19. Juni 2012

12. Jahrestagung der Sektion Schulgeschichte im HDO München

Die 12. Jahrestagung der Sektion Schulgeschichte des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL) fand am 5. und 6. Mai im Haus des Deutschen Ostens in München statt. Auf dem Tagungsprogramm standen Berichte und Mitteilungen, die Aspekte der Schulvergangenheit aus verschiedenen Zeiträumen beleuchten. Die Veranstaltung wurde aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen gefördert.
Dr. Erwin Jikeli eröffnet das Seminar und begrüßte die Teilnehmer. Zunächst referierte Prof. Dr. Andreas Möckel zum Thema „Der Briefwechsel zwischen der Seminarlehrerin Gerta Barthmes (1908-1979) und Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel – ein Spiegel des Verhältnisses von Erneuerung in den 1930er Jahren in Siebenbürgen“. Der Briefwechsel illustriert die Politisierung der evangelisch-sächsischen Jugend und der Lehrer in der NS-Zeit. Die Schularbeit in Keisd, das Leben in der Gemeinde, die Agitation der NEDR, die Schwesternschaft und der „Wandervogel“, der innerhalb der sächsischen Jugend eine wichtige politische Rolle erlangt hatte, bereiteten der jungen Frau große Sorgen, später arge Gewissensnöte.1932 wollten Agitatoren die althergebrachte kirchliche Schwesternschaft in „Mädchenvolksdienst“ umbenennen, zu der man sich politisch bekennen musste. Gerta fehlten fundierte politische Informationen. Einerseits empfand sie die „Erneuerung“ als einen Segen für ihr Völkchen, andererseits beängstigte sie das radikale Fortschreiten vieler Veränderungen. Möckel schrieb ihr: „Es tun sich ganz tiefe Weltanschauungs- und Glaubensgegensätze auf, die uns bis in die letzten Fugen erschüttern werden.“ Er empfahl ihr die „Rückkehr zur Gemeinde“, was sie sich ja auch wünschte, und endete: „Heute wissen wir, es war ein Riss durch die Kirche und die Sachsengemeinschaft.“

Michael Schneider sprach über „Die Dienst­eide des Volksschullehrers Michael Guist und das Verhältnis der siebenbürgisch-sächsischen Lehrerschaft zum Staat“. Am Lebenslauf von Michael Guist, der wohl das Schicksal einer ganzen Lehrergeneration aufzeigt, fällt auf, dass er in seiner langen Berufstätigkeit gegenüber unterschiedlichen Dienstherren fünf Eide geschworen hat. Guist kommt 1874 zur Welt, wird ein typischer siebenbürgisch-sächsischer Lehrer, der neben seinem gründlichen Unterricht auch das kulturelle Leben seiner Gemeinde prägt. 1936 kann er nicht in den Ruhestand treten, da der Zweite Weltkrieg und die Deportation einen drastischen Lehrermangel nach sich zogen, so dass er bis 1949 „reaktiviert“ blieb. Den ersten Diensteid legte Guist 1908 in ungarischer Sprache ab und schwor seinem ungarischen Vaterland unerschütterliche Treue. Im zweiten Diensteid 1920 versprach er auf rumänisch dem rumänischen König Loyalität. 1943 muss Guist auch der NSDAP, also dem deutschen Mutterland Loyalität schwören. 1945 folgte ein neuer Diensteid gegenüber dem rumänischen Vaterland. Neue politische Gegebenheiten herrschten nach Kriegsende vor, die totale Entrechtung der deutschen Minderheit. Der fünfte Diensteid folgte 1948, nach dem Sturz des Königs. Nun versprach der inzwischen 74-Jährige der Rumänischen Volksrepublik totale Treue.

Um „fortschrittliche“ Lehrer versus „reaktionäre" Kirche ging es im Beitrag von Dr. Annemarie Weber, um den Konflikt zwischen 14 Hermannstädter Lehrer einerseits und Bischof Friedrich Müller andererseits. Infolge der schlimmen Ereignissen nach 1945 (Deportation, Beschlagnahmung des Vermögens der Landeskirche, Geldentwertung ...) konnte die Landeskirche den Lehrern ihren Lohn nicht auszahlen. Am 7. August 1947 erhielten jedoch einige Lehrer einen Vorschuss auf die noch nicht festgesetzten Löhne unter der Bedingung, dass diese später verrechnet werden sollten. Am 12. August jedoch folgte die Geldstabilisierung und die vielen Millionen waren noch nicht ausgegeben, aber nunmehr wertlos. Im nächsten Jahr erhielten einige Lehrer Geld vom Staat, andere nicht, was die Lehrer verunsicherte. Das Landeskonsistorium erwartete von den Lehrern einen Teil der Vorschüsse zurück. Diese jedoch weigerten sich und es folgten Anklagen, Verleumdungen, Prozesse, in denen Bischof Friedrich Müller als Saboteur verunglimpft wurde, als reaktionär, politisch unkorrekt, er solle Goldmünzen besitzen, ein Ausbeuter sein und den Klassenkampf verraten haben. Müller entging nur knapp einem Schauprozess. Eine Lösung im Sinne der Lehrer blieb aus.

