. Keiner leidet wirkliche Not, doch so manche(r) ist einsam und allein. Der Pfarrer wünscht noch gesegnete Feiertage und geht auch heim mit seien Söhnen. Draußen ist es längst dunkel geworden. Kein großer Verkehr wie sonst. Im Schein der Straßenlaterne sieht man die Flocken friedlich fallen. Ruhigen Schrittes gehen wir heim. In Gedanken sehe ich den großen Christbaum mit den vielen Wachskerzen. Den wird es wahrscheinlich nicht bald wieder geben, in der großen Kirche. Sie wird bei Wintertemperaturen für immer kalt und leer bleiben. Auch der Morgengottesdienst ist heuer das erste Mal ausgeblieben, mit dem geliebten Leuchtersingen "Froh stimmt!" und "Triumph, Triumph".

Am ersten und zweiten Weihnachtstag gibt es einen Gottesdienst. Der kleine Chor singt sehr schön ein mir noch unbekanntes Weihnachtslied. Am Altjahrsabend ist wieder Gottesdienst, vielleicht der wichtigste des ganzen Jahres, und auch am Neujahrstag 2006. Und solange ein Pfarrer im Ort ist, wird er zu Neujahr sagen, wie viele Leute geboren, konfirmiert, geheiratet und gestorben sind. Und das ist gut so. Und warum das alles? Weil in Siebenbürgen noch lange nicht Schluss ist! Und jeder neue Tag, jedes Weihnachten, Neujahr ein neuer Anfang ist. Für Gott und diese Menschen und ihre Freunde und Nachbarn und nicht zuletzt auch für uns alle, die wir fortgezogen sind. Denn ein Siebenbürger ist immer ein Siebenbürger, auch in der neuen Heimat, die er gefunden hat, wenn er die alte Heimat noch im Herzen hat.

Georg Kramer

Schlagwörter: Brauchtum, Unterwald

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Neueste Kommentare

  • 23.02.2011, 21:07 Uhr von JIRG: Wie wahr, wie wahr! [weiter]

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