16. Oktober 2010

Die Münchner Rokestuw wird zehn Jahre alt

Vor gut zehn Jahren, im August 2000, wagten Astrid und Michael Greff aus München mit ein paar Freunden einen Schritt, den neben Wagemut vor allem Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft auszeichneten. Sie luden erstmals zur Rokestuw in die Martin-Luther-Stube der Auferstehungskirche in München ein. Allen Sorgen und Bedenken zum Trotz: Das immerhin stolze Dutzend der Anfangsgäste hat sich mittlerweile auf das Zehnfache gesteigert. Die Rokestuw ist seit langem voll angenommen worden; sie hat mit ihrer Schlichtheit und Geborgenheit obsiegt. Die Rokestuw feiert dieser Tage ihr zehnjähriges Bestehen. Zum Jubiläum: Glückwünsche und ein Rückblick.
Sie war in der Tat kein Schnellstarter. Bereits am Vatertag, dem 15. Mai 2000, als sich mehrere siebenbürgische Familien nach einer Predigt von Pfarrer Staude im Westpark trafen, wurde von der Möglichkeit gesprochen, eine zeitgemäße Rokestuw wieder zu beleben. Nach mehreren Treffen im engeren Freundeskreis, bei denen ab Juni 2000 das Für und Wider, insbesondere aber die Frage, wo und wie eine Rokestuw stattfinden sollte, eingehend erörtert wurde, nahm schließlich eine mögliche Rokestuw Gestalt an, die mit billigender Unterstützung von Pfarrer Staude und Diakon Hofmann zu Beginn in der Lutherstube der Auferstehungskirche stattfinden konnte.

Die Einladung, die dann ab August 2000 auf Flugblättern beworben wurde, lud zu einem ruhigen, gemütlichen Abend, einmal im Monat, ein, einer Rokestuw für Jung und Alt, die – zwar an die heutige Zeit angepasst – gleichwohl das Neue mit Altem kombiniert und Gemeinschaftsgefühl und Zusammenhalt erneut aufzubauen versucht. Programm gab es keines; man wollte handarbeiten, über Gott und die Welt diskutieren, und – so man es kann – wieder siebenbürgisch sprechen. Zu all dem konnten und sollten natürlich Kinder mitgebracht werden.

Die Erwartung, aber auch die Aufregung waren ziemlich groß: Wie würde die Einladung aufgenommen, wer würde ihr folgen, war überhaupt eine Chance für Rokestuwabende angesichts der Überflutung mit Freizeitangeboten, gerade in Ballungszentren wie München? Zwar waren all dies Fragen, die schon im Vorfeld der Einladung mehrfach besprochen wurden; jedoch, ist die Einladung einmal draußen und steht der erste Abend bevor, so steigen Nervosität und Lampenfieber. Beides war jedoch grundlos, wie schon der erste Abend mit etwa einem Dutzend Gästen zeigte, die sich in der Folge in der Anfangszeit zu lockerem Zusammensein bei Unterhaltung und Singen trafen.

Die Tradition der Rokestuw geht Jahrhunderte zurück; sie begann nach der Feldarbeit im Oktober, und zwar am Montag nach Gallus (in den Weingegenden etwas später) und dauerte bis zur Thomasnacht, kurz vor Weihnachten; mancherorts bis Aschermittwoch. An den langen Winterabenden diente sie zum Spinnen des Flachses und des Hanfs; sie war eine Begegnungsstätte der Mädchen und Frauen, wo Nützliches mit Unterhaltung verbunden werden konnte. Darüber hinaus gab sie Hilfestellung und Anregung; auch konnte „Geschäftliches“, wie Festvorbereitungen etc., dort besprochen werden. Von daher kam der Rokestuw durchaus auch eine soziale Bedeutung zu.

Die Rokestuw, auch „Lichtels“ und „Geschicht“ genannt, war je nach Größe des Dorfes unterschiedlich ausgeprägt; teils gab es eigene Spinnstuben, teils traf man sich abwechselnd bei einer anderen Nachbarin zu arbeitsamen, gleichzeitig aber auch unterhaltsamen Stunden. Auch so manche Ehe nahm ihren Anfang in der Rokestuw, allzumal auch Knechte abends ab acht oder neun Uhr Zutritt hatten und für Unterhaltung und Spaß sorgten, zuweilen auch schon verstohlen auf Brautschau gingen. Doch auch die Mägde versuchten, ihren künftigen Geliebten beim Rockebrechen zu ergründen. Zerbrach nämlich ein Bursche beim Spielen den Rocken, war das für die Besitzerin ein Zeichen, dass er ihr Zukünftiger werde. Manchmal sollen die Mägde dabei nachgeholfen haben, indem sie den Rocken ansägten.
Marianne Liebhart (Mitte) mit Anna und Michael ...
Marianne Liebhart (Mitte) mit Anna und Michael Greff nach einem Vortrag über „Die Hanfgeschichte“, den Anna Greff in der Münchner Rokestuw gehalten hat.
Doch zurück in die Gegenwart. Unsere Roke­stuw hat sich von Anfang an als lockerer Zusammenschluss verstanden. Es gibt keine Mitgliedschaften im formellen Sinne; wer an den geselligen Zusammenkünften teilnehmen will, der kommt und ist herzlich willkommen. Diese Offenheit und Zwanglosigkeit waren es auch, die sehr bald den enormen Zuspruch der Rokestuw begründete, und zwar weit über die Kirchengemeinde hinaus. Schon bald entwickelten sich aus den Zusammentreffen sogenannte Themenabende, die etwa zur Hälfte mit Vorträgen, Lesungen und Erlebnisberichten gefüllt waren, während die zweite Hälfte weiterhin der Unterhaltung und dem gemeinsamen Singen vorbehalten war. Die Auswahl der Themen und deren Reihenfolge werden weitestgehend von den Mitgliedern der Rokestuw vorgenommen. Doch auch für Feiern blieb genügend Raum, ebenso wie Unterhaltung und Pflege der Gemeinschaft stets im Vordergrund standen. Vergleicht man diese Aktivitäten mit den auf den ersten Einladungen Genannten, so stellt man fest, dass sich beide decken. Auch diese Geradlinigkeit und Ehrlichkeit sind mit ein Geheimnis des Erfolges der Rokestuw.

