12. Mai 2025

András F. Balogh: "Die rumäniendeutsche Literatur wurde von den Germanisten adoptiert"

András F. Balogh lebt und arbeitet in zwei Ländern, ist Professor für Germanistik an der Babeş-Bolyai-Universität in Klausenburg und Direktor des Germanistik-Instituts sowie „Associate Professor“ an der Eötvös Loránd-Universität in Budapest. In den Doktorarbeiten, die er betreut, geht es vorwiegend um die rumäniendeutsche Literatur und nicht selten um Mehrsprachigkeit. Als gebürtiger Ungar in Rumänien kam er schon früh mit dem Deutschen in Berührung und ist in drei Sprachen zuhause. Anlässlich der Deutschen Literaturtage in Reschitza vom 3.-6. April stellte er ein Buch über die deutsche Sprache und Kultur in Rumänien vor, an dem er mitgewirkt hat. Das Gespräch führte Edith Ottschofski vor der Reise nach Reschitza.
András F. Balogh stellt sein Buch bei den ...
András F. Balogh stellt sein Buch bei den Deutschen Literaturtagen in Reschitza vor. Foto: DFBB
Du lebst ja als richtiger Europäer in zwei Ländern, in Budapest und Klausenburg. Wie kam es dazu und wie funktioniert das?
Diese merkwürdige Situation, dass ich auch an der Universität Budapest, an der Eötvös Loránd-Universität, und an der Babeş-Bolyai-Universität in Klausenburg arbeite, kam aus der folgenden Situation. Mir hat Rumänien und Siebenbürgen immer Spaß gemacht. In Ungarn habe ich meine wissenschaftliche Karriere aufgebaut und eine wissenschaftliche Herausforderung habe ich in der Möglichkeit gesehen, in Klausenburg 2004 eine sogenannte Stiftungsprofessur wahrzunehmen. Das Thema meiner Habilitation war die deutsche Literatur in Südosteuropa, so passte mir die Stelle in Klausenburg perfekt. Ich habe mich dieser Herausforderung gestellt, in der Hoffnung, dass ich in Klausenburg die Interkulturalität noch weiter vermehren kann, dass ich Doktoranden in die Arbeit hineinbeziehen kann und dass ich der Germanistik dort in Klausenburg auch ein neues Profil gebe. Und das hat dann letztendlich funktioniert.
Durch diese glücklichen Umstände konnte ich auch Doktoranden betreuen. Ich habe etwa zehn Studenten zur Promotion gebracht, junge Leute, die über die unterschiedlichen Aspekte der Multikulturalität gearbeitet haben, zum Beispiel über die Zensur in der rumäniendeutschen Literatur, die deutschsprachige Tätigkeit des Kriterion-Verlags, Dieter Schlesak oder die Mehrsprachigkeit bei mehreren Autoren aus der Region.

Hast du deutschsprachige, also deutsche Muttersprachler, als Studenten und Studentinnen, oder haben sie Rumänisch als Muttersprache?
Meine Doktoranden sind familiär interkulturell angelegte junge Leute. Meistens solche, die irgendeine Großmutter, einen Großvater als Deutsche gehabt haben. Es gibt dann auch viele solche, die Ungarn oder Rumänen sind. Die meisten sind dann Rumänen, mit einer großen Affinität zur deutschen Sprache und zur deutschen Kultur.

Und sie promovieren ja auch über rumäniendeutsche Autoren und Autorinnen oder rumäniendeutsche Belange?
Ja, sie schreiben über rumäniendeutsche Autoren oder über Multikulturalität, wo dann auch die rumänische oder die ungarische Kultur eine Bedeutung hat. Dabei werden auch andere Kulturen, wie die deutsch-jüdische Kultur zum Beispiel, in die Argumentation einbezogen. Man kann so sagen, dass die rumäniendeutsche Literatur von den Germanisten aus Rumänien adoptiert wurde. Das heißt, unter den Dozenten und Professoren der Germanistik in Klausenburg und in anderen Städten sind mittlerweile mehr ethnische Rumänen und Ungarn als Deutsche. Aber diese Literatur wurde adoptiert und wird dann fortgeführt von uns.

Bei den Deutschen Literaturtagen in Reschitza präsentierst du das Buch „Limbă şi cultură germană în România (1918-1933)“. Wie bist du involviert in die Entstehung dieses Buches?
Dieses Buch sind eigentlich zwei dicke Bände, insgesamt 1500 Seiten wissenschaftlicher Text, in Großformat. Es ist Herrn Corbea-Hoişie und Herrn Gräf zu verdanken, sie waren die Leiter des Projektes. Sie haben eine ziemlich große Fördersumme gewonnen. Das war bisher das größte Projekt, das der rumänische Staat für die deutsche Kultur genehmigt hat. Das muss man sich so vorstellen, etwa 35 Personen haben vier Jahre lang ein kleines Salär bekommen. Und wir konnten dann Archivreisen unternehmen und Konferenzen beiwohnen. Wir konnten uns regelmäßig mit dem Ziel treffen, neue Erkenntnisse über diese Periode 1918 bis 1933 zu erhalten. Und in diesen vier Jahren haben wir tatsächlich neue Erkenntnisse gewonnen, auf Grund von Archivmaterialien sehen wir diese Periode anders. Die Kultur und – sehr wichtig – auch der Kontext der Kultur wurde genau und neu beschrieben. Die beiden Bände sind in rumänischer Sprache erschienen, weil das Buch in erster Instanz dem rumänischen Publikum die deutsche Kultur erklären möchte, allerdings wollen wir Teile dann später auch ins Deutsche übersetzen.

