6. Juli 2012

Spätgotische Chorgestühle aus Siebenbürgen

Mit Einverständnis der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien hat die Fakultät Erhaltung von Kulturgut der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim im Juli 2010 ein spätgotisches Chorgestühl aus der Pfarrkirche von Tobsdorf (rumänisch Dupuș) übernommen. Im Zuge eines mehrjährigen Forschungs- und Restaurierungsprojekts der Studienrichtung Möbel und Holzobjekte soll das Gestühl, das aus einer südlich aufgestellten Sitzabfolge mit sechs Stallen und einer nördlich gegenübergestellten Abfolge mit drei Stallen besteht, umfassend untersucht, konserviert und restauriert werden. Abschließend wird das gesicherte ­Sakralmöbel in der großen Pfarrkirche von Mediasch dauerhafte Aufstellung finden. Prof. Dr. Gerdi Maierbacher-Legl, die das Restaurierungsprojekt in Hildesheim leitet, berichtet.
Die Flächen des Gestühls sind gekennzeichnet von reichem Intarsiendekor, der in Bändern und Rauten die Dorsale und Hochwangen, den Baldachin und die Brüstungsfelder ziert. Die geometrischen Muster der sogenannten Blockintarsien, die von raffiniert räumlicher Wirkung sind und die geschnitzten, fließenden Blattranken auf dem bekrönenden Zinnenkranz gelten als Erkennungszeichen des Schäßburger Meisters Johannes Reichmut. Er hat das Gestühl in Bogeschdorf, das vom Typus her dem Tobsdorfer Exemplar sehr ähnlich ist, mit großen Schnitzbuchstaben in lateinischer Sprache selbstbewusst signiert: HOC OPUS PERFECTUM PER ME JOHANNEM REYCHMUT ME[N]SATORE SCHEGESVARIENEM AD PER LAUDEM ET HONORE MARIE VIRGINIS AI 1537 (Dieses Werk habe ich Johannes Reychmuth Tischler aus Schäßburg vollbracht zu Lob und Ehren der Jungfrau Maria im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 1537).

Hildesheim: Blockintarsien Tobsdorfer Gestühl von ...
Hildesheim: Blockintarsien Tobsdorfer Gestühl von 1537. Foto: HAWK
Der Typus des spätgotischen Kastengestühls mit Bandintarsien und vegetabiler Flachschnitzerei findet sich im größeren Umkreis von Mediasch und Schäßburg recht häufig: Das große Gestühl in der Bergkirche von Schäßburg gehört ebenso dazu wie diejenigen in den nicht minder berühmten Kirchen von Birthälm, Mediasch und Tartlau. Aber auch in Dorfkirchen wie Bell, Durles, Hetzeldorf, Klosdorf, Kreisd, Malmkrog, Stein und Wurmloch haben sich Gestühle dieses Musters in kleineren Ausführungen erhalten. Diese einzigartige Überlieferung siebenbürgischer Kirchenausstattung ist bisher keiner wissenschaftlichen Erfassung und Darstellung gewürdigt worden. Dies erscheint umso dringlicher, als sie aufgrund ihres Alters, ihres Materials und oftmals extrem widriger Rahmenbedingungen vom akuten Verfall bedroht sind. In einer zweiwöchigen Studienfahrt im Sommer 2011 haben Hildesheimer Studierende die Chorgestühle in den genannten Kirchen erfasst und ihre Details in zahlreichen Aufnahmen dokumentiert. Mit der Methode des Motiv- und Technologievergleichs werden Zuschreibungskriterien zum Werk des Meisters Johannes Reychmut geprüft. Die Konstruktionen und Standsituationen waren Gegenstand genauer Untersuchungen, um historische Anhaltspunkte für die Rekonstruktion des verlorenen Sockelrahmens des Tobsdorfer Gestühls zu gewinnen. Zu ergänzenden und vergleichenden Studien zu diesen Konstruktionsprinzipien wurde im Herbst 2011 eine Schwaben-Exkursion zu den reichen Chorgestühlen des Ulmer Münsters, der St.-Jakobs-Kirche von Memmingen sowie der Klosterkirchen von Blaubeuren durchgeführt. Diese spätgotischen Gestühle tragen ebenfalls Blockintarsien-Schmuck und vertreten den gleichen Typus, wie er auch in Siebenbürgen anzutreffen ist.

