12. November 2024

Wie man das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe retten kann: Interview mit Hugo Schneider

Im Jahre 1990 begann die große Herausforderung der Siebenbürger Sachsen. Die Massenauswanderung hinterließ einen verlassenen Landstrich mit rund 200 ausgebluteten Ortschaften. Die Hinterbliebenen versuchten, auf keinen Fall aufzugeben. Die Stadt Mediasch ist ein Beispiel des Überlebens. Das von ihr gestartete Sachsentreffen, anfangs nur in Birthälm, hat überlebt bis heute. Das Große Sachsentreffen im August 2024 hat bewiesen, dass nicht alles verloren ist. Denn wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Ein Gespräch von Christa Richter mit Hugo Schneider.
Hugo Schneider (rechts) und Prof. Peter Molitoris ...
Hugo Schneider (rechts) und Prof. Peter Molitoris im Hermann-Oberth-Gedenkhaus in Mediasch am 30. Jahrestag der Eröffnung des Gedenkhauses im Juni 2024
Herr Hugo Schneider, Sie sind zwar ein gebürtiger Meschner, haben aber die meiste Zeit ihres Lebens in Mediasch gelebt und gewirkt. Als die Wende anbrach und sich die Zahl der sächsischen Einwohner drastisch verringerte, waren Sie gerade Kirchenkurator. Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie plötzlich in einer leeren Kirche standen?
In Meschen bin ich nicht nur geboren, sondern ich bleibe Meschner, solange ich lebe, selbst wenn ich schon seit 1946 fast ausschließlich in Mediasch gelebt habe. „Gewirkt“ habe ich hauptsächlich in diesen beiden nahe beieinander liegenden Ortschaften, doch auch in vielen anderen Dörfern und Städten. Und dieses sowohl als Gemeindekurator, Bezirkskirchenkurator, Mitglied der Landeskirchenversammlung wie auch auf mehreren Ebenen des Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien und als Abgeordneter im Hermannstädter Kreisrat.
In „leeren Kirchen“ und Kirchenburgen bin ich nach der Wende von 1989 oft gestanden, doch nicht um über die „Leere“ zu klagen, sondern um Lösungen zu suchen für den Erhalt dieser jahrhundertealten wunderbaren Kultur- und Baudenkmäler. Dabei war und ist mir bewusst geworden, dass man nicht alles machen kann, was zu machen notwendig ist. Es reicht, wenn man alles macht, was man machen kann. Und das ist nicht wenig und bezieht sich nicht ausschließlich auf Kirchen und Burgen. Hierzu zwei Beispiele: Als man darüber sprach, die Weltbank würde in Rumänien vier Projekte zur Förderung ehemals sächsischer Dörfer mitfinanzieren, bewarben wir uns – mit Erfolg – für die Restaurierung der Meschner Wehrkirche. Danach beschlossen wir, auch die defekte Hesse-Orgel einer Generalreparatur zu unterziehen. Dabei verpflichtete sich die Heimatortsgemeinschaft Meschen e.V. die Hälfte der Kosten zu übernehmen und ich selbst versprach, für die andere Hälfte Spenden zu sammeln. Beim nächsten Heimattreffen wurde die Orgel eingeweiht und wir beschlossen, auch die Verglasung mit Butzenscheiben der elf großen, in Stein gefassten Kirchenfenster in Auftrag zu geben; 2017 war alles fertiggestellt.
Das zweite Beispiel fasse ich unter dem Sammelnamen „kirchliches Gemeindeleben“ zusammen. Als ich erstmals als Vertreter meiner Heimatgemeinde in ein kirchliches Gremium gewählt wurde, zählte der Mediascher Kirchenbezirk über 33000 Gemeindeglieder und 17 Pfarrer. Ab nun aber ging es um Diaspora, Diakonie, Konfirmandenunterricht und Gottesdienst auch in rumänischer Sprache, landeskirchliche Frauen- und Jugendarbeit. Alles neue kirchliche Organisationsstrukturen, woraus das „Mediascher Organisationsmodell“ herausragt. Denn hier gründeten wir landesweit den ersten Diakonieverein. Er besteht auch heute noch, mitsamt dem Altenheim Hetzeldorf (30 Plätze), „Essen auf Rädern“ im Kirchhof (100 Portionen/Tag), Betreuung von Kranken/Alten (2 Samaritanerinnen), Unterstützung von Bedürftigen (Geld, Lebensmittel, Medikamente). In Mediasch ist das Angebot an kirchlichen Aktivitäten eher gewachsen. Es gibt alljährliche Kinderbibeltage, regelmäßige Jungschararbeit, Jugendarbeit, Seniorentreffen, Frauenarbeit, Gemeindeabende, Orgel- und Kirchenkonzerte, Kirchenchor, gegenseitige Besuche mit mehreren Partnergemeinden im Ausland und eine rege ökumenische Tätigkeit, wobei ich besonders die alljährlichen ökumenischen Weihnachtskonzerte in unserer Margarethenkirche hervorheben möchte. Höhepunkte sind die Bezirksgemeindefeste, abwechselnd in einer unserer Dorfgemeinden abgehalten. Die Zahl unserer Gemeindeglieder ist gesunken, doch die Ausstrahlung in das nicht evangelische Umfeld ist gestiegen. Das bezeugt u.a. die Zahl der Konfirmanden aus anderen Glaubensgemeinschaften.
Mehrere Abzeichen der Sachsentreffen in Birthälm ...
Mehrere Abzeichen der Sachsentreffen in Birthälm wurden von Wilhelm Fabini gestaltet.
Sie sind also ein Hiergebliebener und haben versucht, das Beste daraus zu machen. Beim ersten Birthälmer Sachsentreffen 1991 gehörten Sie zu den aktiven Organisatoren, die dieser Veranstaltung Sinn geben wollten. Es war damals sehr wichtig zu beweisen, dass man trotz alledem nicht allein geblieben ist. Wer hatte die Idee zu diesem Treffen?
Die Idee fürs „Birthälmer Sachsentreffen“ hatten die 2017 verstorbene Prof. Inge Jekeli und ich. Die Organisation oblag dem gesamten Mediascher Forumsvorstand. Es war nicht einfach, Räumlichkeiten reservieren, Programmablauf festlegen, Redner finden, Verpflegung sichern, Einladungen für Ehrengäste und deren Empfang, Parkplätze und die nötigen Orientierungstafeln, zusätzliche Ordnungshüter, Kulturformationen einladen, Abzeichen entwerfen, Programmfaltblätter verteilen u.v.m. Schnell wurde uns klar, dass wir es nicht alleine schaffen würden und wir beschlossen, den Schäßburger Forumsvorstand als Mitorganisator einzuladen. Sie nahmen unsere Einladung sofort an. Wilhelm Fabini kümmerte sich um die Ausstattung der Bühne, entwarf die Programmhefte und die ersten Abzeichen: Zuerst waren sie aus Leder, danach aus Keramik und Porzellan und zuletzt aus Blech. Das erste Birthälmer Treffen war ein voller Erfolg. Etwa 2000 Teilnehmer sollen teilgenommen haben, darunter Vertreter aller Regionalforen, Vertreter der Regierung, der sächsischen Vereine aus Deutschland, Österreich, USA und Kanada, Botschafter aus der Schweiz, Deutschland, und Österreich, Parlamentarier u.v.a. Dr. Thomas Nägler, unser ­erster Landesforumsvorsitzender, meinte, es wäre ratsam, alljährlich „Birthälmer Sachsentreffen“ zu organisieren. So ist es dann auch geschehen, jahrelang in Birthälm, später dann auch in andern Ortschaften und längst nicht mehr vom Mediascher und Schäßburger Forum organisiert, sondern vom Siebenbürgenforum. Und immer mehr machten mit! Bis hin zum diesjährigen Großen Sachsentreffen in Hermannstadt, wo rund 20000 Teilnehmer dabei waren. Die meisten kamen aus Deutschland. Übrigens haben sich auch die „Sachsentreffen“ in der neuen Heimat vermehrt. Nicht nur das alljährliche Pfingsttreffen in Dinkelsbühl, sondern auch die von den HOGs veranstalteten Gemeindetreffen siebenbürgischer Ortschaften.

