29. Mai 2012

Worte der Zuflucht

Dagmar Dusil veröffentlicht „Hermannstädter Miniaturen“, illustriert mit Aquarellen von Sigrid Weinrich, im Johannis Reeg Verlag.
„Es gab eine Zeit, da wollte ich nie weg aus dieser Stadt, aus meinem Hermannstadt, und es gab eine Zeit, da wollte ich nur weg, und es gab eine Zeit, da wollte ich nie mehr zurückkehren, in die Stadt am Zibin, die ich eines Tages kurz vor Weihnachten verlassen hatte“ (S. 7). So leicht und selbstverständlich setzen die „Hermannstädter Miniaturen“ von Dagmar Dusil ein, leicht verständlich selbst für viele, die aus Siebenbürgen auswanderten und jetzt den Rückweg bzw. den Rückblick wagen, geografisch, gefühlsmäßig. Sie alle fragen sich, wie die Autorin: „Kann ich die Stadt mit den Augen eines Fremden sehen?“ (Seite 7)

Leicht und schön fühlt sich das Bändchen an, das in – für den Johannis Reeg Verlag kennzeichnenden – ästhetisch ansprechender Form vorliegt: in Ocker- und Brauntönen der Einband, auf edlem Papier in mattem Gelb der Text und auch die monochromen Aquarelle von Sigrid Weinrich; das Ganze hergestellt in der Honterus-Druckerei Hermannstadt. Der Leser wird hineingezogen in eine Welt von Worten und Bildern, ehe er sich die Frage beantworten kann: Was ist das für eine Sorte Buch? Ist das ein Reiseführer für Hermannstadt, ein Bildband zu seinen Sehenswürdigkeiten? Man kennt doch die vielen Fotobände mit den ewigen Hartenecktürmen, der Lügenbrücke und, und, und.

Miniaturen sind sowohl die 30 Texte als auch die Bilder dazu: klein, aber fein, scheinbar verschwommen in ihren Brauntönen, verwischt, wie die Erinnerung an Orte, die wir verlassen haben. So kann dieses kleine Werk tatsächlich auch als ein Wegweiser durch Hermannstadt einst und heute gelesen werden. Einzelne Kapitel bringen dazu eine Fülle von kulturgeschichtlich relevanten Zahlen, Fakten, Namen. Ansprechender sind jedoch jene lyrischen Prosastellen, in denen sich, gleichsam hinter einem Schleier, das Schicksal einer Ich-Erzählerin erahnen lässt, die als Jugendliche die Stadt verließ und ihren Herkunftsort jetzt als reife Frau wiedererlebt. Die Tonart erinnert an Ioana Ieronim, jene rumänische Künstlerin, deren lyrisch-melancholische Prosa Dagmar Dusil übersetzt hat. Kindheit, Schulzeit, Jugend, politische Zwänge der Zeit, die Erzählerin sucht im Stadtbild Anhaltspunkte dafür, Anknüpfungspunkte für beinahe entglittene Erinnerungen.

Das eigene Erleben der Autorin bewegt ebenso wie die persönliche Sicht der Malerin Sigrid Weinrich zu längst bekannten Hermannstädter Motiven in den zugeordneten Aquarellen. Das Eingangskapitel „(M)ein Hermannstadt“ lässt, in der Art einer Ouvertüre, diese Motive anklingen. Nicht alle Teile sind von gleicher künstlerischer Intensität. In ihrer Gesamtheit vermögen sie jedoch nicht nur Leser zu ergreifen, die Hermannstadt verlassen mussten oder wollten, nicht nur Menschen, die Siebenbürgen zurückgelassen haben, sondern alle, die sich von den Orten ihrer Kindheit und Jugend entfernt haben, und versuchen, sich ihnen später wieder anzunähern.

In seinem Nachwort erweitert Andrei Codrescu den Blickwinkel auf das Gewesene: „Es ist wie der Blick in einen Spiegel, wenn ich lese, wie Dagmar Dusil die verwunschenen Orte ihrer Kindheit und Jugend rekonstruiert. Sie und ich sind Zeitgenossen, sie eine Deutsch sprechende Lyzeanerin am George-Lazăr-Lyzeum, die jetzt in Deutschland lebt, ich ein Schüler des rumänischen George-Lazăr-Lyzeums, der zurzeit in der amerikanischen Wildnis lebt.“ (Seite 101)

„Und weißt du noch?“, diese Frage klingt im Schlusskapitel „Spuren“ immer wieder auf, bildet sein Grundmuster und klingt im Leser nach: Wissen wir es noch? Lassen wir uns doch ein auf Dagmar Dusils „Hermannstädter Miniaturen“! Sie führen auch uns zu den Orten des Anfangs zurück, geografisch und gefühlsmäßig.

Brigitte Stamm


Dagmar Dusil: „Hermannstädter Miniaturen“, Johannis Reeg Verlag, Bamber 2012, 104 Seiten, ISBN 978-3-937320-18-2
Hermanstädter Miniaturen
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Schlagwörter: Buch, Hermannstadt, Rezension

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