1. April 2003

Hans-Joachim Acker

Als einziger Siebenbürger Sachse war Hans-Joachim Acker alias Mircea Ioanid als Redakteur bei der rumänischen Abteilung des Senders "Radio Free Europe" (RFE) tätig. Wie war das damals beim Radiosender RFE? fragte Robert Sonnleitner den heute 67-Jährigen, der in Grafing bei München lebt, und sich mit großem Eifer im Vorstand der Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung engagiert.
Sind Sie ein gebürtiger Siebenbürger Sachse?

Rein zufällig bin ich 1935 in Erfurt geboren. Meine Mutter, Tochter zweier binnendeutscher Eltern, weilte zu der gegebenen Zeit dort bei Verwandten. Väterlicherseits stamme ich aus Reußmarkt und Mühlbach.

Seit wann leben Sie in Deutschland?

Seit Herbst 1962, nachdem mir und meiner gesamten Familie die Ausreise aus Rumänien durch die finanzielle Hilfe eines im westlichen Ausland lebenden Onkels gelungen war.

Womit beschäftigten Sie sich in Rumänien?

In Bukarest aufgewachsen, besuchte ich daselbst, nach der Verstaatlichung der Schulen 1948, eine technische Handelsschule mit deutscher Unterrichtssprache, die ich 1953 als Diplombuchhalter abschloss. Danach arbeitete ich bei verschiedenen Außenhandelsfirmen. Mein an der Universität Bukarest aufgenommenes Germanistikstudium musste ich nach dem Ungarnaufstand 1956 aus politischen Gründen abbrechen. Anschließend verbrachte ich fast zwei Jahre am Deutschen Staatstheater in Temeswar und versuchte mich dort als Schauspieler, da ich in Bukarest keine Zukunft mehr sah.

Pflegen Sie Kontakte nach Rumänien?

Ja, sehr enge, insbesondere zur evangelischen Kirche Bukarest, für deren Diakonie ich hier in Deutschland einen Hilfsfonds eingerichtet habe. Zurzeit bemühe ich mich in Rumänien im Auftrag der Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung, in deren Vorstand ich vor zwei Jahren berufen worden bin, eine Schwesterstiftung ins Leben zu rufen.

Wie kamen Sie zu "Radio Free Europe" (RFE)?

Zufall. Die bekannte rumänische Exilschriftstellerin Sanda Stolojan (ehemalige Dolmetscherin des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle), die ich 1964 in Lugano bei Verwandten kennen lernen durfte, empfahl mich bei der rumänischen Sendeleitung von RFE.

Und Ihre Zuständigkeit?

Ich begann meine Tätigkeit am 15. Juni 1964 als Nachrichtenredakteur und beschloss meine Arbeit bei dieser Institution am 1. Oktober 1992 als Stellvertretender Chef vom Dienst, nachdem ich im Laufe der Jahre die höchste Redakteursstufe, die eines "Program Editors", erreicht hatte. Hauptsächlich schrieb ich Nachrichten, gelegentlich verfasste ich die internationale Presseschau.

Wann wurde der Sender gegründet und mit welchem Ziel?

RFE wurde 1949/1950 in München ins Leben gerufen mit dem Ziel, das staatlich-kommunistische Informationsmonopol in den Satellitenstaaten der ehemaligen Sowjetunion zu brechen. Gleichzeitig arbeitete in München auch der Sender "Radio Liberty", der in die ehemalige Sowjetrepubliken ausgestrahlt wurde. Beide Sender fusionierten in den späten Siebzigerjahren.

Wollte die rumänische Abteilung des Senders die Rumänen aufwiegeln?

Davon kann nicht die Rede sein. Es war vielmehr die Politik des Senders, jeden Anschein einer Aufhetzung zu vermeiden. Beispielsweise durften Nachrichten erst gesendet werden, wenn sie zuvor von zwei unabhängigen Nachrichtenagenturen bestätigt wurden.

Wo wurden die Sendungen produziert?

Im Gebäude von RFE im Englischen Garten in München. Dort gab es eine zentrale Nachrichtenredaktion, die die immense Flut von Nachrichten aus der ganzen Welt auswertete und in selbst redigierten Fassungen an die einzelnen Nachrichtenabteilungen des Senders über Fernschreiber weiterleitete.

Wie kamen die Nachrichten aus Rumänien in die Nachrichtenredaktion?

Die rumänische Sendeabteilung bezog ihre Nachrichten Rumänien betreffend von internationalen Presseagenturen, von Rundfunksendern anderer kommunistischer Staaten (besonders aus Jugoslawien) und von vertrauenswürdigen Personen, die dienstlich oder privat das westliche Ausland bereisten.

Wie schützte sich der Sender vor "Enten"?

Es gab selbstverständlich Versuche, uns Falschmeldungen aus Rumänien zuzuspielen. Im Zweifelsfall verzichteten wir lieber auf eine Meldung, für die wir keine Bestätigung von unabhängiger Stelle hatten, als dass wir sie über den Äther schickten.

Welches waren die Sternstunden Ihrer Arbeit beim RFE?

