16. Dezember 2006

10 Jahre Theatertruhe Nürnberg-Nadesch und Trachtentanzgruppe Nadesch e.V.

Zehnjähriges Jubiläum der Theatertruhe Nürnberg-Nadesch und der Trachtentanzgruppe Nadesch e.V. Wo und wie soll das gefeiert werden? Mit welchen inhaltlichen, mit welchen gestalterischen Akzenten? In welchem Rahmen? Mit welchen Gästen? Nach langfristigen Planungen und minutiösen Vorbereitungen gab es am dritten November-Wochenende in Zirndorf bei Nürnberg eine klare Antwort auf all die Fragen.
Es gibt in unserem Leben Menschen, die Zeichen setzen, die uns dem Alltagstreiben entreißen, die uns beglücken. Grete Lienert-Zultner hat für uns Siebenbürger Sachsen gut vernehmbare Zeichen gesetzt. Menschen, die in ihrem Sinne weiter wirksam sind und runde Jahresdaten, wie hundert Jahre seit ihrer Geburt und zehn Jahre seit der Begründung der Theatertruhe Nürnberg-Nadesch sowie der Trachtentanzgruppe Nadesch e.V., als gut überlegten Jubiläumsanlass nehmen, setzen ebenso Zeichen. Davon soll hier die Rede sein.

An zwei Tagen – viele, viele, viele wollten (und konnten) dabei sein – war die geräumige Paul-Metz-Halle fest in Nadescher Hand. Nicht allein aus Nürnberg und Fürth, aus Herzogenaurach oder Schwabach, sondern ebenso aus Würzburg, aus Frankfurt, Ingolstadt oder Köln kamen Menschen, die mitfeiern, den Geist, die Worte, die Lieder von Grete Lienert-Zultner genießen wollten. Das Jahr 2006 stand an vielen Orten, wo siebenbürgisch-sächsisches Leben Alltag und Festtage begleitet, auch im Zeichen von Grete Lienert-Zultner (1906-1989), eine der hoch geschätzten Erzieherpersönlichkeiten der Siebenbürger Sachsen. Diese Frau hat der siebenbürgisch-sächsischen Seele Ausdruck verliehen mit wohltuendem Wiedererkennungseffekt in Wort und Ton und Bild, wie wenige unserer ganz Großen. Zart und tiefsinnig zugleich, ansprechend und anschaulich, dichterisch und musikalisch geschickt zusammengefügt, vermittelt ihr Werk Lebensfreude, Zufriedenheit und ungemeinen Realitätssinn, beschwört das sichere Fundament realistischen Traditionsbewusstseins ebenso wie eines festen Glaubens, ohne seine Gefährdungen auszuklammern. Dieses einmalige Lebenswerk und Vermächtnis Grete Lienert-Zultners hat sich bewährt, hat Bestand. Dies hatte in Nürnberg im Mai dieses Jahres der Liedernachmittag „Wat u menjem Wiech gebläht“ zu Ehren der Jubilarin unter Federführung des Fürther Chores vermittelt, dies dokumentierte nun, an der Neige dieses Erinnerungsjahres, der eindeutig auf das Wirken dieser Persönlichkeit bezogene inhaltliche Kern des Nadescher Jubiläums in Zirndorf.

Die Trachtentanzgruppe Nadesch beim Jubiläum.
Die Trachtentanzgruppe Nadesch beim Jubiläum.

In ihren einfühlsamen einführenden Worten - sie standen unter dem Motto „Motivation für die Zukunft kommt aus der Kraft der Tradition“ - wies Alida Henning, Leiterin der Theatertruhe, darauf hin, dass wir oft gefragt würden, „wieso wir Tradition und Brauchtum nach so vielen Jahren immer noch hoch halten und pflegen, wo wir doch längst in unsere neu gefundene Heimat integriert“ seien? Was für Gründe gäbe es für das Bemühen um den Fortbestand unseres Zusammenhalts und der Gemeinschaft? Ihre Antwort war klar und deutlich: „Wer sich diese Fragen stellt, der fragt gleichzeitig auch nach seiner Herkunft und nach seiner Heimat, der fragt nach seiner Kindheit und nach seiner Vergangenheit. Der fragt auch, wie lange wird das so noch halten und Bestand haben“, und fügte hinzu: „Die Pflege von Überlieferungen ist keineswegs ein Verharren in dem ewig Gestrigen, sondern ein Weitertragen von nützlichen Wertvorstellungen, gerade in einer Zeit, in der die Werteverluste in unserer Gesellschaft so sehr beklagt werden. (…) Wir Siebenbürger Sachsen haben bisher auf besondere Art und Weise eine feine Balance zwischen Tradition und Zukunftsorientierung gefunden.“ Das von Alida Henning Gesagte wurde im Folgenden in festlichem Rahmen überzeugend bewiesen.

