15. Februar 2004

Kerstin Paal

Seit einem Jahr ist Kerstin Paal Pressereferentin der Urzelnzunft Sachsenheim e.V. Die 20-jährige Agnethlerin lebt heute in Stuttgart und in Konstanz, wo sie Spanisch und Management studiert. 1990 kam ihre Familie nach Deutschland. Ihr länger gehegtes Vorhaben, für die Urzelnzunft eine Homepage (www.urzelnzunft.de) zu gestalten, konnte Kerstin Paal im September 2003 endlich realisieren. "Fasnet und Internet" - ein Slogan wie "Laptop und Lederhosn" - so ließen sich ihre vielfältigen Aktivitäten griffig umreißen. Der Spannungsbogen reicht, wie Kerstin Paal im folgenden Gespräch mit Robert Sonnleitner erklärt, von der Pflege altehrwürdigen Brauchtums bis hin zu dessen Vermittlung dank modernster Kommunikationsmittel. Und was trägt der traditionsbewusste Urzel drunter?
Hirräi Kerstin - Urzeln duzen sich doch, oder?

Hirräi, ja! Normalerweise haben sich bisher die Urzeln untereinander immer geduzt.

Die Urzelnzunft Sachenheim e.V. besitzt seit kurzem einen eigenen Internetauftritt. Du bist in diesem Verein für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Kannst du uns den Verein kurz vorstellen?

Die Urzeln sind seit 1965 in Sachsenheim zu Hause und veranstalten jedes Jahr den Urzelntag. Zudem sind wir seit 1989 Mitglied der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte und nehmen an vielen Narrentreffen während des Jahres teil.

Was gehört zu deinem ehrenamtlichen Aufgabenbereich?

Ich habe für die Urzelnzunft die Pflege des Internetauftrittes sowie die Öffentlichkeitsarbeit übernommen. D.h. ich schreibe Zeitungen und verschiedene Internetseiten an, um Neuigkeiten der Zunft zu veröffentlichen.

Seit wann gibt es Urzeln in Sachsenheim?

Die ersten Urzeln sind 1965 mit 13 Mann in Sachsenheim wieder gelaufen. In Agnetheln war der Brauch lange Zeit verboten und die ersten Sachsen waren schon in Deutschland, als dieser wieder genehmigt wurde. Diese 13 Urzeln haben den Grundstein für den heutigen Urzelntag in Sachsenheim gelegt.

Wer sind die Mitglieder Eures Vereins, sind es ausschließlich Siebenbürger?

Hauptsächlich ja, aber wir sind ein offener Verein und freuen uns über jeden neuen Urzel. Es gibt auch jetzt schon viele Nicht-Siebenbürger in unserer Zunft. Jeder ist willkommen.

Wie, wann und warum kamen Siebenbürger Sachsen nach Sachsenheim? War etwa der Name der Stadt für viele ausschlaggebend für die Wahl des Wohnortes?

Purer Zufall. Mit dem Namen hat es nix zu tun. Es war so, dass die ersten Sachsen nach dem Krieg in Deutschland geblieben sind und die Sachsen, die aus Siebenbürgen ausgewandert sind, in Ortschaften gezogen sind, in denen sie jemanden kannten und Arbeit gefunden haben. Das ist der Grund, warum in Sachsenheim so viele Sachsen leben.

In welchen siebenbürgischen Ortschaften gab es diesen Urzelnbrauch?

Soweit ich weiß, gab es in Großschenk und in ein paar benachbarten Ortschaften auch Urzeln, wobei sich dort der Brauch nie in der Form, wie es ihn in Agnetheln gab, durchgesetzt hat.

Ist der Brauch in Siebenbürgen inzwischen ausgestorben?

Ja. Heute gibt es keine Urzeln mehr in Agnetheln.

Die Urzelnzünfte scheinen bei den Siebenbürger Sachsen hier in Deutschland wieder in Mode zu kommen. Wo gibt es sonst noch Urzelnzünfte?

Ich möchte hier betonen, dass es nur eine Urzelnzunft gibt, die Urzelnzunft Sachsenheim. Aber es haben sich auch weitere Ortsgruppen gebildet, wie in Traunreut oder Geretsried, die dort den Urzelnbrauch pflegen und jedes Jahr Veranstaltungen wie das "Urzelnkraut" durchführen.

Sind die Mitglieder dieser Urzelnzünfte größtenteils Agnethler?

Ja, bei denen sind es schon fast ausschließlich Agnethler, denn es sind kleine Gruppen im Vergleich zur Urzelnzunft Sachsenheim.

Die Urzeln haben es dir anscheinend angetan. Was fasziniert dich an diesem Brauch?

In erster Linie macht es mich stolz, die alte Agnethler Tradition am Leben zu erhalten und fortzuführen. Diese Tradition schafft ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl. Und nicht zuletzt ist es auch der Spaß, den man jedes Jahr an den Narrentreffen und am Urzelntag hat.

Seit wann dürfen Frauen und Mädchen bei den Urzeln mitlaufen?

Eigentlich war es den Frauen nie untersagt, als Urzel zu laufen, nur war es in Agnetheln eben Brauch, dass die Frauen die Urzeln daheim bewirteten. Da dies in Sachsenheim nicht mehr der Fall ist, hat sich die Frage, warum sie nicht mitlaufen sollten, nie gestellt.

Über den Urzelnbrauch und seine Geschichte, den Namen "Urzel", die Traditionsgestalten und Brauchtumsfiguren gibt es auf eurer Homepage einiges zu lesen. Betreust du die Homepage alleine oder unterstützt dich noch jemand bei der Arbeit?