Gefördert durch Bundeszuwendungen, kommen 2011 die Forschungs- und Erhaltungsarbeiten am Tobsdorfer Gestühl mit umfassenden Maßnahmen in Gang. Das in einer Vielzahl von Einzelteilen seit 2002 in Großau eingelagerte Gestühl wird in konservatorisch höchst bedenklichem Zustand in die Hildesheimer Restaurierungswerkstätten übernommen. Nach der Reinigung wird es zunächst in einer digitalen CAD-Zeichnung werktechnisch erfasst. Innerhalb dieser Zeichnung werden die separaten Teile dreidimensional zusammengestellt und sind nun interaktiv drehbar von allen Seiten veranschaulicht. Die mikroskopische Bestimmung der verwendeten Holzarten an Konstruktion, Furnier und Blockintarsien sowie die Pigment- und Bindemittelanalyse der Farbgebung der Schnitzerei vervollständigen den technologischen Befund.

Die Feststellung aktiven Befalls durch Holz zerstörende Insekten macht eine sechswöchige Stickstoff-Begasungsaktion erforderlich. Durch Anleitung und freundliche Unterstützung der Fachfirma Stefan Biebl, Benediktbeuren sowie des Entomologen Dr. Uwe Noldt vom Institut für Holzwirtschaft der Universität Hamburg wird diese zu einer außergewöhnlichen Lehrveranstaltung. Eine Bachelor-Thesis dokumentiert Methode, Verlauf und Erfolgskontrolle der Insektenbekämpfung.
Schäßburg: Gestühl in der Bergkirche ...
Schäßburg: Gestühl in der Bergkirche
Damit sind die Voraussetzungen geschaffen für eine Durch-und-durch-Holzfestigung der stark von Insektenfraß geschädigten tragenden Teile des Gestühls mit gelösten Acrylharzen. Eine innovative Kontrollmethode hinsichtlich Eindringtiefe und Verteilung des Festigungsmittels liefert exemplarisch die Computer-Tomografie, die von Partnern aus dem medizinischen Bereich geleistet wird.

Pilot-Charakter hat auch die Entwicklung von geeigneten Ergänzungsmethoden zur Rekonstruktion der beschädigten Standkanten des Gestühls von der bildhauerischen Herangehensweise bis zum 3D-Laser-Scan für die CNC-Fräse der Holzingenieure. Hier arbeiten fakultätsübergreifend die HiTec-Fachleute aus dem Bereich der Produktgestaltung/Modellbau und dem Labor für Bearbeitungstechnik der HAWK zusammen.

Das Thema des Langzeit-Projekts „spätgotische Chorgestühle“ wird Studierende der Holz-Restaurierung auch in diesem Sommer wieder zu Objektstudien nach Siebenbürgen führen. Es ist die elfte Reise in diese reiche Kulturregion, wo sie gemeinsam mit ihren ungarischen und rumänischen Kommilitoninnen und Kommilitonen aus Budapest und Hermannstadt die Überlieferung der Siebenbürger Sachsen kennenlernen werden. Die Ergebnisse des Vorgängerprojekts zur Dokumentation, Datierung und Konservierung der Henndorfer Stollentruhen werden in Kürze in Buchform erscheinen, gefördert wiederum aus Mitteln der Bundesrepublik Deutschland.

Die Bilddokumentation der erfassten Chorgestühle in Siebenbürgen sowie, die CAD-Zeichnung des Tobsdorfer Gestühls als repräsentativen Vertreter des siebenbürgischen spätmittelalterlichen Typs, sind demnächst auf der neu gestalteten Website der Hildesheimer Restaurierungs-Studiengänge einzusehen (www.hawk-hhg.de).

Prof. Dr. Gerdi Maierbacher-Legl

Schlagwörter: Kirche, Restaurierung, Siebenbürgen, Hildesheim

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