21. September 2010

„Völkerverständigung der besonderen Art“

Am Trachten- und Schützenzug des Münchner Oktoberfests teilzunehmen ist jedes Mal eine große Ehre. Schwärmte nicht einst der Dichter und Lyriker Eugen Roth (1895-1976): „Zu Münchens schönsten Paradiesen zählt ohne Zweifel seine Wiesen!“. Dieses Jahr jedoch stand München ein besonderes Jubiläum bevor, bei dem der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland von der Heimatortsgemeinschaft Großscheuern vertreten wurde.
200 Jahre ist es her, dass der bayerische Kronprinz Ludwig die Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen ehelichte. Aus der damaligen Vermählungsfeier entwickelte sich im Laufe der Jahre das Oktoberfest, wie wir es heute kennen. Erst 25 Jahre später, anlässlich der Silberhochzeit des Königspaares, veranstaltete die Stadt den ersten Trachten- und Schützenzug. Der Festzug feierte am 19. Oktober dieses Jahres also seinen 175. Geburtstag: Zu diesem besonderen Anlass durfte die HOG Großscheuern mit der Blaskapelle Großscheuern ihre Trachten präsentierten.

Schon zum vierten Mal nahm die Heimatortsgemeinschaft Großscheuern am Trachten- und Schützenzug des Oktoberfests teil. Die Blaskapelle marschierte das zweite Mal mit. Einige der Trachtenträger waren bereits bei den letzten drei Teilnahmen dabei. Unter der Leitung von Stefan Groß, erster Vorsitzende der HOG Großscheuern/Nachbarschaft Ingolstadt e.V., war man schon sehr früh in Ingolstadt aufgebrochen, um rechtzeitig am Aufstellungsort zu sein. Einige Großscheuerner reisten in Eigenregie an, da die vielen Teilnehmer aus mehreren Ecken Deutschlands zusammenkamen. 97 Großscheuerner zwischen sieben und 87 Jahren trafen sich vor der Steinsdorfstraße 3 in München. Von 60 teilnehmenden Gruppen hatte die Heimatortsgemeinschaft Großscheuern die Festzugsnummer 40. Es galt also, sich in Geduld zu üben. Die dreistündige Wartezeit nutzte man, um Gruppenfotos zu machen, sich zu unterhalten oder seinem Erscheinungsbild den letzten Schliff zu verpassen.
Teilnehmer des Trachten- und Schützenumzugs ...
Teilnehmer des Trachten- und Schützenumzugs präsentieren die Vielfalt der Großscheuerner Festtracht am Rande der Isar. Foto: Julia Steger
Je länger sich das Warten hinzog, desto ungeduldiger wurden vor allem die Kinder: „Ja klar sind wir aufgeregt. Aber freuen tun wir uns mehr.“, meinte einer der Jungen. Die Blaskapelle spielte für die Wartenden Musik und gab so den Anlass für ein Tänzchen zwischendurch. Nach dem Tanz musste jedoch wieder für den perfekten Sitz der Tracht gesorgt werden. „Manche von uns haben extra für diesen Umzug Teile der Tracht neu anfertigen lassen.“, erklärte eine Teilnehmerin. Pelze wurden restauriert, Hosen genäht, Hemden bestickt, Röcke in die richtige Größe umgenäht. Es hat also viel Zeit und Arbeit gekostet, am Trachten- und Schützenzug des Münchener Oktoberfests teilzunehmen.

Aufwendige Festtracht begeistert

Nach drei Stunden konnten sich die 72 Trachtenträger und 25 Mitglieder der Blaskapelle Großscheuern unter der Leitung von Hans Paul Fuss sen. endlich in Bewegung setzen. In dem ca. drei Kilometer langen Festzug mit ungefähr 9 000 Personen und den vielen Pferdefuhrwerken, Kutschen und Gespannen präsentierten die Großscheuerner die Vielfalt ihrer Festtracht. Bei den Mädchen handelte es sich sozusagen um eine „Grundversion“ der Großscheuerner Festtracht: Über einem bauschigen, weißen Hemd, das an Hals und Ärmeln gereiht ist und am Hals von einer Stecknadel und Brosche zusammengehalten wird, trugen die Mädchen ein mit einer gestickten Blumengirlande bzw. einer Goldspitzenborte versehenes Leibchen und einen leichten Faltenrock mit dazugehöriger, weißer Schürze. Bestickt war die Schürze unter anderem mit dem Namen der ersten Trägerin und dem Jahr der Anfertigung. Den Kopf ziert der „Fruonz“, ein reich besticktes Seidenband, das Schuhwerk ist aus dunklem, weichen Leder.