Hansgeorg von Killyens Beitrag trug den Titel „Eine Taubstummenschule in Siebenbürgen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts". Der Referent entnahm seine Informationen u.a. dem „Familienbuch“ der Familie Scheiner. Killyen zeigte, dass früher Menschen mit diesem sensorischen Mangel oft abgeschoben wurden, als schwachsinnig galten. In Siebenbürgen hat sich Josef Scheiner (1879-1973) für taubstumme Kinder eingesetzt. Scheiner war erst im technischen Bereich tätig, bevor er Theologie studierte und schließlich 1913 Pfarrer in Nußbach wurde. Hier erlebte er derart diskriminierte Kinder und nahm sich ihrer an. Durch Mimik, Mundstellung und Atemtechnik versuchte er, ihnen das Sprechen beizubringen, und zwar siebenbürgisch-deutsch. Scheiner recherchierte, fand 160 betroffene Familien, bat um Unterstützung bei der Landeskirche, unterbreitete Vorschläge, um für diese Jugendlichen eine Schule zu gründen. Auch setzte er sich für die im Krieg ertaubten Männer ein. Scheiner erkannte sehr wohl die Rolle der Schule in der Sozialisation und Integration dieser Menschen.

Rosel Potoradi erinnerte in ihrem Vortrag an „Minka Bruckner – unsere unvergessene Deutschlehrerin“. Die Referentin berichtete über die große Hilfsbereitschaft, das enorme Engagement und die wunderbare Art, wie Minka Bruckner die Jugendlichen für die deutsche Literatur gewann. Dabei vermittelte sie selbstverständlich ebenfalls wichtige Werte sowie die Werke einheimischer Schriftsteller. Minka Bruckner gründete in Hermannstadt den Hilfsbund der evangelischen Mädchenschule. Sie wurde des Öfteren politisch ­belangt. Da durch Krieg und Deportation Lehrermangel herrschte, blieb sie auch nach ihrer Pensionierung im Lehramt. Ihre Schüler bewahren ihr ein ehrendes Andenken.

Jutta Caplat beschloss den ersten Arbeitstag mit eigentlich ernsten Begebenheiten, die sie jedoch auf heitere Weise erzählte: wie sich die Lehrer schließlich irgendwie „arrangiert“ hatten. Zum Beispiel mussten alle Lehrer und Lehrerinnen eine militärische Ausbildung absolvieren. Mit alten Gewehren mit starkem Rückschlag wurde auf einem Gelände geübt, „für den Frieden gekämpft“, wobei es auch manchmal zu Unfällen kam. Caplat sprach über den politischen Unterricht der Lehrer, die politische Aktualisierung des Unterrichts, über Klassenstunden und Pionierarbeit und über die Schikanen, denen Lehrer ausgesetzt waren, sobald sie einen Ausreiseantrag gestellt hatten.

Am zweiten Seminartag thematisierte Hans Fink „Pädagogische Spannungen in der Bukarester Deutschen Schule aus der Sicht eines Vaters und Fachjournalisten (1978-1991)“. Der Referent beschrieb die schlechten baulichen Gegebenheiten, den zum Teil unmodernen Unterricht und bestechliche, selbstherrliche und heuchlerische Lehrer. Er deckte Missstände auf und schilderte bedrückende Erlebnisse. Fink betonte, dass er mit seinem Referat nicht beabsichtige, den insgesamt guten Ruf dieser Schule zu schädigen.

Heidrun Șindilarius Referatsthema lautete: „Der Geschichtsunterricht – ein Weg zur ideologischen Indoktrinierung der Jugend im sozialistischen Rumänien“. Geschichte spielt eine große Rolle im Identifikationsprozess einer Nation. Im Kommunismus unterlag die gesamte Erziehung und Kultur den Doktrinen der RKP. Alle historischen Phänomene wurden nach dem Schema der Leitlinien des jeweiligen Parteitages zurechtgerückt und dementsprechend unterrichtet; also durch Lehrbücher verordnete Geschichtslügen. Auch alle anderen sozialen Fächer wurden zum Zweck der Indoktrinierung genutzt. Die Schüler wurden überschüttet mit Wandzeitungen und Portraits.

Doz. Dr. Vasile Ciobanu behandelte „Das Kulturamt des Verbandes der Deutschen in Großrumänien und die Schule (1922-1931)“. 1922 wurde dieses Institut gegründet mit dem Ziel, die Verbindung zwischen den von Deutschen besiedelten Teilen Großrumäniens und dem Mutterland Deutschland herzustellen bzw. aufrecht zu erhalten. Die wichtigste Aufgabe des Kulturamtes war die Bildung des Volkes und die Unterstützung ihrer Schulen in Siebenbürgen, dem Banat, in der Dobrudscha, in Bessarabien, im Buchenland (Bukowina). Damals gab es z.B. im Buchenland über 60 deutsche Schulen und sogar eine deutsche Universität. Nach 1918 wurden diese Schulen „romanisiert“. Das deutsche Kulturamt versorgte nun einen großen Teil der deutschen Schulen in Großrumänien mit Schulbüchern, Lichtbildern und Apparaturen für den Unterricht. Zum Kennenlernen der einzelnen Gebiete organisierten sie gegenseitige Besuche, sogar nach Deutschland. Auch wurden Büros zur Berufsberatung für deutsche Jugendliche eingerichtet. 1931 endete diese fruchtbare Zeit, weil es kein Geld mehr gab. Der Kulturrat musste schließen.

Dr. Erwin Jikeli dankte allen Referenten für die wissenschaftlich wertvollen Arbeiten sowie allen Teilnehmern für ihre interessanten Kommentare.

Renate Kaiser

Schlagwörter: Schulgeschichte, Tagung, München, HDO

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