19. Juni 2006

Podiumsdiskussion in Dinkelsbühl: "Beständigkeit im Wandel"

Wie können die Traditionen und Kulturwerte der Siebenbürger Sachsen in einer globalisierten Welt, einer Spaßgesellschaft des Augenblicks, in der heute verschwindet, was gestern noch galt, aus sich heraus weiter wachsen? Und wie können Werte weiter entwickelt werden, wenn ihre Träger in ihrer Biographie den Bruch der Aussiedlung, die Entheimatung erlebt haben? Mit diesen Fragen führte die Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, Karin Servatius-Speck, Germanistin und freie Journalistin, in die von ihr moderierte Podiumsdiskussion ein. Aus ihren Erfahrungsbereichen lieferten Fachleute aus Ethnologie, Kunstgeschichte, Theologie, Politik und Brauchtumspflege aufschlussreiche Berichte und Denkanstöße. Die gut besuchte Diskussion am Pfingstmontag im Kleinen Schrannensaal bildete den Abschluss eines insgesamt "sehr erfolgreichen Heimattages", so die Moderatorin.
Der Heimattag sei seinem Motto, "Zukunft braucht Hoffnung", gerecht geworden, habe sich damit auseinandergesetzt und viele Antworten geliefert, sagte die Stellvertretende Bundesvorsitzende. "Bei diesem Fest unserer Gemeinschaft feiern wir die Erinnerung in menschlicher Begegnung und machen Werte unserer identitätsstiftenden Kultur durch vielseitige Präsentationen in den Bereichen der Kunst, Volkskunst, der Wissenschaft und nicht zuletzt durch die Feier des christlichen Gottesdienstes bewusst." Diese Kulturwerte, die in unserer Gemeinschaft in Siebenbürgen gewachsen seien, gelte es nun in Deutschland weiterzuführen. Es stelle sich nun die Frage ihrer Kontinuität, sagte Karin Servatius Speck.

Podiumsdiskussion in Dinkelsbühl, von links nach rechts: Dr. Paul Jürgen Porr, Thomas Sandfuchs, Dr. Irmgard Sedler, Karin Servatius-Speck, Enni Janesch, Dr. Christoph Machat, und Dekan i.R. Hermann Schuller. Foto: Siegbert Bruss
Podiumsdiskussion in Dinkelsbühl, von links nach rechts: Dr. Paul Jürgen Porr, Thomas Sandfuchs, Dr. Irmgard Sedler, Karin Servatius-Speck, Enni Janesch, Dr. Christoph Machat, und Dekan i.R. Hermann Schuller. Foto: Siegbert Bruss

Es sei besonders schwierig sich mit Traditionen in der heutigen, so genannten "Zeit der postmodernen Beliebigkeit", zu beschäftigen, betonte Dr. Imgard Sedler, Vorsitzende des Trägervereins Siebenbürgisches Museum. Um so wichtiger sei es, zu klären, wozu Traditionen dienen und inwiefern sie uns Orientierungshilfe im Dickicht der "beliebigen Angebote" bieten. Am Beispiel der Urzeln, die in den Grundordnungen der Siebenbürger Sachsen verankert waren, zeigte die promovierte Volkskundlerin auf, wie sich ein siebenbürgisch-sächsischer Brauch aus dem Harbachtal an die jeweiligen Zeitumstände angepasst hat und seit Mitte der sechziger Jahre in Sachsenheim - in Berührung zum schwäbisch-alemannischen Brauchtum - weitergeführt wird. Nur durch Sinnhaftigkeit und Sinnmäßigkeit könnten Bräuche fortgeführt werden, da sie ansonsten "zur Folklore verkommen", sagte Sedler. Bräuche bieten die Selbstvergewisserung, dass man als Gemeinschaft ein Stück Kultur für sich habe. Sie seien ein Identitätsmerkmal, an dem man festhalte und das man in das neue Lebensumfeld einbringen könne.

Seit Mitte der sechziger Jahre werden in der weltweiten größten Siebenbürger-Sachsen-Siedlung in Drabenderhöhe lebendige Bräuche gepflegt. Darüber berichtete Enni Janesch, Bundesfrauenreferentin der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, die viele dieser Einrichtungen maßgeblich mit betreut. Der Kathreinenball, das Maiblasen, das Puer-Natuts Singen zu Weihnachten, die gegenseitige Hilfestellung im Rahmen der Nachbarschaften seien Beispiele von Brauchtum, das in neuer Form weitergeführt wird. Besonders vertiefte der Bericht die positiven Effekte des "Nachbarschafts"-Brauches mit seinen Riten, wobei die Pflege der zwischenmenschlichen Kontakte und das Gefühl der Geborgenheit in stabiler Gemeinschaft am wichtigsten seien.

