7. Februar 2011

Nur noch eines im Sinn: in die Freiheit gelangen

Das positive Echo, auf das der vor zwei Jahren erschienene Band „Die Gräber schweigen. Berichte von der blutigsten Grenze Europas“ gestoßen ist, ermutigte die beiden Autoren Johann Steiner und Doina Magheți, im Jahr darauf, eine rumänische Fassung herauszubringen und vor kurzem einen zweiten Band unter demselben Titel vorzulegen. Und das, obwohl sich seit 2008 nicht viel geändert hat, wie Steiner in seiner Einleitung unterstreicht.
Die Gräber am serbischen und am rumänischen Donauufer schweigen noch immer. Die dort Verscharrten sind nach wie vor nicht identifiziert. Der Zugang zu den einschlägigen Aktenbeständen in den rumänischen Archiven bleibt verwehrt, so dass eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Fluchtthematik derzeit unmöglich ist. Bei alledem sind auch viele, vor allem in Rumänien lebende Opfer, Angehörige und Zeugen nicht bereit, über die grausamen Vorkommnisse an der Grenze zu berichten. Unter diesen Umständen darf bezweifelt werden, dass eine lückenlose Aufklärung der dort zugetragenen Gräueltaten jemals möglich sein wird.

Umso wichtiger ist es, dass mehr und mehr Betroffene ihr Schweigen brechen und ihre Fluchtgeschichte dokumentieren. Johann Steiner und Doina Magheți kommt das Verdienst zu, eine Vielzahl solcher Erlebnisberichte zusammengetragen und veröffentlicht zu haben. Gemessen an der doch beträchtlichen Fluchtbewegung in der Zeit der kommunistischen Diktatur sind es nur winzige Mosaiksteine. Zu einem Ganzen zusammengefügt, ergeben sie aber ein authentisches Bild dessen, was sich an der Westgrenze Rumäniens abgespielt hat. Gleichzeitig entlarven sie das menschenverachtende Antlitz eines Regimes, das Millionen Menschen ein freies, selbstbestimmtes Leben verwehrte.

Wie ausgeprägt muss wohl der Drang nach Freiheit gewesen sein, wie groß die Frustration und Verzweiflung, wie stark der Leidensdruck jener tausenden und abertausenden Menschen, die alles daran setzten, dem kommunistischen Inferno zu entkommen? Dass sie dabei Gefahr liefen, gefasst zu werden und gar ihr Leben zu riskieren, war allen bewusst. Ihr Freiheitsdrang war so groß, dass sie nichts abschreckte – kein Stacheldraht und kein Graben, keine Donau und kein Bega-Kanal, kein Schießbefehl und keine Wachhunde, keine Folter und keine Haftstrafe. Obwohl die 546 Kilometer lange Grenze zu Jugoslawien schier unüberwindbar schien, stellte der illegale Grenzübertritt in das benachbarte Land für viele Bürger Rumäniens die einzige Möglichkeit dar, dem Elend des Sozialismus zu entfliehen. Für sie war Jugoslawien das Tor zur Freiheit. Um unbeschadet dorthin zu gelangen, mussten die „Grenzgänger“ ihre Flucht minutiös planen und die nötigen Vorkehrungen treffen. Dem Einfallsreichtum waren dabei keine Grenzen gesetzt. Wie viel Glück dann noch zum Gelingen des Vorhabens gehörte, stellen die neuen Fluchtgeschichten eindrucksvoll unter Beweis.

Vielen ist die Flucht gelungen, aber für einen Teil wurde das Freiheitstor zur Todesfalle. Besonders berührend ist das Schicksal von Peter Eisgeth aus Zeiden. Er war in einen mit Knochenfett gefüllten Tankwaggon gestiegen, in der Annahme, dieser fahre nach Mailand. Statt im Westen kam er in Craiova an: tot. Die Umstände seines jämmerlichen Endes werden wohl nicht mehr zu klären sein. Andere Flüchtenden wiederum, wie Norbert Koch aus Lenauheim, der als Jugendlicher beide Beine verloren hat, als er auf einen in Richtung Jugoslawien fahrenden Zug aufspringen wollte, blieben für ihr Leben gezeichnet. Die meisten Fluchtversuche sind gescheitert. Für die von den rumänischen Grenzern gestellten oder von den Serben an Rumänien ausgelieferten Flüchtlinge führte das Freiheitstor in diesem Fall in die Hölle der kommunistischen Gefängnisse. Auch darüber gibt es Berichte, wie den an Dramatik kaum zu übertreffenden von Peter Schuster aus Kirtsch bei Mediasch. Sein „Dornenreicher Weg in die Freiheit“ begann 1956, als er nach einem misslungenen Fluchtversuch für zwei Jahre im Gefängnis landete, wo er unmenschlichen Haftbedingungen ausgesetzt war, setzte sich 1979 mit einer erneuten Haft wegen des gleichen Deliktes fort und endete erst 1982, als er legal nach Deutschland ausreisen konnte.

