4. April 2019

Einem Freund zum Abschied: Josef Jägerhuber starb am 9. März

Als ich im Herbst 1970 die Schriftleitung der Siebenbürgischen Zeitung übernahm, fuhr ich schon am Tag des ausgedehnten Informationsgesprächs mit dem Verbandvorsitzenden Erhard Plesch (1910-1977) nach Starnberg am See, um mich dem Besitzer und Chef der Druckerei vorzustellen, in der die Zeitung hergestellt würde. Sowohl Erhard Plesch als auch mein Vorgänger, Alfred Hönig (1900-1984), hatten mir einen „Mann der unbedingten Zuverlässigkeit“ angekündigt, der überdies „in siebenbürgischen Belangen“ Bescheid wisse: Josef Jägerhuber. Er stünde der „Druckerei Josef Jägerhuber“ in der dritten Generation vor. Seit Erscheinen der Zeitung, 1950, sei vor allem in Hans Hartl (1913-1990), der die Schriftleitung 1953 übernommen habe, ein Mann in der Druckerei tätig gewesen, der über die Arbeit hinaus eine persönliche Beziehung zu Jägerhuber entwickelt habe. Das Ehepaar Hartl bewohne sogar das obere Stockwerk des auf dem Gelände der Druckerei stehenden Jägerhuber-Familienhauses.
Nun starb Josef Jägerhuber (1926-2019) vor Kurzem. Biografische Daten über den Menschen aneinanderzureihen, mit dem ich knapp zwanzig Jahre lang, 1970-1989, in bewegter und oft erregter Zeit zusammenarbeitete, erscheint mir unangebracht, sie waren zum Teil in großen bayerischen Tageszeitungen nachzulesen und galten mehr dem „Wetterpropheten“ (Süddeutsche Zeitung) als dem unermüdlich fleißigen Mann, der ohne Aufhebens das ererbte Familienunternehmen durch die Umbruchslandschaft der Digitalisierung nicht zuletzt des Druckerhandwerks hindurch zu lenken suchte.

Meine Zusammenarbeit mit diesem ebenso gemütvollen wie realistischen, zurückhaltenden wie zum Zorn fähigen Bayern fiel in die Epoche immer wieder heftiger innersächsischer Auseinandersetzungen um die Frage „Bleiben oder Gehen“ – Auswandern aus oder Ausharren in Siebenbürgen? Da ich darauf bestand, die Siebenbürgische Zeitung habe, abgesehen von meiner oder sonst jemandes persönlicher Ansicht, ihre Spalten sowohl für Pro als auch für Contra offenzuhalten, eignete sich der Korrektur lesende Jägerhuber Kenntnisse in dieser Materie an, die denen vieler Siebenbürger weit überlegen waren. Der Mann, der mir einmal gesagt hatte: „Ich bin als 18-Jähriger im Osten verwundet worden und musste am Tag nach meiner Heimkehr die Leitung der Druckerei übernehmen“, dieser Mann hatte genaue Vorstellungen von Realität und Utopie. Er machte sich die Frage der kollektiven Existenz der Siebenbürger Sachsen mit solcher Intensität zu eigen, dass er mich gelegentlich bat, die Mittagspause zusammen mit ihm in einer nahegelegenen Gaststätte zu verbringen, weil er Fragen habe.
Mit seinen Wettervorhersagen machte sich Josef ...
Mit seinen Wettervorhersagen machte sich Josef Jägerhuber weit über Starnberg hinaus einen Namen. Die Aufnahme entstand 2016. Foto: Petra Reiner
Abgesehen von seinen langen Urlaubswanderungen in den bayerischen Bergen, machte Jägerhuber auch regelmäßig ausgedehnte Spaziergänge mit Hans Hartl, dem Hermannstädter, der als junger Journalist – und einer der wenigen – durch Stalins Imperium fuhr, um in Reportagen darüber zu berichten („Ich sah das rote Russland“, 1937). Seine dabei über viele Jahre hinweg gemachten Wetterbeobachtungen führten ihn zu einer Zyklentheorie, die ihn weit über Bayern hinaus bekannt machte. Öfter saßen wir nach Arbeitsschluss in seinem Büro Stunden lang bei zwei, drei Flaschen Bier beisammen; ich hörte seinen immer halblaut vorgetragenen, autodidaktisch erworbenen Metereologiekenntnissen zu. Dabei lernte ich einen Mann kennen, dessen Naturverwobenheit mir ein kaum bekanntes zweites Gesicht seiner Persönlichkeit offenbarte. Da saß dann nicht mehr der fleißige, immer sachbezogene Unternehmer vor mir, sondern ein Mensch, dessen eigentliches Innenleben den Wenigsten bekannt war: ein Naturgeist, ein Mann mit geheimnisvollen Fragen und Antworten, die ihn ebenso nah wie weit entfernt erscheinen ließen. Es kam vor, dass wir uns eine Viertelstunde lang schweigend gegenübersaßen. Dann, nickte er auftatmend, sah mich mit seinem hellen Blick lächelnd an und sagte – als schlösse er eine lange Gedankenreihe ab: „O ja, o ja ...“ Ich werde diese Viertelstunden und diese aufhellenden Blicke niemals vergessen. Ebenso wenig auch seine knurrig vorgebrachten ungehaltenen Anmerkungen, sooft sich das Bukarester Regime eine neue Teufelei in der Behandlung der deutschen Minderheit in Siebenbürgen und im Banat einfallen ließ. Wenn dabei der Name Ceaușescu eine Rolle spielte, murmelte er gelegentlich: „So a dreckete Sau ...“

Als uns die beruflichen Zwänge endgültig voneinander getrennt hatten, verbanden uns nicht nur die regelmäßigen Festtagswünsche und -grüße. Es gab immer wieder schier endlose Telefongespräche, in denen ich ihn wie den Refrain eines Liedes sagen hörte: „Fei, waren des Zeiten, als wir noch gemeinsam Zeitung machten.“ Noch vor ungefähr einem Jahre schickte er mir den Zehn-Seiten-Bericht seines ehemaligen Divisions-Kommandeurs über den Rückzug der Einheit von den Kriegsschauplätzen im Osten – die Papierränder vollgekritzelt mit seinen ergänzenden Anmerkungen. Als er von meinen in kommunistischen Gefängnissen verbrachten Jahren hörte, knurrte er: „Mir ham e Scheißzeit derwischt, unsere Jahrgänge ...“

Adio, mein Freund Jägerhuber! Könnte ich auch manche Bekanntschaft meines Lebens missen, nein, Deine nicht.

Hans Bergel

Schlagwörter: Nachruf, Jägerhuber, Druckerei, Starnberg

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