6. Mai 2012

Die Glocken von Reußmarkt

Vor dem Ersten Weltkrieg befanden sich auf dem Reußmärkter Kirchturm drei Glocken: eine große, eine mittlere und eine kleine Glocke. Während des Ersten Weltkriegs wurden die kleine und die große Glocke abgenommen, geschmolzen und für Waffen verwendet. Die mittlere Glocke wurde 1908 in Schäßburg gegossen. Sie trägt die Inschrift: „Zur Ehre Gottes und zum Heil“. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde in Hermannstadt 1919 die kleine Glocke nachgegossen vom Glockengießer Hans Schieb. 1930 wurde in Hermannstadt vom Glockengießer Franz Kauntz die große, eine Tonne schwere Glocke gegossen. Auf der Glocke steht die Inschrift: „Ein feste Burg ist unser Gott“.
Das Glockengeläut begleitete den Tages- und den Jahresablauf der Reußmärkter. Morgens früh um sechs und zur Winterzeit um sieben läutete die mittlere Glocke den Tag ein. Beim ersten Schlag der Glocke lüfteten die Männer den Hut, die Frauen falteten die Hände zum Gebet und sagten: „Herr hilf uns“. Zu Mittag läutete die kleine Glocke. Abends um acht Uhr läutete die große Glocke, die Betglocke. Nach dem Läuten wurde der Klöppel von Hand noch kräftig drei mal angeschlagen für Gott Vater, Gottessohn und den Heiligen Geist. Am Samstag und vor den Feiertagen läutete um elf Uhr vormittags erst die mittlere Glocke zehn Minuten, dann die große den Feiertag ein. Zum Sonntagsgottesdienst läutete erst die mittlere Glocke 20 Minuten, dann zusammen mit der großen Glocke. Bei einer Hochzeit wurde ebenfalls geläutet, bis der Hochzeitszug zur Kirche gelangte. Bei einer Taufe wurde die kleine Glocke betätigt, es wurde „gezingelt“. Bei der Beerdigung wurde zuerst die mittlere Glocke eine Stunde geläutet, dann das Glöckchen nach zwei Abständen. Das Zeichen, zum Trauerhaus zu gehen, war das Zusammenläuten der großen und mittleren Glocke. Die große Glocke begleitete den Trauerzug bis zum Friedhof. Auch bei einem Brand wurde die Glocke benutzt, um die Gemeindemitglieder zu verständigen und zu warnen. Der Klöppel der großen Glocke wurde von Hand dreimal kräftig angeschlagen, nach einer kurzen Pause noch einmal. Das wiederholte sich, bis die Feuerwehr den Brand unter Kontrolle hatte.

Die große Glocke von 1930. Foto: Martin Roth ...
Die große Glocke von 1930. Foto: Martin Roth
Nach der Auswanderung der meisten Reußmärkter 1990 verstummte auch das Läuten der drei Glocken. Denn zum Läuten benötigte man zwei kräftige Männer, die von da an fehlten. Zum Gottesdienst und auch zur Beerdigung wurde nur noch die mittlere Glocke geläutet.

Der von 2000 bis 2008 amtierende HOG-Vorsitzende Wilhelm Spielhaupter hat es ermöglicht, die Reußmärkter Glocken wieder zum Läuten zu bringen, dank Spenden der HOG und der FIARO Stiftung, die 2010 für das Instandsetzen des Geläutes 2000 Euro spendete. Nur mit Geld kann man nicht alles erledigen. Einen wertvollen Beitrag leistete auch Kirchenkurator Michael Fleischer, der seit 1997 im Amt ist und sich unermüdlich für den Erhalt des Kircheneigentums einsetzt. Zu Pfingsten 2011 war es dann so weit. Vor der Kirche hatten sich 35 Reußmärkter versammelt und begrüßten sich freudig jene, die aus Deutschland gekommen waren. Als die Glocken zusammen läuteten, durchzog uns ein Schauer und manches Auge wurde feucht. Pfarrer Wilhelm Maitert, der seit einigen Jahren auch die Kirchengemeinde Reußmarkt betreut, begrüßte alle Landsleute und hielt eine besinnliche Predigt.

Am 13. Juli 2011 wurde Maria Schenker in Deutschland zu Grabe getragen, und wie üblich läuteten die Glocken in Reußmarkt zur Beerdigung. Zum ersten Mal seit 21 Jahren läuteten alle drei Glocken zusammen. Der Verfasser war zu dem Zeitpunkt mit zwei Mitarbeitern auf dem Pfarrhof mit dem Einrichten des Museums beschäftigt. Als die Glocken anschlugen, legte er eine halbstündige Pause ein, um mit Andacht das Geläute zu genießen.

Nach langjähriger Arbeit ist das Kirchendach neu eingedeckt und die Ringmauer renoviert worden. Das neue Pfarrhaus von 1835 wurde 2009 komplett renoviert mit Spenden der FIARO Stiftung und der HOG in Deutschland sowie dank der Gemeinde unter Kirchenkurator Michael Fleischer. Das alte Pfarrhaus aus dem 16. Jahrhundert wurde 2010 renoviert unter der Leitung von Martin Roth und als Museum eingerichtet. Auch der Pfarrhof wurde auf Vordermann gebracht. Reußmarkt im Unterwald hat eine sehenswerte Kirchenburg mit Speckkammern und alten Kornkästen. Auf dem Pfarrhof gibt es Gästezimmer und zwölf Museumsräume, ebenfalls Backstube, Fleischerei, Waschstube, Kornkästen und Landwirtschaftsgeräte. Das Museum soll das bäuerliche Leben einer Reußmärkter Familie von 1880 bis 2010 veranschaulichen.

Martin Roth

Schlagwörter: Reußmarkt, Kirche, Glocken

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