Im zweiten Band kommen verstärkt Flüchtlinge zu Wort, die den Weg in die Freiheit über die Donau gesucht haben. Wie viel Glück notwendig war, um überhaupt an das Ufer des Stromes zu gelangen und diesen auch noch schwimmend oder paddelnd zu überwinden, zeigen sieben der insgesamt 23 Geschichten des Fortsetzungsbandes. Dem aus der Bukowina stammenden Kristof Ladis war es schon 1948 gelungen, über die Donau zu schwimmen, um nach anderthalbjähriger Gefangenschaft in Jugoslawien in die USA auszuwandern. „Schwimmend in die Freiheit“ gelangte dreißig Jahre später auch Alfred Wiesenmayer aus Guttenbrunn im Banat. Klaus Schneider aus Stolzenburg setzte 1977 hingegen in einem lecken Schlauchboot über die Donau, während Lothar Rujiska-Hafer aus Altsadowa (Banater Bergland) 1985 das rechte Ufer des Stromes teils paddelnd, teils schwimmend erreichte.

Eine ganze Reihe von Geschichten handeln von gelungenen Fluchtversuchen über die grüne Grenze. Wie es Flüchtlingen aus dem rumänischen Banat in serbischen Gefängnissen und Arbeitslagern 1950 erging, als der Konflikt mit Stalin schon voll schwelte, verdeutlicht der Bericht von Anton Wambach aus Tschanad. Von vier tschechischen Studenten im Auto über die Grenze geschmuggelt wurde während eines Rumänien-Besuchs im August 1968 der in die DDR ausgewanderte Helmut Metz aus Gertianosch. Kurz vor dem Sturz der Ceaușescu-Diktatur flüchtete Alfred Umberath aus Henndorf über die grüne Grenze in den Westen. Manche Flüchtlinge versuchten ihr Glück anderweitig. Gerhard Dabi aus Hermannstadt beispielsweise sah sich 1978 nach Fluchtmöglichkeiten in der DDR um, wurde aber letztlich gefasst, den rumänischen Behörden überstellt und ins Gefängnis geworfen. Wie eine Odyssee liest sich die Geschichte von Hans Füger aus Frauendorf, der drei Reisen in die DDR in den 1980er Jahren nutzte, um seine Fluchtpläne umzusetzen, jedoch erst beim achten Versuch, den Eisernen Vorhang zu passieren, erfolgreich war.

Dass Bürger fremder Staaten versucht haben, über Rumänien in den Westen zu fliehen, dürfte weniger bekannt sein. So hat es in den ersten Nachkriegsjahren eine Fluchtbewegung von Deut­schen aus dem serbischen in den rumänischen Teil des Banats gegeben, die Titos Vernichtungslagern entkommen wollten. Davon handeln die Berichte von Herbert Prokle und Anton Ellmer. Über den 1970 von drei DDR-Bürgern unternommenen Versuch, über Rumänien nach Jugoslawien zu fliehen, schreibt Wulf Rothen­bächer, dessen Eltern aus Siebenbürgen stammen.

Die neuen Fluchtgeschichten sind beeindruckend und erschütternd zugleich, offenbaren sie doch den unbändigen Freiheitsdrang vieler von einer brutalen Diktatur geknechteter Menschen und den hohen Preis, den diese dafür zu bezahlen hatten. Sie stellen einmal mehr unter Beweis, wie eng Elend, Leid und Tod, Glück und Freude, menschliche Größe und Niedertracht beieinander liegen.

Walter Tonta

doina magheti johann steiner
die gräber schweigen

verlag gilde & köster
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Johann Steiner, Doina Magheți: „Die Gräber schweigen. Berichte von der blutigsten Grenze Europas“, Band 2, Gilde & Köster, Troisdorf 2010, 304 Seiten. ISBN 978-3-00-031829-0. Preis: 22 Euro (inkl. Versandkosten). Zu bestellen beim Verlag Gilde & Köster, Am Wassergraben 2, 53842 Troisdorf, Telefon: (0175) 6094431 oder (02246) 2166, E-Mail: verlaggilde [ät] web.de.

Schlagwörter: Rezension, Kommunismus, Flucht und Vertreibung

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