15. Februar 2003

Siegfried Helmut Habicher

Ein besonderes Faschingsereignis ist die alljährliche Kür des "Siebenbürgischen Ritters wider den tierischen Ernst". Initiator und Betreuer der Veranstaltung ist Siegfried Helmut Habicher, der vor 59 Jahren in Hermannstadt geboren wurde und zurzeit in Rottweil - zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb - lebt. Mit dem früheren Hochschullehrer und derzeitigen Kulturmanager und Schriftleiter führte Robert Sonnleitner das folgende Interview. Weitere Infos auf der Webseite www.habicher.de.
Herr Habicher, vor einer Woche wurde in Rottweil (Baden-Württemberg) der "Siebenbürgische Ritter wider den tierischen Ernst" gekürt. Was ist das für eine Veranstaltung und seit wann gibt es sie?

Das ist ein Faschingsball von drei oder mehreren Kreisgruppen aus Baden-Württemberg, mit einer besonderen Attraktion, nämlich der Ritterkür. In dieser Form gibt es die Veranstaltung seit 1985.

Was war die Initialzündung für diese Ritterkür?

Zumindest ein Zufall kam uns dabei zu Hilfe: Freund und Landsmann Paul Schuller spielt für die Rottweiler Stadtkapelle die Basstuba und nimmt regelmäßig an den Fasnacht-Umzügen, vorrangig am Rottweiler Narrensprung, teil. Als er mir nach einem dieser Umzüge der frühen 80er Jahre erzählte, dass seine Tuba vor Kälte keinen Ton hervorgebracht hatte, musste ich unwillkürlich an Münchhausen, den Lügenbaron, denken. Nachdem wir unserer Phantasie eine Weile freien Lauf gewährt hatten, beschlossen wir, während der "Fuesendäch" etwas Närrisches zu veranstalten ...
Glück hatten wir obendrein mit dem damaligen Bundesvorsitzenden, Dr. med. vet. Wolfgang Bonfert, der spontan zusagte, zum zweiten Siebenbürgischen Ritter wider den tierischen Ernst gekürt und geschlagen zu werden. Zum ersten Ritter hatte ich kurzerhand Paul Schuller erklärt, indem ich ihm eine zum Orden hochstilisierte Sportmedaille Dinkelsbühler Herkunft verlieh.

Spielt die siebenbürgische Tradition eine Rolle bei der Ritterkür?

Es ist natürlich das Richtfest, das hier Pate stand.

Wer organisiert diese alljährliche Veranstaltung?

Zu den Organisatoren gehören nur wenige Landsleute. In dem Maße, wie diese Zahl dank der gekürten Ritter zunahm, ergab sich die Notwendigkeit eines organisatorischen Rahmens. Also nannten wir uns als Arbeits- und Förderkreis: "Foederatio Saxonica Transsilvana / World Federation of Transylvanian Saxons"

Aus welcher Motivation heraus engagieren Sie sich?

Ich bin ein Freiheit liebender Sachse, der seine Herkunft zur Hälfte aus der Donaumonarchie Österreich-Ungarn (laut R. Musil Kakanien) herleitet, und für den Humor Kultstatus hat.

Wie kann man sich für den Titel qualifizieren? Welche Voraussetzungen muss man mitbringen, um einen "Doktor humoris causa" zu ergattern?

Es ist ganz einfach: Humorvoll schreiben oder heiter leben. Für den "Humoristen des Alltags" zeichneten wir beispielsweise den in Hermannstadt lehrenden Universitätsdozenten Udo-Peter Wagner aus.

In diesem Jahr wurde der Bundes- und Föderationsvorsitzende Volker Dürr zum "Siebenbürgischen Ritter wider den tierischen Ernst" gekürt. Was war dabei ausschlaggebend?

Den Ausschlag gaben hierbei sein weltweites Engagement für das Völkchen der Siebenbürger Sachsen und sein ausgeprägter Sinn für Humor.

Als "Rottweiler Rittergalerie" bezeichnen Sie die bislang gekürten Ritter. Wer gehört dazu?

Schwerpunktmäßig stellen Poeten und Sachsenpolitiker die Mehrheit, nämlich je fünf Vertreter. Bei den Poeten ist eine Einteilung in Mundartautoren - Karl Gustav Reich und Paul Rampelt - und Hochsprachler möglich. Zu Letzteren gehören so bedeutende Schriftsteller wie Hans Bergel (Großraum München), Walter Myss (Innsbruck) und der jüngst bei Tübingen verstorbene Georg Scherg.

In vielen Orten in Siebenbürgen war der alljährliche Richttag (meistens der Aschermittwoch) Höhepunkt des gesellschaftlichen Lebens. Rings um den Richttag wurden Feste gefeiert mit Umzügen, Maskierungen und einem (Faschings)Ball für Erwachsene. Was war Gegenstand des Richttages?

