15. August 2003

Hermann Kurmes

Der gebürtige Wolkendorfer Hermann Kurmes führt Touristen auf die Spuren von Großraubtieren / Gespräch mit dem Inhaber einer neuen Touristikagentur in Zernen (Zarnesti). Wer in Zernen nahe von Kronstadt nach der Pension "Elena" fragt, wird von Passanten ganz einfach zu Gigi Popa geführt. Und wer die neue "Touristikagentur für Naturreisen" im gleichen Ort sucht, dem wird in einem Atemzug Hermann Kurmes genannt. Popa und Kurmes erblickten übrigens in Wolkendorf das Licht der Welt, waren dann Klassenkollegen in Zeiden und sind nun nach Jahren der Trennung wieder unzertrennlich in ihrem neuen Wahlort unter dem Königstein aktiv. Beide haben ihre neue Lebensgrundlage an dasselbe Projekt gebunden: "Carpathian Large Carnivore Project" heißt die Initiative zum Schutz von Wolf, Bär und Luchs in den Karpaten, die der Münchener Forstingenieur Christoph Promberger vor genau zehn Jahren hier startete. Kurmes, seines Zeichens Biologielehrer, kam aus Deutschland mit Gattin Katharina nach Zernen, jener Kleinstadt im Burzenland, die früher wegen der hier groß angesiedelten Rüstungsindustrie bekannt war. Doch mit dem Aus dieses Wirtschaftszweigs ist "Zarnesti buchstäblich am Boden zerstört", weiß auch Hermann Kurmes. Weshalb er sich trotzdem hier niederließ, erzählte er in einem Gespräch unserem Hermannstädter Mitarbeiter Martin Ohnweiler.
Herr Kurmes, Sie sind 1954 in Wolkendorf geboren, lebten ab dem 23. Lebensjahr in Deutschland und sind nun offenbar in Zarnesti wieder zu Hause. Wohl kein üblicher Weg. Wie kam es dazu?

Viele Zufälle spielten mit, bevor wir den Entschluss fassten, "mit Kind und Kegel", wie man so sagt, und auf Umwegen hierher nach Zarnesti zu kommen. 1997 hatten wir ein erstes Klassentreffen in Nürnberg, und angereist war auch der einzige Schulkollege, der noch in Rumänien lebt, Gigi Popa. Er lud uns ein, Siebenbürgen zu besuchen, denn er habe u.a. auch Übernachtungsmöglichkeiten. Das war ja mit ein Problem für uns. So verbrachten im selben Jahr gleich mehrere Familien aus unserer ehemaligen Klasse ihren Urlaub in Rumänien. Vorrangig für unsere Kinder, die erstmals in Rumänien waren, war es ein besonderes Erlebnis unter dem Königstein zu zelten, ohne Restriktionen. Und im gleichen Jahr überlegten wir, in den Auslandschuldienst zu gehen. Meine Frau ist auch Lehrerin. Es gab Angebote für mehrere Länder, aber als die Entscheidung fallen musste, bettelten unsere Kinder: Kann es nicht Rumänien sein? Und siehe da, eine Stelle in Mediasch war frei. So kamen wir zunächst für ein Jahr her, allein daraus wurden zwei, drei, mittlerweile schreiben wir 2003, und wir sind immer noch da.

Aber nicht rein zufällig. Oder?

So gesehen schon, da ja ein weiterer Zufall ausschlaggebend werden sollte: die Bekanntschaft mit Christoph Promberger, der das nunmehr schon in aller Welt bekannte Projekt zum Schutz der Großräuber (Wölfe, Bären und Luchse) hier, im Burzenland unter dem Königstein, initiierte. Was ihm noch fehlte, war eine Touristikagentur. So fasste ich den Entschluss, nach Zernen zu übersiedeln und hier eine Agentur zu gründen. Meine Frau ist zurzeit noch in Mediasch, doch wenn sie dort aufhört, wird auch sie definitiv herkommen.

Definitiv haben Sie offenbar auch den Lehrerberuf an den Nagel gehängt.

Ja, obwohl ich anfangs parallel sowohl im Schul- als auch im Touristikbereich aktiv war. Es wurde aber mit der Zeit immer mehr, ich musste mich für einen der Bereiche entscheiden. Seit zwei Jahren bin ich praktisch nur noch Reiseveranstalter.

Für wen?

Das sind fast ausschließlich ausländische Agenturen, die uns regelmäßig Gruppen schicken. Eingebunden in dies Projekt haben wir allerdings zwischenzeitlich über den neu gegründeten Touristikverband auch alle in dieser Branche aktiven Vertreter, vormals die Betreiber von Pensionen vor Ort. Zudem verfügen wir über einen Verleih von Fuhrwerken und Fahrrädern, ferner über einen Souvenierladen, den mittlerweile 80 Frauen aus Zarnesti mit handwerklichen Erzeugnissen beliefern. Kurz: Wir haben ein Netz aufgebaut, das ökonomisch nicht mehr zu übersehen ist, und ökologisch haben wir ohnehin neue Weichen gestellt. So konnten wir verhindern, dass in diesem Naturschutzgebiet ein Steinbruch entsteht, versuchen ferner gegen illegale Bauten in dieser wunderschönen Landschaft rund um den Königstein vorzugehen und engagieren uns für den Erhalt der Tiere, die im Burzental leben.

