1. Februar 2003

Gerold Hermann

Die traditionsreiche Brukenthalschule in Hermannstadt hat sich nach der politischen Wende und dem Massenexodus der Siebenbürger Sachsen grundlegend geändert. Dennoch genießt die Einrichtung nach wie vor ein hohes Ansehen als Träger deutscher Kulturwerte. Das heutige E-Mail-Interview führte Robert Sonnleitner mit dem Direktor der Brukenthalschule, Gerold Hermann. Der 46-jährige Schulleiter ist über die E-Mail-Anschrift gerold.hermann@brukenthal.isjsibiu.ro zu erreichen.
Herr Hermann, Sie sind bereits im fünften Schuljahr Direktor des Samuel von Brukenthal Gymnasiums in Hermannstadt. Sind Sie ein gebürtiger Hermannstädter?

Ja! Nach dem Bakkalaureat an der Brukenthalschule studierte ich in Bukarest und kehrte danach nach Hermannstadt zurück.
Sie sind ausgebildeter Chemielehrer. Wo haben Sie bisher unterrichtet?

Am Pädagogischen Lyzeum in Hermannstadt, wo ich seit 1990 stellvertretender Schulleiter war. Bis 1990 unterrichtete ich auch in den deutschsprachigen Klassen des Textillyzeums.

Warum wollten Sie ausgerechnet Lehrer werden?

Das lag wohl in der Familie, sowohl mein Vater als auch der Großvater unterrichteten in Hermannstadt. Ich kann mich nicht an gezielte, rationelle Überlegungen erinnern. Die Entscheidung fiel in der Ceausescu-Zeit. Dass man ein lebbares Inseldasein an den deutschsprachigen Schulen und Abteilungen führen konnte, wusste ich von daheim.

Warum sind Sie nicht ausgewandert?

Es gab für mich einfach keine zwingenden Gründe. Ich hatte das Glück, in Rumänien immer auch positive Aspekte wahrnehmen zu können - ohne natürlich gewesene oder gegenwärtige Katastrophen zu übersehen.

Als ich in den achtziger Jahren in das „Bruk“ ging, hieß es offiziell "Liceul de Matematica si Fizica Nr. 1" bzw. "Brukenthal-Lyzeum". Was hat sich außer dem Namen nach der Wende geändert? Wie hat sich die Schule in den letzten 14 Jahren entwickelt?

Die ethnische Zusammensetzung der Schülerschaft hat sich inversiert: Im Moment kommen 90% der Schüler aus rumänischsprachigen Familien, Deutsch ist Arbeits- bzw. Zweitsprache. Machen wir uns nichts vor: Das Interesse der Mehrheitsbevölkerung am deutschsprachigen Schulwesen ermöglicht erst dessen Fortbestand in einigen größeren Städten. An der Ausreisewelle hat die Institution Schule wohl kaum eine "Schuld" gehabt, wir können diesen Prozess bedauern, müssen aber unter den gegebenen Umständen versuchen, das Beste daraus zu machen, ohne eine für immer vergangene Zeit dauernd heraufbeschwören. Die Brukenthalschule hatte in der Diktatur eine andere Rolle als jetzt in unserer - wenn schon nicht wirtschaftlich, dann zumindest geistig -weitgehend freien Welt. Ich glaube, wir bemühen uns mit ziemlichem Erfolg, eine "gute Schule" zu sein - nach allgemein gültigen Kriterien.

Einige Rumänen bezeichneten früher die Brukenthalschule augenzwinkernd als "Scoala de muzica si bune maniere". Gibt es noch die traditionellen Tanzstunden mit dem obligatorischen Beibringen von "guten Manieren", gibt es noch den Chor, die Blasia, Tanzgruppe, Misswahl, den Fasching, die Hüttenabende-Wochenendpartys mit Schulband oder die Ausflüge auf die Prejba?