Es gab damals eine ganze Gruppe engagierter Sachsen, die alles taten, um das sächsische Kulturerbe zu retten. Vor allem nachdem auch mehrere evangelische Pfarrer ihre Heimat verließen. Man stand vor leeren Schulen und leeren Pfarrhäusern. Damals hatten die Mediascher eine ausgezeichnete Idee, diese stattlichen Gebäude nicht aufzugeben. Was hatten Sie vor mit den verlassenen Pfarrhäusern?
In Rumänien leben heute genau 20 Ethnien. Alle Ethnien haben ihr eigenes Kulturerbe. Um dieses Erbe muss sich, meines Erachtens, jede Ethnie selbst kümmern; doch hat auch der Staat große Verpflichtungen. Das Kulturerbe der deutschen Minderheit in Rumänien, einschließlich der sächsischen, ist immens! Leider sind unsere finanziellen Möglichkeiten beschränkt. Heißt das aber, unsere Hände in den Schoß legen? Wie ich schon sagte: Alles machen können wir nicht, aber wir müssen alles machen, was wir können! In diesem Sinne haben wir stets gehandelt. Gab es in den Dörfern nicht genug Schulkinder oder Lehrer, um eine deutsche Klassen zu eröffnen? Also haben wir in Mediasch die deutschsprachige Hermann Oberth Schule als Zentrumsschule erklärt und ein Schülerheim mit 30 Betten eingerichtet, Schulbusse zur Verfügung gestellt. Die leerstehenden Pfarrhäuser haben wir schon in den 90er Jahren zu Gästehäusern umfunktioniert, zum Teil gemeinsam mit den HOGs aus Deutschland. Schlafzimmer und Badezimmer wurden ausgestattet, Küche und Speisesaal eingerichtet und „Betreiber“ gesucht. Einige funktionieren auch heute als Gästehäuser, andere sind leider nicht mehr in Betrieb. Auch weil der Tourismus in Rumänen erst im Kommen ist und es an Fachleuten in diesem Bereich fehlt.

Eine letzte Frage möchte Christa Richter an die Leser richten: „Wie wäre es, in den leeren Pfarrhäusern Seniorenheime einzurichten? Unter dem Titel Sommerferien zu Hause. Auf eine Antwort warte ich zum nächsten Mal!“ Ihre E-Mail-Anschrift: christacris[ät]yahoo.de

Schlagwörter: Interview, Mediasch, Kulturerbe

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