Ist Ihr Projekt mehr an den Schutz der so genannten Großräuber gebunden oder an den Nationalpark Königstein insgesamt?

Unser Tourismus hat mehr mit den Großräubern zu tun. Wir brauchten ja eine Attraktion, eine Geschichte. Denn wie anders kriegt man Leute nach Rumänien? Mit der Schweiz oder mit Österreich kann man doch nicht so einfach bezüglich der Bergwelt und deren Flora wie Fauna konkurrieren. Vom Fehlen einer Infrastruktur oder eines hochqualifizierten Service mal abgesehen. Also haben wir unser Reiseangebot an die Großräuber gebunden.

Wer sind also Ihre Touristen, und woher kommen sie?

Sie kommen praktisch von überall: aus England über Deutschland und bis hin nach Österreich. Die Interessenten sind zwischen 20 und 70 Jahre alt oder älter, vertreten alle Berufskategorien und haben ein erklärtes Interesse an der Pflanzen- und Tierwelt.

Wie sieht Ihr Angebot aus, was enthält ein Touristenpaket?

Wir haben u.a. Standardpakete, also eine Sieben-Tage-Sommerreise und eine Sieben-Tage-Winterreise. Beide führen als Schwerpunkt die Attraktion "Auf den Spuren der Großräuber" oder, genauer gesagt: "Zu Wolf, Bär und Luchs nach Transsylvanien". Per pedes oder hoch zu Ross und im Winter auf Langlaufski oder mit Schneeschuhen geht es demnach auf Wanderungen rund um den Königstein mit seinen Schluchten und alten Wäldern, den alpinen Weiden und den einzigartigen Bergdörfern. Gut ausgebildete Führer, meist Forscher am Projekt von Christoph Promberger, informieren die Teilnehmer über Leben und Verhalten der Großräuber, aber auch über die anderen heimlichen Bewohner der Karpaten und bieten ferner die Möglichkeit, zu telemetrieren. Das heißt, man ist mit einer Antenne unterwegs und kann damit beispielsweise die besendeten Wölfe suchen und orten, auch wenn man sie kaum zu Gesicht bekommt. Aber man hört sie heulen, und wenn wir dann noch mitheulen, antworten sie.
Unsere Gäste erhalten Einblick in die traditionelle Lebensweise der Leute, die hier in Gebirgsdörfern oder Streusiedlungen leben, besichtigen die Törzburg und/oder sächsische Wehrburgen rund um Kronstadt. Abends organisieren wir bei Rolli Balthes am "Plaiul Foii" ein Lagerfeuer, Lamm am Spieß und andere Spezialitäten werden aufgetischt. Und meist nachts kann man dann noch vom Hochstand Bären beobachten, mit viel Glück, wie gesagt, auch Wölfe u.a. Tiere.

Alles läuft aber unter dem Begriff "Ökotourismus". Inwiefern?

Einerseits bringen wir uns ganz aktiv in den Naturschutz ein, machen auf grundlegende ökologische Parameter aufmerksam, verweisen auf die Bedrohung der Großraubtiere in dieser Region und gleichzeitig auf ihre Beziehung zu den Menschen. Andererseits lassen wir, wie erwähnt, die örtlichen Familienbetriebe an diesem Touristenprogramm teilhaben und. Drittens werden über unseren Naturschutzfonds, der sich aus Spenden finanziert, weitere Projekte zum Schutz der Großraubtiere und ihrer Lebensräume gefördert sowie andere Vorhaben zum Ausbau der Infrastruktur vor Ort.

Wie kommt Ökotourismus in Rumänien überhaupt an?

Natürlich ist es nicht leicht, die diese Art von Tourismus auf Anhieb durchzusetzen. Das ist eine langwierige Erziehungssache. Deshalb leisten wir mittlerweile Aufklärungsarbeit in den Schulen, starten Müllsammlungen und andere Aktionen mit den Schülern. All das zeigt schon erste Wirkungen: In den Tälern rund um den Königstein liegt nicht mehr so viel Müll herum.

Wäre Ökotourismus eine Alternative zu den herkömmlichen Reisen durch die Welt?

Weltweit gehen die Leute immer mehr vom Massentourismus ab und bevorzugen immer mehr diese organisierten Formen von Reisen. Ökotourismus war übrigens der einzige Zweig der Branche, die in den letzten Jahren eine Steigerung zu verzeichnen hatte. Auch über uns haben mittlerweile schon nahezu 100 Reisegruppen dieses Gebiet aufgesucht. Das macht Mut, lässt uns optimistisch in Zukunft blicken.

Sie sehen demnach Ihre Zukunft hier in Zarnesti?

Jawohl, aber nicht nur. Wir sind dabei, ein weiteres Standbein rund um Mediasch oder Hermannstadt aufzubauen, um also in Zentralsiebenbürgen präsent zu sein.

Herr Kurmes, wir danken für das Gespräch.

Schlagwörter: Interview, Wirtschaft

Bewerten:

6 Bewertungen: o

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.