Ich habe ja in Rumänien auch die sozialistische Bildung „genossen“ und in den Geschichtsstunden die Propaganda, die uns eingetrichtert wurde. Da wurde sehr wenig über die Geschichte der Rumäniendeutschen erzählt. Wollt ihr dieses Bild geraderücken?
Ja, das wollen wir, obwohl das nicht so einfach ist. Wenn man heute die rumänischen Lehrbücher anguckt, dort wird nicht viel über die Deutschen erzählt. Ein Durchschnittsrumäne weiß eigentlich nicht, wie die Deutschen im Banat oder in Siebenbürgen oder in der Bukowina aufgetaucht sind. Solche Projekte helfen dabei, dass Erkenntnisse in die Lehrbücher reinkommen. Andererseits muss man sagen, man müsste die Tätigkeit der nationalistischen Lehrbuchautoren irgendwie eindämmen und interkulturell veranlagte Personen für das Schreiben der Lehrbücher gewinnen. Immer noch ist viel zu wenig in den rumänischen Lehrbüchern über die Minderheiten zu finden.

Du warst also ein Mitautor des Buches?
Nicht nur ich, sondern viele weitere Mitautoren aus der Klausenburger Forschergruppe haben Kapitel geschrieben. Weitere Stützpunkte waren Jassy und Hermannstadt. Professor Andrei Corbea-Hoişie, bester Kenner der Bukowina und Paul Celans, initiierte das Projekt mit vier regionalen Schwerpunkten: Bukowina, Siebenbürgen, Banat und Altrumänien. Die Forschergruppe aus Klausenburg deckte Siebenbürgen und das Banat ab.

Was für besondere Erkenntnisse habt ihr da gewonnen?
Die besonderen Erkenntnisse sind die folgenden: 1918 war ein Moment der großen Verheißungen. Nachdem die großen Imperien sich nach 1918 aufgelöst haben, hat man so eine Hoffnung gehabt, die Welt wird demokratischer, humaner, menschenfreundlicher. Und diese Hoffnung hat der Literatur neue Impulse gegeben.
Diese Hoffnung haben wir untersucht, konkret, was die Autoren – als Verwalter von Identitäten – geschrieben haben und wie diese Texte in der Gesellschaft präsent waren. Eine Reihe von Faktoren wurden untersucht, wie die Wirkung Deutschlands, das Unterrichtssystem, das juristische Umfeld, die Wechselwirkungen der Sprachen und der Mikrokulturen.
Das Buch ist nicht nur über die Literatur und die deutsche Kultur im Allgemeinen, aber auch über die Einbettung in die rumänische Kultur und in die rumänische Gesetzgebung verfasst worden. Die Gesetzgebung hat Gutes und Schlechtes gebracht, manches war gut und fortschrittlich. Negativ war zum Beispiel die Bodenreform, wo vor allem der gemeinschaftliche Besitz der Sachsen weggenommen wurde, die Tätigkeit der Kirchen wurden eingeschränkt, es ist ein zentralisiertes Unterrichtssystem entstanden, also das Zentralabitur zum Beispiel, was früher nicht bekannt war. Darauf reagierten dann auch die Autoren und die Schriftsteller.

Welche Autorinnen und Autoren aus dieser Zeitspanne sollte man kennen?
In erster Linie wird Adolf Meschendörfer hervorgehoben, aber auch Oskar Walter Cisek. Dann haben wir jene Autoren, die zwischen Jiddisch, Deutsch und Rumänisch geschwenkt sind, wie Alfred Margul-Sperber. Viele haben nach neuen Möglichkeiten der künstlerischen Form gesucht, denn der Historismus des 19. Jahrhunderts hatte ausgedient. Dann haben sie zuletzt das deutsche Kulturmodell gewählt, interessanterweise.

Welches sind deine weiteren Pläne?
Ich bin viel in der Verwaltung eingebunden, weil ich in Budapest Direktor des Germanistischen Instituts bin, aber andererseits versuche ich, Doktoranden zu gewinnen, damit die deutsche Kultur, Sprache und Literatur in unterschiedlichen Facetten abgedeckt wird. Und vielleicht nicht gerade nächstes Jahr, aber irgendwann sollte schon so eine interkulturelle Literaturgeschichte der deutschen, der deutschsprachigen Kultur aus Südosteuropa entstehen.

Schlagwörter: Interview, Germanist, deutsch-rumänische Beziehungen

Bewerten:

26 Bewertungen: o

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.