9. September 2006

Reußner Denkmal eingeweiht: "Die Toten ermahnen zum Frieden"

Ein Denkmal für die Opfer von Krieg und Deportation wurde am 5. August 2006 in Reußen eingeweiht. Die erfolgreiche Mission von Johann Lauer, der das Denkmal im Alleingang bewerkstelligt und finanziert hatte, endete tragisch: Der Siebenbürger Sachse erlag vier Tage danach einem Herzinfarkt in Weidenbach.
Im August/September 2005 reiste Johann Lauer (Jahrgang 1927) nach Dnjepropetrowsk in die Ukraine, an den Ort seiner Deportation (diese Zeitung berichtete). Die Gräber der dort verstorbenen Deportationsopfer waren inzwischen eingeebnet und ein Stadtpark war auf demselben Platz errichtet worden. Nach Informationen der Stadt hat man die Gebeine der Verstorbenen in ein Massengrab überführt und ein Denkmal errichtet. Darauf waren jedoch nur russische Namen verzeichnet. Infolgedessen wollte Lauer für die in der Deportation verstorbenen Reußner auf dem Friedhof ihres Heimatortes eine Gedenktafel errichten. Diese sollte bis zum Heimattreffen Reußner am 5. August 2006 einweihungsreif sein, und so fuhr er zu diesem Zweck allein in diesem Jahr drei Mal nach Siebenbürgen.

Ein Denkmal für die Opfer von Krieg und Deportation wurde in Reußen eingeweiht, von links: Johann Lauer senior, Pfarrer Reger und Georg Hihn vor der Kirche.
Ein Denkmal für die Opfer von Krieg und Deportation wurde in Reußen eingeweiht, von links: Johann Lauer senior, Pfarrer Reger und Georg Hihn vor der Kirche.

Das nach einem Entwurf von Architekt Dr. Hermann Fabini gefertigte Denkmal sollte gleichzeitig Denk- und Mahnmal sein und trägt deshalb den Titel "Die Toten ermahnen zum Frieden". Eingemeißelt sind die Namen der 18 in der Deportation und der 32 im Zweiten Weltkrieg verstorbenen Reußner. Das 6. Heimattreffen am 5. August in Reußen (in Deutschland findet am 23. September 2006 das elfte Treffen statt) wurde von Andreas Hihn und Dieter Lauer organisiert. Es stand im Zeichen des Gedenkens an die Opfer von Krieg und Deportation. Pfarrer Walther Seidner aus Stolzenburg und der Kerzer Pfarrer Michael Reger, dessen Mutter aus Reußen stammt, hielten einen Abendmahlsgottesdienst. Danach gingen alle zum Friedhof, vorneweg mit einem Kranz Johann Lauer sen. und Georg Hihn. Beide waren fünf Jahre lang in Lager Nummer 1416 in Dnjepropetrowsk zusammen gewesen.

Das Mahnmal wurde von beiden Pfarrern eingeweiht. Mitglieder des ehemaligen Kirchenchores sangen unter der Leitung von Lorenz Bausmerth ein Lied, das die Deportierten in schweren Stunden gesungen hatten. Andreas Hihn (Posaune) und Johann Lauer jun. spielten einen Choral, Letzterer spielte abschließend auf der Trompete "Der gute Kamerad".

Die Errichtung des Gedenksteines ging einher mit einer detaillierten Dokumentation über das Deportationsgeschehen, deren Ergebnisse Johann Lauer sen. vorstellte. Danach lebten 1941 in Reußen 627 Siebenbürger Sachsen. Im Januar 1945 wurden 93 Personen, davon 19 Frauen, 38 Mädchen, 26 Männer und zehn Jungen (über 50 Prozent waren minderjährig) in die Sowjetunion verschleppt. 18 Personen verstarben in der Deportation in der ehemaligen Sowjetunion, zurück blieben 17 Frauen mit 77 Kindern, die jünger waren als 14, 33 Kleinkinder blieben bei den Großeltern zurück, eines gar bei fremden Leuten. Die vollständige Dokumentation soll demnächst im Internet unter www.siebenbuergersachsen.de/reussen veröffentlicht werden.

Tragisches Ende

Vier Tage nach der feierlichen Einweihung des Denkmals, am 9. August, erlitt Johann Lauer senior im Gästehaus von Weidenbach einen Herzinfarkt. Pfarrer Klaus Martin Untch, der die Gemeinden Heldsdorf, Zeiden und Weidenbach betreut, setzte neben anderen Weidenbachern während des Todeskampfes alle Hebel in Bewegung, um das Unvermeidliche zu verhindern. Nach Eintritt des Todes hat er den Verstorbenen im evangelischen Pfarrhaus von Weidenbach gesegnet, seinem Sohn, seinem Enkel und dessen Freundin Trost gespendet. Weiterhin stimmte er zu, dass der Leichnam in der Sakristei aufgebahrt wurde. Am nächsten Tag nahm er die Aussegnung in der Kirche vor.