Das Angebot der Brukenthalschule außerhalb der Unterrichtsstunden ist in Hermannstadt konkurrenzlos. Wir versuchen das Bewährte weiterzuführen, allerdings nicht um jeden Preis und mit allen Mitteln. Die Tanzstunden für die Neuntklässler, Misswahl und Fasching in der jedes Mal völlig überfüllten Aula sind wichtige Punkte im Schülerleben, die Volkstanzgruppe konnte sich vor Anmeldungen (seitens der Mädchen) in den letzten Jahren kaum retten, der Chor probt weiterhin. Allerdings haben wir keine Blaskapelle mehr und im Moment auch keine Schulband. Skilager auf der Prejba sind nichts für Schüler, die aus der Familie kaum Wandererfahrung mitbringen.
Dafür hat aber die Theatergruppe ein Niveau erreicht, das es mit dieser Beständigkeit noch nicht gab. Wir führen viele Kooperationsprojekte mit Schulen aus dem Ausland (Deutschland, Ungarn, Österreich usw.) durch. Wie früher vereint die meisten Lehrer, Schüler und Eltern die Überzeugung, dass Schule mehr als nur Unterricht bedeutet - das ist das Wichtigste. Bei der Umsetzung dieses Konzepts muss man mit einem Wandel rechnen - überall. Das Image einer Schule, an der nur „gesungen und gesprungen“ wird, haben wir nicht mehr - falsch war das Bild ja schon immer. Die Schülerwettbewerbe ("Olympiaden") haben in der rumänischen Öffentlichkeit nach wie vor einen hohen Stellenwert. Die Brukenthalschüler überzeugen auf Kreisebene mit Spitzenplätzen nicht nur in Deutsch, sondern auch in Mathematik, Geschichte, Englisch, Philosophie und anderen Fächern. Die guten Prüfungsergebnisse besorgen den Rest. Vor zwei Jahren wurden aus dem Kreis Hermannstadt zehn Schüler zum Informatik-Landeswettbewerb zugelassen – fünf davon kamen von uns!

Was halten Sie vom deutschen Lernsystem?

Ich hatte die Chance eines einjährigen Fortbildungsaufenthaltes in Deutschland. Wichtigste Schlussfolgerung: Es gibt "das deutsche Lehrsystem" nicht, sondern eine Vielzahl von Schulformen und erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. Es gibt viele Dinge, die ich gerne an der Brukenthalschule hätte. Aber auch die erfreuliche Einsicht, dass wir keineswegs mit allen Problemen dieser Welt konfrontiert sind. Schulen in Westeuropa haben auch ihren Anteil und kochen mit Wasser, wie wir auch.

Wie hat Rumänien eigentlich bei der Pisa-Studie abgeschnitten?

Rumänien kommt in der Statistik nicht vor. Weshalb das Land nicht teilgenommen hat, weiß ich nicht.

Mit welchen Problemen haben Sie tagtäglich zu kämpfen? Wie steht es um die Ausstattung von Laboren oder Computerräumen?

Wir haben Zweischichtbetrieb: Jeder Klassenraum wird am Vormittag von einer Lyzealklasse und am Nachmittag von Schülern der Klassen 5 - 8 genutzt. Der Wechsel erfolgt zwischen 13.50 und 14.00 Uhr. Dafür erlauben wir uns den "Luxus", die Fachräume nicht auf Dauer mit Schülergruppen zu besetzten. Da wir keine Sporthalle haben, wird im Winter immer noch in der Aula geturnt! Angesichts der miserablen Bezahlung der Lehrer in Rumänien stellt sich ein Schulleiter freilich die Frage: „Wie viel darf oder soll ich fordern, wissend, dass die Lehrer von ihrem Lohn nicht leben können?“
Zu unserer Freude hat das Ministerium für Bildung und Forschung einen der beiden Computerräume im letzten Jahr mit Markenware komplett neu ausgestattet, bei diesem Kapitel stehen wir ausgezeichnet.

Wer sind die Schüler und Lehrer des heutigen Bruk?

Unsere Schüler sind Kinder und Jugendliche, die von ihren Eltern in eine deutschsprachige Gruppe des Kindergartens eingeschrieben wurden. Das setzt meist auch die Bereitschaft der Eltern voraus, ihre Kinder gezielt zu fördern. Daher gehören unsere Schüler, auch in den Klassen 5-8, nicht zum "normalen" Durchschnitt. Auch die Erwartungshaltung der Eltern ist sehr groß. Wenn sie mal auf dieser Sprach-Schiene sind, wollen fast alle Schüler nach der 8. Klasse bei uns im Lyzeum weiterlernen.
Unter den Lehrern gibt es noch immer viele Idealisten, was fast schon ein Wunder ist. Ungefähr ein Drittel davon sind Deutsch-Muttersprachler, für ein anderes Drittel ist Deutsch Arbeitssprache. Weitere Kollegen unterrichten auf Rumänisch: Landesprache, Fremdsprachen, einige Stunden Sport und Informatik.