Richtig launig begrüßt wurden von Alida Henning, Gründerin und Leiterin der Theatertruhe, und Werner Henning, Gründer und Leiter der Trachtentanzgruppe, als besondere Ehrengäste Ilse und Armin Langmann, Pfarrer der Nikodemusgemeinde Nürnberg-Röthenbach (eine Art strategischer Stützpunkt der Nadescher in Nürnberg), Helmine Buchsbaum, Nürnberger Stadträtin und Kreisvorsitzende der Banater Schwaben, seitens der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen die Stellvertretende Bundesvorsitzende Doris Hutter, die Kreisgruppenvorsitzende Inge Alzner sowie die Stellvertretenden Vorsitzenden Hildegard Steger und Gerhard Berner, Kulturreferent Michael Orend, Horst Göbbel, Vorsitzender des Hauses der Heimat Nürnberg, Lehrerin i. R. Inge Karin Fronius, Dr. Hans Richard Lienert, Sohn von Grete Lienert, Grete Fredel, Tochter von Grete Lienert, Reinhold Baier und Christine Baier, ehemalige Lehrer in Nadesch, Wilhelm Stirner, ehemaliger Musikprofessor des Pädagogischen Lyzeums in Hermannstadt und zurzeit Musiklehrer in Forchheim.

Dr. Markus Söder schreibt in der sehr informativen Festschrift zum Jubiläum treffend: „Als Sie in die neue Heimat kamen, war vieles anders, aber eines ist geblieben: der Bezug zur alten Heimat, das Bekenntnis zum Brauchtum und die Fortsetzung der familiären Tradition.“ Bürgermeister Horst Förther meint, bei den Nadeschern kämen „Heimatliebe und Weltoffenheit zusammen“ und betont die Bedeutung für die Kommune, wenn er festhält: „Als Teil der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen bereichern die Nadescher darüber hinaus die kulturelle Vielfalt unserer Stadt, unseres Landes.“ Stadträtin Helmine Buchsbaum weist darauf hin, dass die Nadescher „Heimat im Herzen erleben lassen“ und damit eine „Brücke von gestern zu heute, von hier zu dort“ schaffen, während Pfarrer Armin Langmann (laut Werner Henning ist er längst integriert in die HOG Nadesch) in seinem viel beachteten Grußwort daran erinnerte, dass die Nadescher sich nicht „wie ein Museumsverein verhalten“ sondern mit beiden Beinen heute hier im Leben stehen und wissen, was Spaß macht, was Gemeinschaft zusammenhält“. Er erinnerte gleichzeitig daran, dass Singen und Tanzen nicht Vergangenheitsbewältigung seien, sondern „praktische Umsetzung von christlichen Werten, wo Feiern neben Arbeit lebensnotwendig ist.“ Eigentlich wie Grete Lienert-Zultner. Und Kreisgruppenvorsitzende Inge Alzner brachte es auf den Punkt, als sie feststellte: „Der heutige Theater- und Tanznachmittag ist die Krönung zehnjähriger, mit Herzblut und viel Idealismus durchgeführter Arbeit.“ Kultur, die wir aus Siebenbürgen mitgebracht haben, lebe hier weiter „vom freiwilligen Engagement, von der Kreativität, vom Gemeinschaftssinn der Menschen, die sie pflegen. Wir halten an Bewährtem fest, sind zugleich für Neuerungen jederzeit offen.“

Bühnenreife Leistung: Die Theatertruhe Nürnberg-Nadesch.
Bühnenreife Leistung: Die Theatertruhe Nürnberg-Nadesch.

