30. November 2010

Wilhelm E. Roth sammelte Texte über eine bewegte Zeit (1943-1953)

Dem Sammelband „Zwangsarbeit in Rumänien 1950-1961“, den der aus Kronstadt stammende, in Augsburg lebende Wilhelm Ernst Roth vor einigen Jahren im Selbstverlag herausgebrachte – Mitteilungen von Siebenbürger Sachsen, die während der genannten Jahre ihren Militärdienst im kommunistischen Rumänien in so genannten „Arbeitsbrigaden“ leisten mussten – folgt mit dem Band „Die Deutschen in Rumänien 1943-1953“ desselben Herausgebers eine ebenfalls im Selbstverlag gedruckte Sammlung von Zeitzeugenberichten. Im Geleitwort stellt Roth den Leser vor die Frage: „Wie kam es dazu, dass unsere Vorfahren nach fast neunhundert Jahren ihre Heimat aufgaben und in die Urheimat zurückkehrten?“
Das Bedürfnis nach der Antwort ließ ihn 34 schriftliche Aussagen, die ihm nach Zeitungsaufrufen zugesandt worden waren, zu einer rund 290-Seiten-Dokumentation zusammenstellen und veröffentlichen. „Möge dieses Buch“, heißt die letzte Zeile des Geleitwortes, „zur Information über diese Jahre dienen, wenn man uns nicht mehr fragen kann„. „Uns“ – das sind Frauen und Männer, die über die Zeit der beiden letzten Kriegsjahre, den rumänischen Frontwechsel von der deutschen auf die sowjetische Seite und die ersten Nachkriegsjahre aus persönlichem Erleben mit Rückblicken zum Epochenbild beitragen können. Fotos, Zeichnungen, Handschriftenbeispiele sind den 34 Texten beigefügt.

Der Band vereinigt alle Kennzeichen mündlich aufgezeichneter Geschichte: Linkisch, unbeholfen niedergeschriebene Berichte ebenso wie Ausbreitungen, die von politischem wie geschichtlichem Überblick zeugen, kurz gefasste ebenso wie ausholende Mitteilungen, subjektiv abgefasste wie solche um Objektivität bemühte etc. Allem jedoch haftet über all die vergangenen Jahrzehnte hinweg eine oft fast heftige Erinnerungslebendigkeit an, so als lägen die Ereignisse erst wenige Tage zurück. Das macht deutlich, wie tiefgreifend und wie einschneidend die Ereignisse der fraglichen Zeit auf den Einzelnen einwirkten. Einige der Schreiber und Schreiberinnen reagierten beim Verfassen der Texte empört und Partei ergreifend auf die rund sechzig Jahre zurückliegenden Vorgänge, andere wiederum betrachten alles Vergangene mit Trauer, die Dritten hingegen wie Vorfälle aus einem anderen Leben, die Vierten suchen nach Rechtfertigung für damaliges Verhalten usw. Da – vermutlich – die Texte nicht redigiert wurden, unterscheiden sich mehr oder weniger Schreibgewandte von Schreibunkundigen. Gleichviel aber ob vom „wilden“ Einzug der Sowjettruppen in die siebenbürgischen Ortschaften die Rede ist, von den Aushebungen im Januar 1945 für die Deportationen in die UdSSR, von Enteignung oder Zwangsevakuierung – die Tage, Monate und Wochen jener Zeitspanne sind auf den Buchseiten durchwegs präsent.

Abgesehen vom unterschiedlichen Dokumentationswert der einzelnen Mitteilungen, deren Umfang von zwei bis zu fünfzehn Seiten beträgt und von der Tagebuchaufzeichnung bis zur historisch bemühten Niederschrift reicht: Die Texte haben stellenweise auch den Wert epochentypischer Anekdoten – so z.B., wenn dem beim Rückzug 1944 verwundet zurückbleibenden Soldaten der rumänischen Armee ukrainische Bauern wieder auf die Beine helfen, er bei einer anderen rumänischen Einheit ebenso wie ein nach dem Frontwechsel am 23. August 1944 versprengter Deutscher das Soldbuch eines Toten bekommt – und beide nach dem Krieg irgendwann wohlbehalten daheim eintreffen, der eine im Karpatendorf, der andere in Frankfurt am Main. Das sind dann in der Dokumentation Augenblicke des Lichtes, die das Entsetzen, die Gräuel und die Anarchie jener Jahre ins Menschliche zurückholen.

Der Historiker der Epoche, um die es in „Die Deutschen im Rumänien 1943-1953“ geht, wird sich aus der von Roth erstellten Anthologie die Details aussuchen können, die ihm für die Erarbeitung des exakten Zeitbildes wesentlich erscheinen. Das Alter der Autoren gibt Roth uneingeschränkt Recht: Sie sind die Letzten, die aus eigenem Mitansehen und Erleben über die Epoche berichten können.

HB

Wilhelm Ernst Roth: Die Deutschen in Rumänien 1943-1953. Oral History, Selbstverlag, 294 Seiten, Preis: 15,00 Euro, zuzüglich 2,00 Euro Versand, zu beziehen bei Wilhelm E. Roth, Wilhelm-Hauff-Straße 33, 86161 Augsburg, Telefon: (08 21) 56 55 06, E-Mail: wilhelm.roth[ät]gmx.de, Internet: www.wilhelm-roth.de.

Schlagwörter: Zeitzeugenberichte, Geschichte, Rezension

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