23. Mai 2020

Krise lehrt Demut und Dankbarkeit - Heimleiter Michael Schlander über die aktuelle Lage im Siebenbürgerheim Rimsting

Die idyllische Lage am Chiemsee wirkt in dieser düsteren Zeit der Corona-Pandemie geradezu stimmungsaufhellend. In dem 1953 eröffneten Siebenbürgerheim Rimsting mit seinen derzeit 71 Pflegeplätzen und 47 sogenannten Rüstigenplätzen wohnen 72 Siebenbürger Sachsen. Auf Heimleiter Michael Schlander lastet seit Wochen gewaltiger Druck, gilt es doch, die Heimbewohner vor der lebensbedrohlichen Infektion bestmöglich zu schützen. Der aus dem Augsburger Raum stammende ausgebildete Gesundheits- und Krankenpfleger hat ein Studium im Fach Gesundheits- und Sozialmanagement absolviert und die Qualifikation für die Leitung von Einrichtungen der Pflege und für ältere Menschen erworben. Seit dem 1. Juni 2019 leitet Schlander das Siebenbürgerheim Rimsting. Zur Krisenbewältigung bedarf es vielfältiger Schutzmaßnahmen, betont der 39-jährige Heimleiter im Gespräch mit Christian Schoger, besonders hilfreich dabei sei freilich der im Team und dem gesamten Heim vorherrschende starke Zusammenhalt.
Heimleiter Michael Schlander: „Für das Wohl der ...
Heimleiter Michael Schlander: „Für das Wohl der Heimbewohner und Mitarbeiter in unserem Siebenbürgerheim Rimsting mussten die Heimleitung, Führungskräfte und der Vorstand des Trägervereins ‚Stephan Ludwig Roth‘ e.V. – selbst der bayerischen Staatskanzlei – immer einen Schritt voraus sein!“
Herr Schlander, bundesweit haben bereits Hunderte Pflegeeinrichtungen steigende Infektions- und Sterberaten gemeldet. Ist auch das Siebenbürgerheim Rimsting von Covid-19-Erkrankungen betroffen?

Bisher hat sich glücklicherweise keiner unserer Heimbewohner*innen und keiner unserer Mitarbeiter*innen mit Covid-19 infiziert. Dies ist neben den frühzeitigen Schutzmaßnahmen der Aufklärungsarbeit und Disziplin innerhalb der Einrichtung, also bei den Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen zu verdanken. Die Heimleitung und der Trägerverein haben sehr früh, bereits weit vor den Verordnungen der Bayerischen Staatsregierung, die dringende Notwendigkeit von sofortigen Schutzmaßnahmen für die Sicherheit unserer Heimbewohner*innen erkannt und vorzeitig, aber damit rechtzeitig die Maßnahmen zum Gesundheitsschutz eingeleitet und umgesetzt. Die Wichtigkeit dieser Schutzmaßnahmen wurde von den Heimbewohner*innen ebenfalls erkannt und mitgetragen. Auch die Mitarbeiter*innen waren sich ihrer Verantwortung bewusst und haben diese dankenswerterweise auch außerhalb ihrer Arbeit eingehalten, zum Beispiel die Kontaktbeschränkungen. Bei Verdachtsfall im engen Familienkreis befand sich der Mitarbeiter in einer betrieblich angeordneten Quarantäne.

Wann haben Sie welche Schutzmaßnahmen ergriffen?

Unsere Heimbewohner*innen und Angehörige sowie Mitarbeiter*innen, externe Dienstleister und Lieferanten wurden sehr früh über die Schutzmaßnahmen informiert. Bereits am 5. März haben wir eine Besuchereinschränkung und ab 12. März bereits ein Besuchsverbot veranlasst. Diese vorzeitige strenge Besucherregelung hat erheblich zum Schutz der Bewohner beigetragen.

Es wurden Abstandsregelungen per Markierungen auf den Boden eingeführt. Diese Markierungen existieren in den Fluren, den Wartebereichen vor dem Speisesaal und den Aufzügen. Im Außenbereich wurden an den Parkbänken ebenfalls Abstandsmarkierungen angebracht. Im Speisesaal wurde die Tischordnung gemäß den Abstandsregeln geändert. Zusätzlich wurde der Speisesaal erweitert, indem man den anliegenden Pavillon mit Speiseplätzen belegte.

