15. März 2013

Die Siebenbürgen-Forschung vorangebracht: Nachruf auf Otto Mittelstraß

Das kleine Volk der Siebenbürger Sachsen hat Freunde außerhalb Siebenbürgens, die Land und Leute viel Zeit und Kraft schenken. Der Badener Dr. Otto Mittelstraß gehörte zu ihnen. Seine Liebe zu Siebenbürgen war überwältigend. Er war ein wahrer „Phil-Transsylvaniae“ und hat die Siebenbürgen-Forschung als Gründungsvorsitzender des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL) nachhaltig gefördert.
Geboren in Heidelberg am 19. Februar 1925, wuchs Dr. Otto Mittelstraß in Karlsruhe-Rüppurr und ab 1932 in Hinterzarten im Schwarzwald auf, wo sein Vater Gustav Mittelstraß die Salemer Zweigstelle des reformpädagogischen Birklehofs aufbaute. Später lebte die Familie in Tauberbischofsheim. Dort legte Otto Mittelstraß das Abitur ab. Dann kam die Einberufung. Verletzungen an der Hand und im Gesicht erinnerten ihn zeitlebens an den Krieg. Als Soldat fuhr er im Jahre 1944 durch Siebenbürgen. Heimgekehrt studierte er in Göttingen Geschichte bei dem angesehenen Mediävisten Hermann Heimpel, der ihm eine Seminararbeit zur Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen auftrug. Otto Mittelstraß schloss sein Studium 1957 in Freiburg i.Br. mit Beiträgen zur Siedlungsgeschichte Siebenbürgens bei Prof. Gerd Tellenbach ab. Vor der Veröffentlichung (1961) ließ er sich von Kennern der siebenbürgischen Geschichte, wie Karl Kurt Klein, beraten. Otto Mittelstraß liebte den Austausch zu Sachthemen und konnte gut zuhören.

Dr. Otto Mittelstraß im Deutschordensschloss in ...
Dr. Otto Mittelstraß im Deutschordensschloss in Münnerstadt. Die Exkursion fand im Rahmen einer Deutschordenstagung in Bad Kissingen am 30. Oktober 2010 statt. Foto: Siegbert Bruss
Inzwischen hatte er bei Jahrestreffen des Arbeitskreises junger Siebenbürger Sachsen „gute sächsische Tradition erlebt“ (Vorwort) und blieb diesem Kreis treu. Die dort geschlossenen Freundschaften hielten bis ans Lebensende. Mit seiner grundsoliden Art war er eine Säule des Kreises und drängte auf professionelles Arbeiten. Es gehört zu meinen eindrucksvollsten Erinnerungen, wie er mir auf dem Hintergrund freundschaftlichen Wohlwollens stilistische Mängel in einem – schon gedruckten – Aufsatz nachwies, nicht verletzend, aber haargenau. Er war überzeugt, dass sprachliche Unklarheiten klarem Denken im Wege stehen. Die Gründungsversammlung des Arbeitskreises für siebenbürgische Landeskunde (AKSL) wählte ihn wiederholt zum ersten Vorsitzenden (1962-1970). Er erfasste mit Kopf und Herz die beste Tradition des im 19. Jahrhundert gegründeten Vereins für siebenbürgische Landeskunde, der seit die Geschichte Siebenbürgens wissenschaftlich und gerecht, umsichtig und geduldig bearbeitete. „Aus dem Dickicht der nationalen Vorurteile kann nur herausfinden, wer bereit ist, statt der Geschichte der Völker die Geschichte des Landes zum Thema wissenschaftlichen Forschens zu machen…“ (Dissertation S. 11-12). Erinnert das nicht an den auch heute noch aktuellen Wunsch Max Moltkes: „Und um alle deine Söhne schlinge sich der Eintracht Band“?

Zusammen mit Paul Philippi betrieb er in Verhandlungen mit dem Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart und den zuständigen Referenten Baden-Württembergs und Nordrhein-Westfalens die Einrichtung einer Arbeitsstelle. Die Lösung war ein Gewinn sowohl für den AKSL als auch für das Institut für Auslandsbeziehungen, das Balduin Herter als hauptamtlichen Bibliotheksleiter in Gundelsheim anstellte.