Welche Politik verfolgen Sie bei der Aufnahme neuer Schüler? Wie viele Schüler können Sie pro Jahrgang aufnehmen? Gibt es Quotenplätze für Deutsche?

Als staatliche Schule können wir keine eigene Politik verfolgen, das Aufnahmesystem wird durch das Ministerium in Bukarest festgelegt. Für jeden Schüler wird eine Aufnahmenote errechnet (25 % Notenschnitt der Klassen 5-8, 75 % Durchschnittsnote der Abschlussprüfung nach der 8. Klasse - "Examen national de capacitate" - in den Fächern Rumänisch, Deutsch, Mathematik und Geschichte der Rumänen oder Geographie Rumäniens). Nach dieser Aufnahmenote und ihren Optionen werden die Schüler dann per Computer auf die Lyzeen verteilt. Wir haben etwa doppelt so viele Anwärter als Plätze. Das ist für die Schule natürlich gut, für Schüler und Eltern leider ein Riesenstress. Seit letztem Jahr können wir durch räumliche Reorganisation vier 9. Klassen aufnehmen, die Klassenstärke beträgt laut Vorschrift 28. Quotenplätze für Deutsche kann es bei diesem landesweit einheitlichen System keine geben.
Weshalb ist die Schule bei der rumänischen Bevölkerung so begehrt?

Sie bietet bessere Zukunftschancen für die Absolventen - die Beherrschung der deutschen Sprache bedeutet eine Zusatzqualifikation, die bei der Bewerbung für gut bezahlte Jobs zum Tragen kommt. Die meisten schätzen auch den "Geist", die Atmosphäre, die Organisation und das Schulleben. Allerdings wird es uns nicht gelingen, allen Erwartungen gerecht zu werden.
Sind Sie mit der Lernbereitschaft und den Leistungen Ihrer Schüler zufrieden?

Alle Lyzeaner bestanden in den letzten Jahren die Bakkalaureatsprüfung und die Prüfung für das deutsche Sprachdiplom. Die Zahl derer, die nicht studieren, ist statistisch irrelevant. Also kann ich ja global nur in aller Ehrlichkeit zufrieden sein! Wenn wir die Haltung einiger Schüler (natürlich sind bei insgesamt 700 einige am falschen Platz!) oder die vorübergehende Stimmung in einigen Klassen nicht mit Sorge verfolgen würden, wäre das tödliche Selbstzufriedenheit.
"Um diese Schüler kann uns die halbe Welt beneiden", sagten sie kürzlich in einem Gespräch mit der „Frankfurter Rundschau“. Sind Sie stolz darauf, Direktor einer deutschen Eliteschule in Rumänien zu sein?

Ich kann mit Begriffen wie „Stolz“ und „Eliteschule“ nichts anfangen. Ich investiere freiwillig viel Zeit in meine Arbeit, nicht zuletzt weil die Konstellation zurzeit günstig ist: Schüler, Inspektorat, Bürgermeister, Bedingungen. Wenn sich da etwas Entscheidendes zum Unguten ändert, so schreckt mich die Vorstellung, als "normaler" Lehrer eine viel ruhigere Kugel zu schieben, gar nicht ab. Dann wäre auch Zeit, sich nach einträglichen Nebenjobs umzusehen...

Noch gibt es in Hermannstadt eine deutsche Zeitung, eine deutsche Kirche, ein deutsches Theater. Wie lange wird es ihrer Meinung nach noch ein deutsche Schule geben?

Ich bin kein Prophet. Von den genannten Institutionen haben wir sicher nicht die schlechtesten Karten...
Wo findet man weitere Informationen über das Bruk? Hat die Schule eine offizielle Homepage?

Wer sich über unser heutiges Sein umfassend informieren will, kann das "Jahrbuch 2000 - 2002" gegen Zusendung von 5 Briefmarken à 0,56 Euro (Selbstkostenpreis + Porto) unter folgender Adresse bestellen: Colegiul National "Samuel von Brukenthal", CP 1-141, RO-2400 Sibiu. Unsere Homepage finden Sie unter http://www.brukenthal.ro.

Vielen Dank für das Gespräch.

Link: www.brukenthal.ro

Schlagwörter: Interview, Kultur, Brukenthalschule

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