Kranzniederlegung am Denkmal in Reußen zum Gedenken an dessen Initiator Johann Lauer sen., der kurz nach der Einweihung starb. Auf dem Bild von rechts: Pfarrer Reger, Lorenz Bausmerth und Johann Lauer jun.
Kranzniederlegung am Denkmal in Reußen zum Gedenken an dessen Initiator Johann Lauer sen., der kurz nach der Einweihung starb. Auf dem Bild von rechts: Pfarrer Reger, Lorenz Bausmerth und Johann Lauer jun.

Nach einem von Pfarrer Reger in Reußen abgehaltenen Gedenkgottesdienst wurde ein Kranz auf das vom Verstorbenen im Alleingang bewerkstelligte und auch finanzierte Denkmal gelegt, fünf Tage nach dessen Einweihung. Lorenz Bausmerth dankte ab, wie dies in Reußen Sitte ist, und fand neben Pfarrer Reger bewegende Worte. Familie Hihn und andere Reußner organisierten im Pfarhaus ein Leichenbrot, an dem rund sechzig Personen teilnahmen. Beerdigt wurde Johann Lauer senior am 15. August in Leimen bei Heidelberg, unter den Trauergästen befanden sich seine drei Kinder und sechs Enkelkinder.

Johann Lauer senior hatte 1944 die Ackerbauschule beendet und den landesweiten Wettbewerb der Absolventen gewonnen. Dies berechtigte zum Studium einer landwirtschaftlichen Hochschule in Deutschland. Doch es sollte alles anders kommen. Am 13. Januar 1945, als damals 17-Jähriger, wurde er in die Sowjetunion deportiert, wo er Hunger und Kälte erlitt und mit ansehen musste, wie viele Leidensgenossen den Hungertod fanden. Kaum zurückgekehrt, wurde er in die rumänische Armee als Arbeitssoldat eingezogen, um in Deva, bei Fogarasch und dann vorwiegend am Donaukanal zu dienen. Später war er jahrelang Presbyter in Reußen, in Deutschland wurde er dann zweiter Sprecher der Heimatortsgemeinschaft Reußen. Insbesondere in den achtziger Jahren, als in Rumänien der Lebensmittelmangel am größten war, hat er seine Freizeit dafür eingesetzt, möglichst viele Pakete nach Rumänien zu verschicken. Traurig und geradezu verbittert war er, dass die drei Eschen auf dem Friedhof in Reußen gefällt wurden. Für ihn war dies eine Störung der Totenruhe, hieß es doch seit Generationen in Reußen: "Nur unter den drei Eschen finden wir unsere Ruhe." Dies ließ ihm keine Ruhe, vor ein paar Jahren hat er 25 Eschbäume auf den Friedhof gesetzt, davon sind sechs angegangen. Hoffentlich bleiben wenigstens drei übrig.

Der Verstorbene war sehr zufrieden mit der Ausführung des Denkmals ebenso wie mit der würdevollen Einweihung desselben. Das Letzte, was er gelesen hat, war der
Bericht von Hannelore Baier in der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien über die Einweihung des Denkmals (siehe Artikel auf der von Johann Lauer jun. gestalteten Webseite).

Das sächsische Lied "Mir willen bleiwen, wat mer sin" (Wir wollen bleiben, was wir sind) wurde selbstverständlich auch auf dem Reußner Treffen gesungen. In einer Strophe heißt es: "Mir wessen, wat mer schaldig sen, den Diuden uch de Kinden" (Wir wissen, was wir den Toten und den Kindern schulden). Den Toten schuldet man ein ehrenwertes Andenken. Dies war für die Reußner Opfer nicht möglich, solange es keinen Ort gab, an dem an sie erinnert werden konnte. Unseren Kindern gebührt aber eine gute Erziehung, eine Ermahnung zum Frieden inbegriffen. "Auch die Reußner Opfer von Krieg und Deportation ermahnen uns zum Frieden". Dies waren die letzten Worte, die Johann Lauer sen. auf dem Reußner Friedhof sprach. Beiden Anforderungen genügt das Denk- und Mahnmal in Reußen. Dies ist, was sich die Opfer von Vertreibung wünschen.

Die öffentliche Auseinandersetzung um das in Berlin geplante "Zentrum gegen Vertreibungen" zeigt, dass es leider auf beiden Seiten Personen gibt, die andere Interessen verfolgen. Diese betreiben ein pietätloses politisches Spiel mit den Opfern und versündigen sich an unseren Kindern. Wir Siebenbürger Sachsen sollten uns dabei an eine Maxime halten, die das Handeln Einzelner und unserer Gemeinschaft über Jahrhunderte geprägt hat und zum "unsichtbaren Gepäck" gehört, auf das wir immer verweisen: "Daut diet em net, daut saul dien, wie will, mir dien daut net" (Das tut man nicht, das soll machen, wer will, wir tun so etwas nicht). In diesem Fall bedeutet dies konkret, dass wir der Opfer in Würde gedenken und unsere Kinder zum Frieden ermahnen sollten.

Johann Lauer jun.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 14 vom 15. September 2006, Seite 23)

Schlagwörter: Denkmal

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