Zweifellos das tragische Erdbeben von März 1977, als die rumänische Sendeabteilung sofort auf eine durchgehende Sendezeit (24 Stunden täglich) umschaltete und ebenso die Nachrichtenbrücke, die infolge dieses Ereignisses entstanden ist. Erstaunlicherweise gestatteten die rumänischen Behörden den Bürgern, beim Sender in München anzurufen und via RFE ihren im Ausland lebenden Angehörigen und Freunden ihr persönliches Schicksal nach dem Erdbeben zu schildern. Diese Nachrichtenbrücke funktionierte zwei bis drei Wochen lang, bis die rumänischen Behörden wieder Herr der Situation im Lande wurden und solche Ferngespräche nicht mehr schalteten. - Der zweite und absolute Höhepunkt waren die Tage vom 16. bis 31. Dezember 1989, als der Sender rund um die Uhr über den Sturz Ceaucescus und die Ereignisse im Land berichtete.

Bestanden für Sie besondere Einschränkungen oder Gefahren?

Wir wurden angehalten, unsere vor dem Sendegebäude geparkten Autos vor dem Einsteigen genauer in Augenschein zu nehmen, auch manchmal die Fahrtrouten zu ändern. Man kann aber sicher nicht von einer permanenten Bedrohung sprechen.

Und doch gab es mysteriöse Todesfälle und Anschläge auf Mitarbeiter der rumänischen Abteilung.

Ja, tatsächlich. Der beliebte DJ Cornel Chiriac, der in Rumänien die Jugendsendung "METRONOM" moderierte und der nach seiner Flucht bei RFE dieselbe Sendung fortsetzte, wurde in Schwabing auf offener Straße von einem jungen Mann ermordet. Ob dieser im Auftrag gehandelt hat oder ob es eine private Fehde war, konnte im anschließenden Prozess nicht geklärt werden. Außerdem kamen vier Direktoren der rumänischen Sendeabteilung auf mysteriöse Weise oder durch plötzlich auftretende Krebserkrankungen ums Leben. Auch hier ist man mit der Aufklärung nicht weiter gekommen. Es ist aber mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die berüchtigte Securitate ihre Hände im Spiel hatte. Ich erinnere auch an den bekannten Kommentator für rumänische Innenpolitik, Emil Georgescu, der in der Tiefgarage seines Wohnhauses in München-Haar durch 24 Messerstiche schwer verletzt wurde und schließlich in einem Münchner Krankenhaus an Krebs verstarb.

Wieso wählten Sie gerade das Pseudonym "Mircea Ioanid"?

Eines Tages, als ich die Nachrichtensendungen eigenverantwortlich redigierte, verlangte man von mir, ich solle mir ein Pseudonym zulegen. Spontan nahm ich "Mircea Ioanid".

Gab es Spitzel beim Sender? Ich nehme an, die Mitarbeiter des Senders waren der Securitate bekannt.

Sicher. Was die rumänische Sendeabteilung anbelangt, kann ich keine konkreten Angaben machen. In den anderen Abteilungen, namentlich der tschechoslowakischen und polnischen, kam es mehrmals vor, dass in Prag bzw. Warschau Personen vor die Presse gingen und erklärten, sie hätten mehrere Jahre in den betreffenden Sendeabteilungen gearbeitet und hätten mit dem nun erfolgten Auftreten vor der Presse ihre Mission in München beendet.

Wie haben Sie den Anschlag auf RFE am 21. Februar 1981 in München erlebt? Wer waren die Drahtzieher?

Zur Zeit des Bombenanschlags lag ich mit einer schweren Grippe zu Hause im Bett. Nach den bisherigen Ermittlungen war es die Securitate, die angeblich im Auftrag von Ceaucescu an den berüchtigten Terroristen Carlos eine Million Dollar bezahlt hat. Der Prozess gegen Johannes Weinrich ist meines Wissens noch im Gange. Ob jemals die Wahrheit ans Tageslicht kommen wird, das bezweifle ich sehr. Die Geheimdienste plaudern nicht gern und wenn etwas von ihnen zu hören ist, sind es meistens Falschmeldungen.

Nach aktuellen Presseberichten soll Weinrich im Auftrag der Securitate 15 Kilogramm Sprengstoff beim Sender RFE abgelegt haben. Ziel, so die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift, sei der damalige Leiter der Rumänienabteilung, Emil Georgescu, gewesen. Der im Exil lebende Dissident sollte ermordet werden.

Wenn es sich erweisen sollte, dass der rumänische Geheimdienst an dem Anschlag beteiligt war, müsste der rumänische Staat Schadensersatz zahlen.

Wurde die rumänische Abteilung von RFE nach dem Umsturz geschlossen?

Nein, sie arbeitet seit Mitte Juni 1995 in Prag. Bestimmte Abteilungen, wie die ungarische, tschechische und polnische, haben ihren Sendebetrieb eingestellt.

Wie beurteilen Sie aus heutiger Sicht die effektive Wirkung von RFE in den Ostblockstaaten?

Die Menschen wurden über die tatsächliche Lage in ihren eigenen Ländern informiert. Und nichts, aber auch gar nichts fürchteten die kommunistischen Machthaber mehr als die wahre Information. So hat RFE - wie in seinen Statuten festgeschrieben - zu seiner Selbstauflösung die wertvollste Arbeit geleistet. Denn in den Statuten heißt es, dass der Sender seine Arbeit einstellt, sobald in den Zielstaaten Presse- und Informationsfreiheit wieder hergestellt ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

Link: Radio Free Europe

Schlagwörter: Interview, Medien

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