Thomas Sandfuchs, zweiter Bürgermeister der Stadt Dinkelsbühl, wies darauf hin, dass Traditionen auch Zwänge seien. Beständigkeit und Wandel hätten ihre jeweiligen Vor- und Nachteile. Sandfuchs empfiehlt Wandel dort, wo es notwendig sei, und Beständigkeit, wenn es um echte Werte gehe. Mit dem Pfingstfest in Dinkelsbühl und den damit verbundenen Besucherströmen habe die einheimische Bevölkerung gelernt umzugehen. "Wir wissen, dass Sie sich in Dinkelsbühl da wohlfühlen, und wollen, dass Sie immer wieder kommen", betonte Studiendirektor Sandfuchs.

Der Sturz Ceausescus sei nur der Anfang tiefgreifender Umbrüche, die alle Bereiche des Lebens in Rumänien betreffen, berichtete Dr. Paul Jürgen Porr, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien und langjähriger Leiter der Universitätsklinik Klausenburg. Der Wandel vom Kommunismus zum Kapitalismus habe für die Geschichte der Siebenbürger Sachsen ebenso wie die große Auswanderungswelle der Siebenbürger Sachsen Anfang der neunziger Jahre tiefgreifende Folgen gehabt. Der Arzt verwies auf die Bemühungen der in der Heimat verbliebenen Sachsen, sich diesem "Sog der Umwandlungen" zu widersetzen. "Die Tatsachen, das wir seit 17 Jahren unsere Foren aufrecht erhalten, keine einzige deutsche Schule landesweit geschlossen wurde, ja, dass wir trotz einiger gegenteiliger Meinungen jedes Jahr unser Sachsentreffen Mitte September in Birthälm abhalten, sind Zeichen der Beständigkeit."

Einen einmaligen Weltrekord für eine kleine Volksgruppe halten die Siebenbürger Sachsen mit sieben ehemals deutschen Ortschaften in Siebenbürgen, die auf der UNESCO-Welterbeliste stehen. Eine solide Voraussetzung dafür hatte das mit Unterstützung des Bundesinnenministeriums durchgeführte Dokumentationsprojekt siebenbürgisch-sächsischer Kultur geliefert. Über den Erhalt von Kirchen und Gemeinschaftsgebäuden in Siebenbürgen sprach Dr. Christoph Machat, Vorsitzender des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrates. Der engagierte Denkmalpfleger versuchte Verständnis dafür zu wecken und rief seine Landsleute auf, am Erhalt der "gebauten Vergangenheit", mit denen sich unsere Gemeinschaft, viele Menschenviele stark identifizieren, mitzuwirken.

Dekan i.R. Hermann Schuller, geschäftsführender Vorsitzender des Hilfskomitees der Siebenbürger Sachsen und Evangelischen Banater Schwaben im Diakonischen Werk der EKD, beleuchtete den Wandel, der sich im Bereich der Kirche vollzogen habe. Die Kirche in Siebenbürgen sei eine Kirche der Tradition und Ordnung, aber auch der Sprachlosigkeit gewesen. "Wir haben es versäumt, unsere Landsleute auf die Situation der Pluralität, auf den Markt der Möglichkeiten vorzubereiten", merkte Schuller kritisch an. Ein ähnlicher Vorgang sei auch in der hiesigen Gesellschaft zu beobachten. Der Dekan zeigte sich zuversichtlich, dass die junge Generation in diese existenziellen Fragen hineinwachsen und mit der Vielzahl an Angeboten richtig umgehen werde.

Nach einer lebhaften, zum Teil kontroversen Aussprache stellte die Moderatorin Karin Servatius-Speck in einem Fazit der Diskussion fest: "Nur was sich ändert, bleibt, wobei die ‚Konstanza', das Stetige davon abgängt, was die Gemeinschaft braucht. Gerade auch in Zeiten der Umbrüche oder Brüche in der Gemeinschaft, in der Tradition. Denn Brauch kommt von Brauchen."

In seinem Schlusswort zum Heimattag wies der Bundesvorsitzende Volker Dürr auf die vielen Initiativen in Kreisgruppen hin, die selbst tragend seien und das ganze Spektrum der siebenbürgisch-sächsischen Identität abdeckten. Die Diskussion habe gezeigt, dass es wichtig sei, "unsere traditionspflegenden Einrichtungen" zu unterstützen. Zudem rief Dürr dazu auf, die kulturellen Einrichtungen, Museum und Bibliothek mit Archiv, in Gundelsheim finanziell zu unterstützen, um diese Kulturschätze am Leben zu erhalten. Der Bundesvorsitzende dankte allen, die den Heimattag vorbereitet und erfolgreich über die Bühne gebracht haben.

Siegbert Bruss

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 10 vom 20. Juni 2006, Seite 10)

Schlagwörter: Heimattag, Dinkelsbühl

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