1. August 2021

Passionierte Trachtenstickerin: Nachruf auf Katharina Weber aus Zendersch

Die passionierte Trachtenstickerin Katharina Weber, geborene Bretz, ist am 10. Juni 2021 im Alter von 79 Jahren gestorben. Geboren wurde sie am 1. Oktober 1941 als zweite Tochter von Regina und Andreas Bretz in Zendersch. Nachdem der Vater zum Militär einberufen und die Heimatgemeinde im September 1944 evakuiert worden war, waren die Mutter und beide Töchter mehrere Wochen in den Wirren des Krieges unterwegs, bis sie in Lähn/Schlesien ankamen. Im Flüchtlingslager in Lähn sah die Familie Vater Andreas zum letzten Mal. Kurze Zeit nach seinem Besuch galt er als vermisst. Katharina hatte zeitlebens eine sehr enge Verbindung zu ihrer sieben Jahre älteren Schwester Regina, die sich seit der frühen Kindheit mit großer Zuwendung um sie kümmerte.
Katharina Weber mit Zenderscher Trachtenpuppen, ...
Katharina Weber mit Zenderscher Trachtenpuppen, die sie mit viel Liebe zum Detail angefertigt hat.
Im September 1945 erlaubte die sowjetische Besatzung den Zenderschern, wieder in ihr Heimatdorf zurückzukehren. Doch dort war jetzt alles ganz anders als zuvor: die Häuser besetzt, die Eigentümer wurden enteignet. Man versuchte, bei den neuen Besitzern, in der Schule, im Pfarrhaus oder in leerstehenden Viehställen unterzukommen. Es gab weder Lehrer noch Pfarrer, aber Schwester Regina brachte Katharina vieles bei, z.B. das Stricken, was sie bereits mit 5 Jahren konnte. 1949 bis 1956 besuchte Katharina die Schule in Zendersch. Nach der Konfirmation am 25. März 1956 arbeitete sie in der Landwirtschaft und heiratete 1961 Andreas Weber, ebenfalls Sohn einer Zenderscher Bauernfamilie. Dem Ehepaar wurden die beiden Kinder Helmut (1963) und Heike (1976) geschenkt.

Im Jahr 1968 war Katharina zu Besuch bei Verwandten in Deutschland. Von dort brachte sie eine Strickmaschine mit nach Hause. Mit dieser Strickmaschine strickte sie hiernach die unterschiedlichsten Bekleidungsstücke für die Zenderscher, z.B. Mützen, Pullover, Jacken, Kinderkleidung u.a. und trug damit zum Haushaltseinkommen bei. Als 1974 die Strickmaschine kaputt ging und Ersatzteile nicht zu beschaffen waren, suchte sich die tatkräftige Katharina einen anderen Broterwerb. Sie wurde bei einer Kooperativ-Firma in Elisabethstadt zum Knüpfen von Perserteppichen angestellt. Die Herstellung der Teppiche fand zuhause im Handarbeitszimmer statt und Katharina wurde, wie die anderen Zenderscherinnen die auf diese Art Geld verdienten, nach der Größe und Qualität der Teppiche bezahlt. Bei dieser Tätigkeit, die sie bis zur Ausreise der Familie 1981 ausübte, kamen ihr die große Liebe zum Detail und ihre Geschicklichkeit zugute.

In Deutschland kam Familie Weber über Nürnberg und Schwäbisch Gmünd nach einigen Monaten nach Stuttgart, wo alle Familienmitglieder bei den Technischen Werken Stuttgart Arbeit fanden. Katharina arbeitete bis zum Renteneintritt 1998 als Reinigungskraft. Nach 36 glücklichen Ehejahren starb Andreas 1997 und hiernach lebte Katharina 1998-2008 bei ihrem Sohn Helmut und Familie in Stuttgart-Weilimdorf und anschließend bis zu ihrem Tod bei Tochter Heike und Familie in Pfullingen. Den Enkeln Markus und Steffen sowie Leon und Kimi war sie eine sehr liebevolle, gesellige und witzige Oma. Sie hat mit ihnen viel gebastelt, gezeichnet und ihnen auch die Herstellung von Suppennudeln und anderen Köstlichkeiten aus Siebenbürgen beigebracht.