Am 10. November 2002 nutzte die Rokestuw nach zweijährigem Bestehen den Gemeindetag und Siebenbürgertag und feierte ihr erstes großes Fest in erweitertem Kreis mit einem siebenbürgischen Gottesdienst, den Pfarrer Staude mit viel Einfühlungsvermögen abhielt. Pfarrer Staude und Diakon Hofmann waren es auch, die der Rokestuw jede Unterstützung gewährten und selbst begeisterte Rokestuwteilnehmer waren. Am Erfolg der Rokestuw gebührt ihnen neben den Eheleuten Greff und dem engeren Freundeskreis, dem sozusagen harten Kern, ein nicht zu unterschätzender Anteil.

Ebenfalls 2002 wurde ich zum Vorsitzenden der Kreisgruppe München gewählt. Meinen ersten Antrittsbesuch machte ich natürlich bei der Rokestuw. Seither war ich regelmäßiger Gast und bin auch ein bisschen stolz, dass es mir gelungen ist, die Rokestuw und die Landsmannschaft einander näher zubringen. Viele Veranstaltungen der Landsmannschaft, bzw. jetzt des Verbandes, sind ohne die Rokestuw gar nicht mehr vorstellbar. Besonders freut mich, dass ich Pfarrer Staude bei seinem Abschied am 24. Oktober 2003 für seine Verdienste, nicht nur für die Rokestuw, namens der Landsmannschaft das Goldene Ehrenwappen verleihen durfte, assistiert von Astrid Greff.

Pfarrer Staude, der in die Nikodemuskirche in München wechselte und auch heute noch mit der Rokestuw verbunden ist, wurde von Frau Pfarrerin Dr. Geyer abgelöst, die der Rokestuw das gleiche Verständnis und die gleiche Unterstützung zuteil werden ließ wie ihr Vorgänger. Sooft es ihr möglich ist, nimmt Frau Dr. Geyer auch persönlich an den Rokestuwabenden teil. In nunmehr siebenjähriger Verbundenheit und vertrauensvoller Zusammenarbeit gebührt auch Frau Pfarrerin Dr. Geyer natürlich ihr Anteil am Erfolg der Rokestuw.

Besonders erfreut und auch ein bisschen mit Stolz erfüllt ist die Rokestuw über die Erfolge und das heuer ebenfalls zehnjährige Bestehen der Jugendtanzgruppe München (siehe Siebenbürgische Zeitung, Folge 13 vom 10. August 2010, Seite 11), die ihre Anfänge in der Münchner Rokestuw nahm und in gewisser Weise ihr „Kind“ ist. Trotz der mittlerweile bundesweiten und auch internationalen Auftritte und Verpflichtungen ist eine enge Verbindung zur Rokestuw geblieben, die sich vornehmlich bei größeren Veranstaltungen zeigt, bei denen die Jugendtanzgruppe fast ständig mit Aufführungen, nicht nur der alten Volkstänze, vertreten ist, und auch so deutlich zum Ausdruck bringt, dass die Rokestuw auch von der Jugend angenommen ist.

Ebenfalls gut angenommen wurde die Vielzahl von Aktivitäten und Unternehmungen, die die Rokestuw mittlerweile anbietet, und die alle aufzuzählen den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Erfreulich jedenfalls ist die Tatsache, dass sich die Rokestuw nach wie vor über mangelnden Zuspruch nicht beklagen kann. Vor allem die zahlreichen jüngeren Mitglieder machen Mut und stimmen zuversichtlich, was die Zukunft der Rokestuw angeht. Diese Zukunft wird mit Sicherheit genauso erfolgreich sein wie die letzten zehn Jahre, wenn die Rokestuw bei ihrem Konzept bleibt, das zugleich der Schlüssel zum Erfolg ist: Die Schlichtheit der Rokestuw, ihre Geradlinigkeit, und die Pflege der Gemeinschaft schaffen eine Atmosphäre der Geborgenheit, die jedem Mitglied und Freund der Rokestuw geboten wird.

Es ist zu wünschen, dass die Rokestuw diese Geborgenheit in der Gemeinschaft noch möglichst lange vermitteln kann, und dass die wohlverstandene Pflege der Tradition und der althergebrachten Werte gerade in der heutigen Zeit aufrechterhalten bleibt. In diesem Sinn wünschen wir der Rokestuw, ihren Verantwortlichen und Förderern alles Gute für die Zukunft, verbunden mit Anerkennung und Dank für das bisher Geleistete.

Rolf-Dieter Happe

Schlagwörter: Rokestuf, München, Jubiläum

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