3. Dezember 2022

Ein Stolzenburger Blumenstrauß zum Kathrengendäuch

Kennt ihr das auch? Ein lange nicht verwendetes Wort, ein längst vergessener Begriff aus unserer Mundart taucht aus der Versenkung auf und es ist, als ob man einem guten alten Bekannten begegnet: Man ist überrascht und erfreut zugleich. Aus gegebenem Anlass habe ich einen kleinen imaginären Blumenstrauß im ebenfalls imaginären Stolzenburger Garten gepflückt: Paulemitzker (Palmkätzchen), Gliederblämen (Löwenzahn), Tausendschönchen (Gänseblümchen), Tonauten (Storchschnabel), Zeguneblämen (Ringelblumen), Loirbern (Flieder), Gärjeroisen (Pfingstrosen), Jorjoinen (Dahlien), Koiserkroin (Gladiolen, wörtlich übersetzt „Kaiserkrone“), Naujelblämen (Nelken), Gång Härren (Zinnien), Immergrün (Wintergrün). Die Aufzählung lässt sich fortführen und ihr seid alle eingeladen, den Strauß mit weiteren typisch sächsischen/Stolzenburger Bezeichnungen zu ergänzen.
Erntedankfest in Stolzenburg Anfang der 60er ...
Erntedankfest in Stolzenburg Anfang der 60er Jahre: Pfarrer Ernst O. Schneider und konfirmierte Mädchen mit Ähren- und Blumenkränzen.
Eine große Freude war es mir kürzlich, im Gespräch mit einer guten Freundin dem längst vergessenen Wort für Sommerastern zu begegnen: Kathrengeblämen, Kathreinblumen. Was für ein schöner Name für eine Blume! Und was die Mädchen anbelangt, die den Taufnamen Katharina trugen, vermute ich, dass sie im alltäglichen Leben nicht den ganzen Vornamen für sich allein beanspruchen mochten. Sie teilten ihn daher untereinander auf: Man rief sie entweder Kathi oder Trengi, nie mit dem vollständigen Namen. Der war den Urkunden und Zeugnissen, der Schule und Kirche vorbehalten. Katharina war übrigens der häufigste weibliche Vorname in Stolzenburg.

Wieso heißen die Sommerastern eigentlich Kathrengeblämen? Sie sind doch am Kathrengendäuch, dem 25. November, schon längst verblüht? Außerdem frage ich mich, wie die Mägde, also die konfirmierten Mädchen, vor dem Erntedankfest, das in Stolzenburg erst im Spätherbst begangen wurde, noch so viele frische Blumen in den Gärten finden konnten, um zwei große Blumenkränze zu binden. Ich erfuhr, dass es die Herbstastern waren, die etwas Frost vertrugen und spät noch in prächtiger Farbenvielfalt um die Wette blühten.

Außerdem mussten für das Erntedankfest zwei Ährenkränze gebunden werden. Nun habe ich wieder dazugelernt: Einer bestand aus Weizen- und einer aus Roggenähren. Auch bewundere ich unsere Vorfahren mit ihren überaus sinnigen Bräuchen: Die Blumenkränze zu binden und zur Kirche zu tragen war Aufgabe der jungen Schwesternschaft (Blumen, Blüten = Jugend), indes die Ährenkränze, die Reife und Fruchtbarkeit symbolisieren, in die Verantwortung der älteren, der (längst) heiratsfähigen Schwesternschaft fielen. Dazu wurden die schweren Ähren samt Halmen bereits „äm Auren“ (Getreideernte im Juli) mit der Sichel geschnitten. Am Erntedanksonntag wurden schließlich die vier mächtigen Kränze von den festlich gekleideten „Mägden“ zur Kirche getragen, um an den Emporen im Chor aufgehängt zu werden. Dass sich auf den Stufen des Altars die schönsten und größten Exemplare von Obst und Gemüse auftürmten, ist leider auf keinem Foto festgehalten worden, nur in unserem Gedächtnis.

Kathrengeball

In Stolzenburg fand anlässlich des Katharinentages am 25. November alljährlich eine Theateraufführung mit Ball statt. Der 1. Advent markierte bekanntlich den Beginn der vorweihnachtlichen Fastenzeit und der Herr Fårr sah es nicht gern, dass in die Fastenzeit hinein getanzt wurde. Wenn er nämlich am darauffolgenden Sonntagmorgen um halb Sieben zum Fenster seines Amtszimmers hinausschaute, liefen die letzten Gäste des Balles, die Knëicht (das waren die nicht verheirateten, jungen Männer), in Grüppchen und lauthals singend die Dorfstraße hinauf und hoimenza’s (heimwärts). Und WAS sie da sangen! „Jesses, hörst du das?“, meinte jedenfalls sorgenvoll die Frä Fårr, „wenn die Behörden das wüssten …“. Letztere schliefen um die Uhrzeit noch und außerdem verstanden sie kein Deutsch.

In den Wochen vor dem Ball gab es viel zu tun: Die äußerst motivierten Laienspieler trafen sich jeden Abend zu den Theaterproben in der Schule. Ich war damals zehn, elf Jahre alt und freute mich, wenn mich meine Mutter manchmal zu den Proben mitnahm. Dort war es wohl, wo sich mir die getragenen Melodien vom Hontertstreoch, De Astern, Der Owend kit erun u. a. unauslöschlich ins Gedächtnis – und ins Herz – eingeprägt haben.

Auf dem Heimweg zeigte mir meine Mutter am frostig-klaren Nordhimmel über dem Käu˘pen und dem Oirschenhoift (altgermanisch: Urselhaupt) das Sternbild des Großen Wagens und am Zenit blinkte das Siebengestirn, von dem man tatsächlich immer nur sechs Sterne richtig sehen kann. „Schau mal, der Mond hat einen Hof“, sagte meine Mutter. Was bedeutete das noch mal? Dass es Frost gibt? Dass es bald schneien wird? Ich weiß es nicht mehr.

Der Förderverein Stolzenburg e.V. wünscht allen Katharinen Gesundheit und alles Gute!

Astrid K. Thal

Schlagwörter: Katharinentag, Stolzenburg, Brauchtum

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