Von der Konfirmation bis zur Eheschließung trägt die „Med“, als Zeichen ihrer Ehre und Jungfräulichkeit, zu kirchlichen Festen der Borten, eine zylinderförmige Kopfbedeckung aus schwarzem Samt, an dessen Rückseite bunt bestickte, bis zum Rock reichende Samt- bzw. gold-/silberfarbene Bänder („Fruonsen“) befestigt sind. Ein weiteres Merkmal der Mädchentracht ist das „Minkeltchen“, ein spannenbreites Stoffband aus doppeltem, weißen Damast. Mit schwarzem Garn bestickt, ist darauf der Name der Trägerin und die Jahreszahl der Konfirmation zu lesen. Über der rechten Seite der Schürze ist das „Unterstecktuch“, ein buntes, geblümtes Seidentuch, teil der Frauentracht. Der Schmuck, der, abhängig vom sozialen Stand, mehr oder weniger wertvoll ist, besteht aus einem mit Perlen bestickten Halsband, Schmucknadeln am Bortenrand, dem schweren „Heftel“ auf der Brust, das zumeist aus vergoldetem Silber besteht, und dem mit Perlen bestickten Gürtel.

Verheiratete Frauen tragen einen Spangengürtel um die Hüften und legen ihren Borten ab. An seine Stelle tritt die Haube, die meist als Grundlage der unterschiedlichen Kopftücher, die mit Schmucknadeln festgesteckt werden, dient. Das festlich bestickte, weiße Kopftuch wird bei alten Frauen durch ein braunes ersetzt. Der auffälligste und aufwendigste Kopfschmuck ist jedoch die „Bockelung“. Das kunstvoll mit Bockelnadeln drapierte Bockeltuch, ein weißer, zart bestickter Schleier, umhüllt dabei nicht nur den Kopf, sondern rahmt auch Gesicht und Hals der Trägerin ein.

Ein weiterer wertvoller Teil der Großscheuerner Tracht durfte beim Trachten- und Schützenumzug natürlich auch nicht fehlen: der „Kürschen“. Aus weiß gegerbtem Lammfell erstellt und mit Nerz oder sonstigem Pelz umsäumt, ist der früher gängige Teil der Festtracht heute eine Rarität, da es ihn nur noch als Familienerbstück gibt.
Trachtenträger der HOG Großscheuern auf der ...
Trachtenträger der HOG Großscheuern auf der Münchener Parademeile am Karlsplatz. Foto: Julia Steger
Natürlich konnte das Publikum auch die Männertracht bewundern. Der Saum des weißen, weit ausgestellten Hemds ist an Hals und Ärmeln mit kunstvoller Hohlsaum-Handarbeit doppelspurig verziert. Über ihm wird entweder das „Laibel“, eine ärmellose schwarze Weste, oder das „Rieckel“, eine Jacke aus schwarzem, glänzenden „Gluott“ mit doppelreihigen Knöpfen getragen. Um den Hals herum erhielt das „Goaller“ eine fein gehäckelte „Boirkel“-Spitze. Das Samthalstuch und der Ledergürtel sind reich bestickt, das Halstuch zusätzlich mit einer Brosche geschmückt. Die schwarze Stiefelhose steckte in schwarzen Lederstiefeln. Nach der Konfirmation ist der Kirchenpelz das wertvollste Element der Männertracht. Wie auch der Kürschen besteht auch dieser Pelz aus weiß gegerbtem Lammfell. Am Kragen ist er mit wertvollem Pelzersatz, ansonsten reichlich mit Lederapplikationen und Stickerei verziert. Die Blaskapelle sorgte in ihrer schlichten Form der männlichen Festtracht ohne Pelzkleidung für den richtigen Marschtakt.
Die Blaskapelle Großscheuern beim Einmarschieren ...
Die Blaskapelle Großscheuern beim Einmarschieren auf das Oktoberfest. Foto: Julia Steger
Mit dieser Vielfalt bildeten die Großscheuerner eine aufeinander abgestimmte Einheit, die beim Publikum sehr gut ankam und von allen Seiten mit Klatschen begrüßt wurde. „So schee seid’s ihr zamgstellt!“, rief eine Dame aus dem Publikum. Ein außerordentliches Kompliment in Bayern. Auch dieses Jahr bewunderten wieder rund 200 000 Zuschauer – und Millionen an den TV-Bildschirmen während der Live-Berichterstattung der ARD – die „Völkerverständigung der besonderen Art“, wie RA Manfred Newrzella, Geschäftsführer des Festring München e.V., den Trachten- und Schützenzug nennt.

Auf der Wiesn angekommen, machten es sich die Großscheuerner auf den reservierten Plätzen im Zelt bequem, um ihren Hunger zu stillen und den Durst zu löschen. „Wer weiß, wann wir das nächste Mal wieder da sind.“, meint eine Teilnehmerin, ... zu Gast in einem von Münchens schönsten Paradiesen.

Julia Steger

Online-Bildergalerie:

Großscheuerner vertreten Siebenbürger Sachsen beim Oktoberfestzug 2010

Schlagwörter: Oktoberfest, München, Großscheuern, Ingolstadt

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Neueste Kommentare

  • 21.09.2010, 14:27 Uhr von Scheibi: Respekt,Dank und Anerkennung für die HOG Großscheuern für die qualitativ perfekte ... [weiter]

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