Anmutig und jugendfrisch führten Anja Wolf und Katharina Henning durch das Programm der Tanzgruppe, die sowohl in jungsächsischer als auch in traditioneller Nadescher Tracht auf der Bühne erschien. Tanzen, das sei ein Telegramm an die Erde mit der Bitte um Aufhebung der Schwerkraft, soll Fred Astaire gesagt haben. Hier auf der Jubiläumsfeier, als die Nadescher Trachtentanzgruppe auftrat, konnte man auch ganz andere Vorzüge des Tanzens in Augenschein nehmen. Unbändige Lust auf rhythmische Bewegung, Lust am gleichmäßigen, musikalisch und taktmäßig bestimmten Zusammenwirken, pure Freude an der gelungenen Gemeinschaftsleistung – all das war deutlich zu sehen und zu spüren. In der Nadescher Trachtentanzgruppe ist Feuer drin, hier wird Gemeinschaftsgeist fröhlich und flott unter der Leitung des geschätzten Antreibers und Könners Dieter Altstädter gelebt. Dies hatten bisher an verschiedensten Orten und zu verschiedensten Anlässen – etwa auf HOG-Treffen, bei Kulturtagen, am Heimattag in Dinkelsbühl, in Deutschland, in Österreich, in Siebenbürgen, beim „Oktoberfest“ in Cleveland oder im „Saxon-Club“ in Youngstown in den USA – viele Menschen genießen dürfen. Auch wenn es beim Jubiläum in den drei aufgeführten Tanzblöcken neue Tänze waren, wie z. B. der Sprötzer Achterrüm (seit Frühjahr 2004 im Repertoire) oder der seit 2005 getanzte Nagelschmied, der beim Tanzseminar der Nürnberger Tanzgruppe in Moorenbrunn im Oktober 2005 einstudierte Rühler Springer, der im April beim Tanzseminar in Nürnberg erlernte Appenzeller Klatschwalzer. Ebenso kam Bewährtes nicht zu kurz: etwa die Nadescher Waldpolka, die vom „Nadescher Ehepaar“ Christine und Hans Wagner, langjährige Leiter der Tanzgruppe, erstmals für den Auftritt beim Oktoberfest 1999 in Cleveland einstudiert wurde, oder der seit 2002 aufgeführte beliebte Kettlinger. Dabei hat der Zuschauer keinerlei Möglichkeit, den farbenfrohen Bühnenhintergund unbeachtet zu lassen, denn Hans Folea-Stamp ließ einmal mehr die Blicke der Zuschauer auf vertrauten Nadescher Gebäuden verweilen. Seine großflächigen lebensfrohen Bühnenbilder wollen wir auch künftig keineswegs missen.

Nach mehreren „Rennern“ – „Der Herr Lihrer kitt“ von Otto Reich, „Am zwin Krezer“ von Anna Schuller-Schullerus, „Det Arfstäck“ von Walter Seydner, „Droa Fronjderkniecht“ von Hans Lienert – alle zunächst im Gemeindesaal der Nürnberger Nikodemuskirche auf ihre Tauglichkeit geprüft und an weiteren Orten (sogar in Bük/Ungarn) vielen Theaterliebhabern gezeigt – wagte sich zum großen Jubiläum das Nadescher Ensemble an ein Singspiel von Grete Lienert-Zultner heran: „Bäm Brännchen“. Eine gute Wahl.

Worum es da geht? Das hübsche Risken gewinnt den Studenten Hans am Brünnchen vor seiner Abreise zu seinem Lehrerstudium nach Deutschland für sich. Sie schwören sich Liebe und Treue und freuen sich bereits jetzt auf das Wiedersehen unter dem blühenden Apfelbaum und auf den Tanz um die Pfingstkrone. Doch die reiche Anni, Tochter des Bürgermeisters, versucht dies zu vereiteln. Ihren Fritz, der sie über alles liebt, verschmäht sie. Vom Postboten ergattert sie den von Hans ans Risken geschriebenen Brief und bringt die beiden Paare mit üblichen Missverständnissen fast auseinander. Dass es am Schluss so kommt, wie die Liebenden sich dies wünschen, ist klar. „Bäm Brännchen“ lebt inhaltlich weniger von der dramatischen Gestaltung, sondern von seinen allseits bekannten siebenbürgischen Themen, seinen festen Wendungen und ganz besonders den musikalischen Höhepunkten. Fast an allen Stellen können die Zuschauer mitsingen. Die Original-Nadescher und zum Teil „eingemeindeten“ Nadescher Laienspieler Horst Kloos, Astrid Wolff, Roswitha Kloos, Heidrun Kloos, Renate Baier, Michael Zakel, Reinhold Henning, Heinrich Schorscher jun., Heinrich Schorscher sen., die Kinder Alexandra Wolff, Lisa Kloos und Marc Kloos, die Chormitwirkenden Renate Baier, Marianne Binder, Christine Henning, Hildegard Herberth, Gerturd Lienerth, Malvine Ludwig, Helga Lurtz, Christa Taub, Alida Henning, Renate Kloos, Roswitha Kloss, Frieda Theiss, Astrid Wolff, Stefan Binder, Horst Kloos, Johann Wagner, Michael Zakel, Dieter Altstätter, Reinhold Henning, Heinrich Schorscher und Richard Taub – sie alle haben unter der klugen und harmonischen Leitung von Alida Henning (Laienspiel) und Wilhelm Stirner (Chor) nicht nur ihr Bestes gegeben (Wochen vorher kamen sie bei den Proben auch in den Genuss unbezahlbarer Hinweise einer theaterversierten Könnerin, Inge Karin Fronius, ehemals am Staatstheater Hermannstadt zu Hause), sondern uns förmlich mit in die Höhen und Abgründe menschlichen Wesens, in die liebgewordenen Sphären volkstümlicher Musik mitgenommen. Dieser im Stück versammelte Liederkranz Grete Lienerts, er war für uns hör- und genießbar. Der Sohn der Autorin, Dr. Hans Richard Lienert, der in seinen Dankesworten den Schwierigkeitsgrad dieses Stückes hervorhob und erzählte, dass seine Mutter es nicht für wahrscheinlich hielt, das dieses Singspiel überhaupt noch aufgeführt werde, „weil man vor allem die Männer“ wenig motivieren könnte, solo zu singen, er fand die treffenden Worte zum Gesehenen und Gehörten: „Meine Lieben, ihr habt uns zu Tränen gerührt, denn unsere Heimat Siebenbürgen war plötzlich gegenwärtig, unter uns, in uns.“