Katharina Weber begegnete ihren Mitmenschen stets sehr offen und direkt, aber freundlich. Jeder, der Katharina kannte, wusste, dass sie einem die Wahrheit sagt; aber sie hatte auch diplomatisches Geschick, so dass man sich über ihre Kritik nicht ärgerte. Diese vermittelnde Art und die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, waren eine Gabe, mit deren Hilfe sie vielfältige soziale Kontakte in alle Lebensbereiche knüpfte und pflegte. Bis zu ihrem Tod pflegte sie einen regen Austausch mit rumänischen Freunden in Zendersch und war hierdurch über die Situation vor Ort immer gut informiert. Auch in der neuen Heimat pflegte sie gute Kontakte und Freundschaften. Ihre Hilfsbereitschaft und ihr aufrichtiges Interesse an ihren Mitmenschen wurden stets von allen geschätzt.

Mit großer Begeisterung, Freude und Fleiß widmete sich Katharina zeitlebens der Herstellung, dem Besticken, der Pflege und dem Erhalt siebenbürgischer Trachtenstücke. Sie hat sehr viele Trachten gestickt, wobei ihre besondere Liebe den Frauentrachten galt. Nebst Trachten, die sie auch für andere Heimatortsgemeinschaften hergestellt hat, hat sie auch Trachtenpuppen z.B. für Ausstellungen angefertigt. Die Puppen waren in unterschiedliche Trachten aus Zendersch gekleidet, u.a. Bauerntracht, Konfirmationstracht, Hochzeitstracht, gebockelte Frauen, „höasch Fraan“-Tracht sowie diverse Männertrachten. Beim Zenderscher Treffen 2006 lieferte Katharina für die Ausstellung „Evakuierung und Flucht der Zenderscher 1944“ die Exponate in Miniaturformat. Für die Ausstellung über das Zwischenkokelgebiet beim Heimattag 2015 in Dinkelsbühl hat sie u.a. Brautkränze hergestellt. Sie unterstützte regelmäßig die Zenderscher Tanz- und Theatergruppe mit der Anfertigung und der Pflege der Trachten, der Organisation von Requisiten und dem Nähen der Kostüme, z.B. für das Singspiel „Dorf Zendersch in dem Traubenland“ (2002) oder für Krippenspiele. Wichtig waren auch ihre Informationen zum Leben und Arbeiten in Zendersch. Für die Zenderscher Weih-nachtsfeiern backte sie bis ins hohe Alter Honigkekse, die von ihr und ihrer Schwester Regina mit viel Liebe zum Detail verziert wurden. Beim Zenderscher Treffen 2005 organisierten die beiden Schwestern die Reinigung und Dekoration der Kirche und fertigten eigens für diesen Anlass ein besticktes Altartuch an. Auch war es ein Herzensanliegen von Katharina, den schweren Taufstein aus dem hinteren Teil der Zenderscher Kirche nach vorne, an seinen rechten Platz, zu bringen, so dass sie dafür viele Männer organisierte. Abschließend sei die Bank erwähnt, die sie im Zenderscher Kirchhof unter einem schattigen Baum aufstellen ließ, damit Besucher dort zu jeder Zeit einen gemütlichen Sitzplatz vorfinden.

Katharina Weber hat sich immer sehr gerne an das Dorfleben in der alten Heimat erinnert und Zendersch im Herzen getragen. Sie freute sich über das in letzter Zeit zunehmende Interesse der Jugend an Brauchtum und Trachten aus Siebenbürgen. Sie hat uns Zenderschern viele Schätze in Form von Trachten und Handarbeiten hinterlassen. Wir werden ihr und ihrer im Oktober 2020 verstorbenen Schwester Regina ein ehrendes Gedenken bewahren und die von ihnen so liebevoll hergestellten Trachtenstücke mit Stolz zu den siebenbürgisch-sächsischen Anlässen tragen. Mögen sie beide in Frieden ruhen.

Dietlinde Lutsch

Schlagwörter: Porträt, Nachruf, Zendersch, Trachten, Stickerei, Traditionspflege, Brauchtumspflege

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