Wir haben frühzeitig bereits ab 27. März eine Maskenpflicht bei allen Mitarbeiter*innen und nach Verfügbarkeit dann auch bei den Heimbewohner*innen aus dem Rüstigenbereich eingeführt. Vor allem ist das in den Bereichen notwendig, in denen es schwerfällt, den Mindestabstand einzuhalten. Die Maskenpflicht wird in Anbetracht des Freiheitsgefühls nur in notwendigen Situationen umgesetzt und auf ein Minimum beschränkt.

Unsere Betreuungskräfte haben das Angebot an Betreuung hausintern erhöht. Zum Schutz der Bewohner*innen werden die Beschäftigungen auf mehrere Bereiche und Gruppen verteilt und voneinander getrennt. Somit soll eine Ansteckung und Verbreitung der Infektion vermieden werden. Externe Veranstaltungen wie Gottesdienst, Musikkonzerte oder Seniorentreffen im Bürgersaal von Rimsting sind eingestellt. Der Gottesdienst findet als Freiluftgottesdienst statt. Eine Bewohnerin hält Diavorträge im Haus. Besinnliche Gesprächskreise werden abgehalten. Wer will, kann auch einen Tanzkreis besuchen. Das alles findet natürlich unter Einhaltung der Schutzmaßnahmen wie Abstand einhalten und Tragen einer Maske statt.

Die Arztbesuche sind auf ein mindestnötiges Maß festgelegt. Der Arztbesuch kann nach Absprache mit der Heimleitung stattfinden, wobei die Heimbewohner FFP2-Masken benutzen. Unsere rüstigen Heimbewohner* innen konnten mit dem Heimbus ihre Versorgungen, wie das Einkaufen im Dorf und Bankgeschäfte, selber erledigen. Das wurde im Zuge der Schutzmaßnahmen eingestellt. Das Einkaufen wurde durch einen Einkaufsdienst ersetzt und ein Getränkelieferant wurde beauftragt.

Durch den Ausbau der Pflegeabteilung war man in der Lage, eine eigene Isolierstation vorzubereiten. Diese befindet sich derzeit im Standby-Betrieb und kann jederzeit hochgefahren werden. Wir haben einen Pandemieplan. Unsere Mitarbeiter*innen sind nach diesem Plan geschult und in das Pandemiekonzept eingewiesen.

Acht Besuche am Nachmittag

Ein Bündel an sinnvollen Maßnahmen. Welche Besuchsregeln gelten aktuell?

Unter telefonischer Voranmeldung bei der Pflegedienstleitung (0 80 51) 96 15 50; die Redaktion) ist eine Besuchsterminvereinbarung möglich. Nach derzeit gesetzlicher Bestimmung darf pro Bewohner ein nahestehender Besucher kommen. Die Besuchszeiten sind von 14.00 bis 18.00 Uhr. Es sind acht Besucher pro Tag in der Einrichtung vorgesehen. Nach Möglichkeit soll das Treffen im Freien und unter Einhaltung der Schutzmaßnahmen stattfinden. Das Tragen eines Mundschutzes und das Einhalten von Hygienemaßnahmen sind dabei unerlässlich.

Welche Auswirkungen hat die Abschottung auf die Heimbewohner?

Unsere Heimbewohner*innen haben in ihrer längeren Vergangenheit schon einige Herausforderungen meistern müssen. Das Siebenbürgerheim in Rimsting liegt am Chiemsee. Wo andere Urlaub machen, leben unsere Heimbewohner. Auf einer kleinen Anhöhe gelegen, hat man vom Heim aus einen wunderbaren Ausblick auf den Chiemsee und die Berge. Diese einmalige Lage direkt am See bietet unseren Bewohnern Spaziermöglichkeiten, am eigenen Hausbootsteg findet man ein ruhiges Plätzchen zum Verweilen. Darf ich hier mal die Ansicht eines Heimbewohners bezüglich der Besuchseinschränkungen wiedergeben?

Nur zu.