Die Hauptarbeit mache ich alleine, aber ich werde freilich auch von anderen Urzeln unterstützt. Sie schicken mir z. B. Bilder, Fotos oder Berichte.

Welche Zielgruppe sprichst Du mit der Homepage an? Eher Einheimische oder Siebenbürger?

Diese Unterscheidung mache ich gar nicht. Die Homepage ist für alle, die Fasnet-interessiert sind. Wir wollen einfach mehr Menschen die Möglichkeit geben, sich über die Urzeln informieren zu können.

Kommt Feedback auf eure Seiten?

Klar. Wir besitzen ein schönes Gästebuch und auch ein Forum, wo alle Besucher ihre Meinung oder Fragen loswerden können. Bisher haben wir nur positive Reaktionen gehabt. Auch die hohe Besucherzahl sagt einiges aus angesichts der Tatsache, dass die Seite erst ein paar Monate jung ist.

Die Urzelnzunft Sachenheim e.V. ist Mitglied der Schwäbisch-Alemannischen Narrenzünfte. Was unterscheidet euch von den anderen Narrenzünften?

Ich würde sagen, außer dem Häs und vielleicht ein paar zunftinternen Sachen ziemlich wenig. Jede Zunft hat ihre eigene Geschichte, aus der dann die entsprechenden Bräuche entstanden sind. Die Urzelnzunft ist eine sehr ursprüngliche Zunft, die Brauch und Figuren nicht verändert hat. Die Urzelmaske ist nie "verschönert" worden und wird heute noch, wie früher, aus dem Drahtgeflecht hergestellt. In der Vereinigung ist diese Form der Maske einzigartig.

Was verbindet euch mit den anderen Narrenzünften?

Die wichtigste Gemeinsamkeit ist das Interesse, alte Bräuche fortzuführen und diese anderen Leuten zu zeigen. Aus diesem Grund sind wir 69 Zünfte in der Vereinigung, die sich jedes Jahr treffen und ein gemeinsames Ziel bei den Narrentreffen verfolgen.

Bei den Urzeln herrscht eine strenge Kleiderordnung. Beschreibe uns bitte mal das Häs?

Der Urzelnanzug oder das Häs ist aus grobem Leinenstoff gefertigt. Schwarze Stofffransen werden in Querreihen so aufgenäht, dass die weiße Unterlage des Anzuges bei Bewegung durchschimmert. Vor das Gesicht kommt eine bemalte Maske aus feinem Drahtgeflecht, die den Urzel unkenntlich macht. Die Maske ist mit Fell eingefasst. Das ebenfalls mit schwarzen Stofffransen besetzte Tuch der Maske bedeckt die Schultern und endet auf dem Rücken mit einem bodenlangen Zopf aus Hanf. Um die Hüfte hat der Urzel einen breiten Gurt, an dem ein bis zwei große Glocken befestigt sind. Eine Peitsche aus Leder mit einem Schmiss aus Hanf, eine Quetsche aus Eschenholz für Krapfen und eine Rätsche vervollständigen die Ausrüstung des Urzel. Zur Erkennung trägt jeder Urzel vorne und hinten eine Nummer. Das Allerwichtigste: Der Urzel trägt schwarze Schuhe, saubere weiße Handschuh und ein an der linken Brust befestigtes weißes Tuch.

Was hat es eigentlich mit der Nummernvergabe auf sich?

Die Nummern sind aus versicherungstechnischen Gründen vergeben worden. So hat jeder Urzel seine Nummer, derzufolge man ihn kennt. Zudem dienen die Nummern auch zur Einteilung der Parten, die verschiedene Farben besitzen.

Ihr befindet euch gerade inmitten der Fasnet-Saison 2004. Wie lange dauert so eine Saison und wie viele Auftritte werden in diesem Zeitraum absolviert?

Wie lange so eine Saison geht, hängt natürlich immer von dem jeweiligen Jahr ab, aber grob kann man sagen, dass die Fasnet am 6. Januar beginnt und mit dem Aschermittwoch endet. Meistens werden neben dem Urzelntag drei bis vier weitere Termine absolviert, die aus Narrentreffen und anderen Fasnetumzügen bestehen.

Am 22. Januar war die Urzelnzunft zu einem Fernsehauftritt auf der Stuttgarter CMT-Messe eingeladen, um dort altes siebenbürgisch-sächsisches Brauchtum zu präsentieren. Wie kommt man zu so einer Einladung? Liegt's am guten Baumstriezel und den Urzelnkrapfen?

Man muss einfach nur ein interessantes Brauchtum besitzen, so wie die Urzeln.

Bei Paraden laufen Peitschen knallende und mit Schellen lärmende Urzeln durch die Straßen. Wie machen die Urzeln sonst noch bei Umzügen auf sich aufmerksam?

Wir nehmen Passanten am Straßenrand in die Peitsche, machen mit diesen ein Tänzchen und verteilen Krapfen aus der Quetsche.

Was muss ich tun, um bei einer Parade einen Urzelnkrapfen zu ergattern?

Ehrlich gesagt: Glück haben!! Die Krapfen sind sehr begehrt.

Was macht ein gutes Narrenjahr aus?

Wenn wir schöne Narrentreffen hatten, der Urzelntag gelungen ist, jeder Urzel zufrieden heimgehen kann und man das Jahr über kaum erwarten kann, dass die Fasnet wieder beginnt.

Hirräi und vielen Dank für das Gespräch.

Hirräi und bis zum Urzelntag am 21. Februar.

Link: Link: www.urzelnzunft.de

Schlagwörter: Interview, Medien

Bewerten:

1 Bewertung: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.