Festgehalten werden soll auf jeden Fall, dass das gesamte Bühnen- und Jubiläumsgeschehen nicht hätte stattfinden können, ohne die „unsichtbaren“ Aktiven: etwa die Souffleuse Gerlinde Baier, die Helfer hinter den Kulissen, Melitta Zakel, Hans Georg Baier (er redigierte gekonnt auch die Jubiläumsschrift), Stefan Baier, Andreas Wolff oder die Kuchenbäckerinnen, die uns zusätzlich den Nachmittag versüßten.

Klar ist natürlich auch, dass ein Jubiläum ein würdiger Anlass ist, den Dank und die Glückwünsche befreundeter Gruppenleiter entgegenzunehmen: etwa die von Johann Schuster von der Tanzgruppe Nürnberg, von Gerhard Berner von den Herzogenauracher Tanzgruppen, von Martin Mehburger von der Alzener Tanzgruppe, oder von der Stellvertretenden Bundesvorsitzenden Doris Hutter, ebenso von der tief gerührten und dankbaren Christine Baier, frühere Lehrerin aus Nadesch, oder von der Theaterkennerin Inge Karin Fronius. Ebenso blieb es nicht aus, besondere Leistungen besonders auszuzeichnen. Die Silberne Ehrennadel des Verbandes der Siebenbürgisch–Sächsischen Heimatortsgemeinschaften wurde Alida Henning verliehen. Als Leiterin der Theatertruhe Nürnberg-Nadesch war sie seit 1996 gewissenhaft, uneigennützig und immer für die Gemeinschaft im Einsatz, organisierte und leitete mit besonders großem Einsatz die vielen Theaterstücke der Gruppe. Eine Ehrenurkunde des gleichen Verbandes erhielten alle Gründungs- und aktuellen Mitglieder der Theatertruhe und der Trachtentanzgruppe für ihren hervorragenden ehrenamtlichen Einsatz. Und die Landsmannschaft, hier vertreten durch Kreisgruppenvorsitzende Inge Alzner, ließ es sich nicht nehmen, ebenfalls Auszeichnungen zu überreichen: der Trachtentanzgruppe Nadesch e.V. für deren beispielhafte siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaftsarbeit, ihren ehrenwerten Fleiß, für die Hingabe, die beispielhafte Geselligkeit, ihren Ernst, wenn es um die Sache geht, für ihren Humor; der Theatertruhe Nürnberg-Nadesch außerdem noch für ihre Bereitschaft, unsere Mundart zu pflegen und weiterzugeben, für ihr beispielhaftes Engagement. Ein Projekt, mit großer innerer Anspannung, mit viel Enthusiasmus geplant, gründlich vorbereitet und ausgezeichnet in die Tat umgesetzt, hat unserem Alltag in diesen insgesamt labilen Zeiten Glanz verliehen. Danke.

Horst Göbbel

Schlagwörter: Jubiläum, Theater, Tanzgruppen, Nürnberg

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