Ich zitiere: „Die meisten Bewohner fühlen sich in ihrer Freiheit kaum eingeschränkt und genießen die Ruhe und die nahegelegene Natur in Verbindung mit dieser schönen Jahreszeit. Es wäre jammerschade, wenn unser bisher sauberes Heim (vor allem dank unserer Heimleitung und unserer Mitarbeiter) durch den Besuch einiger Unvernünftiger aufs Spiel gesetzt wird. Wir waren und sind hier nicht im Gefängnis. Die Pflege wird ins Freie unter die kanadische Eiche oder vor das Bauernhaus gebracht und wir Rüstigen können beliebig stundenlang an der frischen Luft spazieren gehen. Unsere Lage ist also gar nicht so schlimm, wie vielleicht in anderen Heimen. Auch Veranstaltungen mit 5-6 Personen, mit Maske und Wahrung des Abstands finden regelmäßig statt.“

Yoga auf dem Stuhl – Mai­singen – Seelsorgegespräch

Demnach haben Sie während des strikten Besuchsverbots spezielle Aktivitäten angeboten.

Richtig. An Ostern haben unsere Mitarbeiter zusammen mit den Heimbewohnern Grußkarten mit Foto und Fingerabdrücken sowie persönliche Nachrichten an die Angehörigen verschickt. Eine Mitarbeiterin veranstaltet auf dem großen Heimgelände Kräuterkunde und Flora-Führungen. Es gibt unter anderem auch einen „Yoga auf dem Stuhl“-Kurs, Gedächtnistraining oder einen Lese-Sing-Gesprächskreis und vieles mehr. Die Mitarbeiter*innen aus der Betreuung sind da sehr kreativ. Am 1. Mai wurde beim Maisingen ein kleiner Maibaum aufgestellt. Aber auch die Bewohner*innen stehen sich gegenseitig bei, so führt z. B. eine Bewohnerin Seelsorgegespräche mit den Heimbewohnern. Auch unser Heimbeirat wirkte innerhalb unseres Hauses unterstützend mit.
Die Drohnenaufnahme zeigt das Siebenbürgerheim ...
Die Drohnenaufnahme zeigt das Siebenbürgerheim Rimsting am Chiemsee.
War ausreichend Schutzausrüstung verfügbar, und wer gewährleistete das?

Anfänglich mussten wir mit der Schutzausrüstung improvisieren. Die Schutzausrüstung wie Masken, Handschuhe und Desinfektionsmittel konnten nicht mehr über die gewohnten Lieferketten beschafft werden. Glücklicherweise ist es uns gelungen, rechtzeitig unsere Bestände und Vorräte aufzufüllen. Sehr löblich ist auch die gute Zusammenarbeit mit dem Landratsamt Rosenheim und dem Katastrophenschutz, die uns mit Ausrüstung und Material unterstützt haben. Ebenfalls gilt auch ein großes Lob und ein großer Dank unseren Mitarbeiter*innen und all den Angehörigen, die sich sehr engagiert und motiviert am Maskennähen beteiligt haben.

Medien berichten über die enormen Belastungen für Pflegekräfte. Wie meistern die Pflegemitarbeiter in Rimsting die Corona-Krise?

Bei uns sind aktuell 40 Pflegekräfte beschäftigt. Das Krankheitsaufkommen ist geringer als im Regelbetrieb. Wir stellen einen starken Zusammenhalt und eine gute Stimmung im Team fest. Das ist in den anderen Abteilungen auch der Fall. Generell haben wir bei allen unseren Mitarbeitern ein großes Wir-Gefühl. Unsere Pflegekräfte begleiten und unterstützen unsere Heimbewohner sehr liebevoll und individuell und kümmern sich sehr um sie. Durch gute Aufklärung und Information sind unsere Mitarbeiter sehr umsichtig, aber nicht ängstlich. Sie fühlen sich von der Situation nicht überfordert.

Optimal. Erfährt der Einsatz der Pflegekräfte denn auch die gebührende Anerkennung? Der Bundestag berät über eine Corona-Prämie für Pflegekräfte. Was geschieht in Rimsting?