Bis zum Juli 1980 unterrichtete Otto Mittelstraß am Max-Planck-Gymnasium, dann an der Europäischen Schule Karlsruhe die Fächer Geschichte, Deutsch und Latein. Er führte oft Abiturklassen und war Fachabteilungsleiter für die Gesellschaftswissenschaften. Für seine zwei Forschungsschwerpunkte blieb wenig Zeit: die Auswanderung aus Baden (Das Herkunftsgebiet der Durlacher und Hanauer Transmigranten des 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde, Heft 2/1979) und ein Historisch-Landeskundlicher Atlas von Siebenbürgen (zusammen mit Hans Meschendörfer, 1996). Seit der Doktor-Dissertation kannte er Archive in Europa mit einschlägigem Kartenmaterial. Zur Auswanderung gelangen ihm neue Quellenfunde.

Otto Mittelstraß trat 1989 als Studiendirektor in den Ruhestand. Er zog mit seiner Frau aus dem Einfamilienhaus in eine Wohnanlage in Karlsruhe-Rüppurr und mietete in der Nähe ein Zimmer für eine inzwischen weit gediehene, wissenschaftliche Arbeit zu Auswanderung aus Baden nach Siebenbürgen.

Otto Mittelstraß verfolgte die in den 1960er Jahren beginnende Auseinandersetzung des Hilfskomitees der Siebenbürger Sachsen mit der Landsmannschaft um die Deutung der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte. Sein scharfsichtiger Diskussionsbeitrag nach einer Akademietagung im Jahre 1964 in Berlin erregte beträchtliches Aufsehen. „Es gibt für die Umsiedlung eigentlich nur eine ehrliche Begründung, nämlich die Rettung möglichst vieler einzelner Menschen in die westliche Freiheit. Darum sollte jeder, der sich für die Umsiedlung entscheidet, wissen, daß er für diese Freiheit nicht nur mit dem Verlust der Heimat bezahlen muß, sondern auch mit dem Untergang des angestammten Volkes. Das – wie wir annehmen – legitime Glücksstreben des einzelnen Siebenbürger Sachsen steht heute in einem tragischen Gegensatz zur notvollen Existenz seines Volkes. Das ist eine bittere Erkenntnis; aber Ehrlichkeit in diesen Dingen ist besser, als sich und andere einer Täuschung hinzugeben“, (in: Siebenbürgisch-sächsische Geschichte in ihrem neunten Jahrhundert, hrsg. von G. Möckel, München 1977, S. 107).

Er litt mit unter diesem, von ihm pointiert formulierten Zwiespalt, ohne in der hitzig geführten Debatte Partei zu ergreifen, und hatte Verständnis für alle Aspekte der politisch widersprüchlichen Situation. Was er erwartete, das war Ehrlichkeit. Er war an diesem Punkt aufrichtiger als die meisten, die sich in der Bundesrepublik politisch berufen fühlten, in die Geschichte der Sachsen einzugreifen. Nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, die bescheidenen Lebensmöglichkeiten derer klein zu reden, die sich in Siebenbürgen um die Evangelische Kirche und um die deutschsprachigen Institutionen, wie Radio- und Zeitungsredaktionen, Theater, wissenschaftliche Institute, Lehrstühle der Germanistik und Verlage scharten. In die damals weit verbreitete Melodie „In Siebenbürgen ist alles aus“ stimmte er nie ein, ja er empfand sie aus dem Munde oder aus der Feder von Ausgewanderten als völlig unangemessen, besonders nach der Wende 1989, und scheute sich als stellvertretender Vorsitzender des Evangelischen Freundeskreises Siebenbürgen (EFS) nicht, das deutlich auszusprechen. Nach 1990 war in Siebenbürgen und im Banat beides möglich, Aufbruch als Flucht und Aufbruch als Neuanfang. Er plante damals die Einrichtung eines Wohnheimes für sächsische Dorfkinder, um ihnen den Besuch eines Gymnasiums mit deutscher Unterrichtssprache zu erleichtern. In den letzten Jahren zog er sich zurück, verfolgte jedoch die Arbeit des AKSL und des EFS. Er starb unerwartet am 27. Februar 2013. Seine Frau war ihm etwa ein Jahr vorher im Tode vorausgegangen. Die ihn gekannt haben, werden diesen aufrichtigen, kritischen Freund Siebenbürgens nicht vergessen und seinen besonnenen Rat sehr vermissen.

Andreas Möckel

Hinweis der Redaktion:

Die Trauerfeier für Dr. Otto Mittelstraß findet am 22. März 2013 um 14.00 Uhr in der Friedhofshalle Karlsruhe-Rüppurr bei der Auferstehungskirche in der Langen Straße statt.

Schlagwörter: Wissenschaft, Nachruf, AKSL

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Neueste Kommentare

  • 15.03.2013, 11:25 Uhr von gloria: Möge der himmlische Vater Herrn Dr.Otto Millelstraß in Frieden ruhen lassen. Mir imponiert ... [weiter]

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