Ähnlich wie bei unserem Fest wurden Zeitgenossen für ihr Tun und Lassen gerichtet. Doch anders als bei uns in Rottweil, wurde nicht nur positives Wirken verzeichnet und durch ein heiteres Fest belohnt.
Durch das Urzellaufen pflegen die Agnethler einen Handwerkerbrauch aus dem 17. Jahrhundert: Die Urzeln begleiteten das Forttragen der Zunftlade vom alten zum neuen Zunftmeister und versuchten durch Peitschenknallen und mit lauten Kuhschellen die bösen Geister fernzuhalten. Derlei Bräuche sind auch in der schwäbisch-alemannischen Fastnachtstradition anzutreffen.
Über die Urzeln wird am 28. Februar Irmgard Sedler, Doktorandin der Volkskunde, in Stuttgart referieren. Ich möchte ihr nicht vorgreifen, zu diesem Diavortrag jedoch herzlich einladen.

Was unterscheidet den Rottweiler Faschingsball - hierzulande eher als Fasnetsball bekannt - von dem Fasching, wie man ihn als Siebenbürger Sachse in der alten Heimat feierte?

Vor allem die von den Teilnehmern zurückgelegten Entfernungen. Bei unserem bunten Fest kommt dann noch die humorig-karnevalistische Komponente hinzu, wie sie beispielhaft in der Urheimat unserer Vorväter, im Großbistum Köln, üblich ist. Von daher war es höchste Zeit, aus diesem Teil Deutschlands einen Ritter zu küren, der obendrein auch noch in Aachen studiert hat.

Seit wann leben Sie in Deutschland? Was bewog Sie, Siebenbürgen zu verlassen?

Ich kam 1978 aus Anlass einer Tagung der Internationalen Robert-Musil-Gesellschaft nach Deutschland. Was mich bewog, nicht nach Siebenbürgen zurückzukehren, war die Unfreiheit in dem damals absolutistisch regierten Rumänien.

Womit beschäftigten Sie sich in Rumänien, womit beschäftigen Sie sich hier?

In Rumänien hatte ich das Glück, ähnlich wie meine Klausenburger Studienkollegen Udo-Peter Wagner, Peter Motzan oder Stefan Sienerth, oder auch meine Bukarester Studienkollegin Karin Servatius, die Begeisterung für die Literatur beruflich vermitteln zu dürfen. Literaturwissenschaft habe ich in Deutschland nur noch nebenher praktiziert. Was aber nicht weniger interessant war und ist, nämlich in der kommunalen Kulturszene Trossingens fast ein Jahrzehnt lang hauptamtlich mitzumischen, um dann - nach der Privatisierung des Kulturbetriebs - die städtische Wochenzeitung als Schriftleiter zu übernehmen, das praktiziere ich bis heute.

Welchen Stellenwert hatte das Werk des österreichischen Schriftstellers Robert Musil für Sie?

Einen kaum zu überschätzenden! Sowohl meine Diplom- als auch meine Doktorarbeit waren dem Werk dieses großen Österreichers gewidmet. Dass ich Letztere nicht fertig stellte, hat dann ursächlich mit der Musil-Gesellschaft zu tun, deren Einladung nach Marbach am Neckar mir mit dem ersten Reisepass meines Lebens auch zur heiß ersehnten Freiheit verhalf.

Seit 1993 betreuen Sie auch die "Stuttgarter Vortragsreihe". Wie ist die Reihe entstanden?

Begründet hat sie 1974 Hermine Höchsmann, die damalige Kulturreferentin der Landesgruppe Baden-Württemberg. Die Biologie- und Sportlehrerin war bis 1984 für die Stuttgarter Vorträge zuständig. Es folgten Manfred Huber und Otto Depner.

Haben Sie noch andere ehrenamtliche Aufgaben übernommen?

Ja, ich bin Kassenwart des Kommunalen Kinos Trossingen und war zwei Legislaturperioden lang Vorsitzender des Personalrats der Stadt Trossingen. Heute bin ich als Geschäftsführer für diese Tätigkeit anteilig freigestellt. Im geschäftsführenden Vorstand der Landesgruppe Baden-Württemberg der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen bin ich einer der drei stellvertretenden Vorsitzenden. Zugleich wurde mir die Leitung des landsmannschaftlichen Kulturreferats auf Landesebene anvertraut.

Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation der Brauchtums- und Heimatpflege in Baden-Württemberg?

Ich kann nicht klagen. Wir werden in unserer Arbeit nach wie vor durch den Kurs der Regierung unterstützt. 2003 - Zufälle gibt's! - finden die Baden-Württembergischen Heimattage in Rottweil statt. Die Siebenbürger Sachsen nehmen am Festumzug der Trachtenträger am 14. September mit mindestens einer Tanzgruppe teil.

Hat der Inhalt des Wortes "Heimat" in unserem heutigen Medienzeitalter noch eine Zukunft?

Ich bin davon fest überzeugt. Auch wenn man bei der Definierung dieses Begriffes flexibler wird sein müssen, als das bislang der Fall war. Ich sehe beispielsweise das Begriffspaar Heimatliebe und Weltbürgertum als die zwei Seiten ein und derselben Medaille, oder, um mit Goethes Faust zu sprechen, als die zwei Seelen in unser aller Brust.

Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.

Link: www.habicher.de

Schlagwörter: Interview, Kultur, Foederatio Saxonica Transsilvana

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