Die rüstigen Heimbewohner haben für die Mitarbeiter Dankeschön-Plakate gebastelt. Sie haben ihnen Karten mit Dankesworten geschrieben und Pralinen verschenkt. Auch der Vorstand des Trägervereins bedankte sich mit kleinen symbolischen Süßigkeiten sowohl bei den Mitarbeiter*innen wie auch den Heimbewohner*innen. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Johanniter-Ordens, die bei uns im Haus regelmäßig Veranstaltungen durchführen, haben Blumen und Süßigkeiten übermittelt. Langjährige Lieferanten haben Blumen, Süßigkeiten, aber auch Masken gespendet. Das Bayerische Landesamt für Pflege gewährt jedem Pflegemitarbeiter einen Pflegebonus. Wir haben unsere Mitarbeiter über diesen Zuschuss informiert und sind bei den Formalitäten behilflich. Der Freistaat Bayern gewährt zudem noch einen Verpflegungszuschuss. Über diesen versorgen wir kostenlos unsere Mitarbeiter mit gutem Essen und Getränken. Im Laufe des Jahres 2020 erhalten alle Arbeitnehmer eine Lohnerhöhung und weitere Boni.

Hoffnung auf staatliche finanzielle Unterstützung

Wie bewerten Sie die bisherigen Vorgaben aus der Politik?

Die von der bayerischen Staatsregierung verordneten Lockerungsmaßnahmen wurden sehr kurzfristig herausgegeben. Es war für uns eine Herausforderung, diese in unseren Strukturen und Konzepten umzusetzen. Vor allem die Lockerung des Besuchsverbotes kurz vor dem Muttertag hat uns herausgefordert. Jedoch konnten wir auch diese kurzfristig gut realisieren. Durch die Quarantänevorschriften konnten unsere Kurzzeitpflegeplätze nicht belegt werden. Es durften keine Heimbesichtigungen stattfinden. Somit konnten wir auch einige Heimplätze nicht belegen, d.h. wir haben noch einige Zimmer zu vergeben. Dadurch fehlen uns natürlich die Heimeinnahmen. Zudem haben wir erhebliche Mehrkosten bei den Aufwendungen für das Schutzmaterial. Es wäre wünschenswert, wenn der Staat die Heime hier finanziell unterstützen und für die fehlenden Einnahmen und erhöhten Ausgaben anteilig aufkommen würde. Die Heimbetreiber sollten zudem mehr Freiheiten haben, ihre eigenen Hausregeln bestimmen zu können.

Ihre persönliche Botschaft an unsere Landsleute.

Diese Zeit stellt uns alle vor schwere Herausforderungen und betrifft jeden Einzelnen von uns auf seine Art und Weise. Manchmal ist dies auch mit Schmerz verbunden, wie zum Beispiel der Verlust eines nahestehenden Menschen oder Einschränkungen bei sozialen Kontakten oder im Alltag. Wichtig ist dennoch, dass wir weniger den Blick darauf haben, was uns fehlt oder anders ist, sondern was wir haben und wofür wir auch dankbar sein dürfen. Ich meine, dass wir im Vergleich zu anderen Kontinenten privilegiert sind, was unseren Lebensstandard angeht, und wir zuversichtlich in die Zukunft blicken dürfen. Nicht alle Erfahrungen in Verbindung mit der bestehenden Pandemie waren oder sind negativ behaftet. Vielleicht konnten einige von Ihnen für sich auch neue Fähigkeiten kennenlernen oder Erkenntnisse gewinnen oder hatten wieder Zeit, zur Ruhe zu kommen und innezuhalten.

Ich persönlich denke, dass in der jetzigen, mit Umbruch verbundenen Zeit ein positives Denken und ein starkes Wir-Gefühl, aber auch vielleicht das Gebet wichtige Werkzeuge sind, die einen selbst oder auch unsere Mitmenschen stärken. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen eine gute Zeit, vor allem Gesundheit und würde mich sehr freuen, Sie vielleicht mal persönlich in unserem Haus kennenzulernen.

Alles Gute und viel Kraft für Ihre wichtige Arbeit! Bleiben Sie gesund!

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Schlagwörter: Siebenbürgerheim, Rimsting, Bayern, Altenheim, Pflege, Heimleiter, Schlander, Interview, Corona

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