11. Juni 2013

Zünfte, Nachbarschaften und Bruderschaften der Siebenbürger Sachsen in Mediasch

Im Haus der Geschichte in Dinkelsbühl war beim diesjährigen Heimattag die Ausstellung „Zünfte, Nachbarschaften und Bruderschaften in Mediasch. Zeugnisse europäischer Stadtkultur“ zu sehen, die das Munizipalmuseum Mediasch (Muzeul municipal Mediaș) in Zusammenarbeit mit dem Haus der Geschichte Dinkelsbühl ausgerichtet hat. Die Initiative, eine deutsche Fassung der 2011 erstmals in Mediasch und Bukarest gezeigten Ausstellung auch in Dinkelsbühl zu zeigen, geht auf die Heimatgemeinschaft Mediasch zurück. Anlässlich der Vernissage am 18. Mai führten die Leiterin des Munizipalmuseums, Angela Păucean, und der Kulturreferent der Heimatgemeinschaft, Dr. Hansotto Drotloff, Verfasser des nachfolgenden Beitrags, in die Ausstellung ein. Die Ausstellung ist bis zum 21. Juli während der Öffnungszeiten des Hauses der Geschichte, Altrathausplatz 14, in Dinkelsbühl zu sehen.
Seit über sechs Jahrzehnten strömen Scharen von Siebenbürger Sachsen am Pfingstwochenende gleichsam in einem Sternenmarsch ins fränkische Dinkelsbühl zu ihrem Heimattag. Ihrer Sehnsucht nach dem alten Zuhause verleiht die Stadt in altvertrauter Weise ein Gesicht, um ein Bonmot des Kulturpreisträgers 2013, Franz Hodjak, zu paraphrasieren. Seit der politischen Wende 1989 steigt auch die Zahl der Gäste aus Rumänien stetig an, und es ist längst zur Normalität geworden, dass Vertreter des Staates oder lokaler Behörden sowie Würdenträger der Evangelischen Kirche und des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien Gäste des Heimattages sind. Noch nicht so alltäglich ist es, dass sich auch materielle Zeugnisse des sächsischen Lebens aus Siebenbürgen vorübergehend auf die Reise nach Dinkelsbühl begeben. Der Heimattag 2013 zeigte nun gleich zwei Ausstellungen, die in Siebenbürgen ausgerichtet wurden, als Teil des breit gefächerten Kulturprogramms. Neben der Ausstellung „Jenseits des Verschwindens“ mit Fotografien aus dem Nachlass der Brüder Fischer war es die hier zu besprechende Schau über „Zünfte, Nachbarschaften und Bruderschaften in Mediasch. Zeugnisse europäischer Stadtkultur“, die das Mediascher Museum in Zusammenarbeit mit dem Haus der Geschichte Dinkelsbühl ausgerichtet hat. Die Initiative, diese Ausstellung nach Dinkelsbühl zu bringen, geht auf die Heimatgemeinschaft Mediasch zurück und erfuhr großzügige und tatkräftige Förderung durch den Bundeskulturreferenten des Verbands, Hans-Werner Schuster. Neben dem Bundesvorsitzenden des Verbandes, Dr. Bernd Fabritius, der die Ausstellung vor zahlreichen Gästen eröffnete, beehrten auch der Oberbürgermeister von Dinkelsbühl, Dr. Christoph Hammer, und Dr. Paul Jürgen Porr, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, der selbst Mediascher ist, die Vernissage und unterstrichen damit die Bedeutung dieses Ereignisses. Dr. Fabritius wies in seiner Ansprache darauf hin, dass die Ausstellung ein Beweis der guten Beziehungen zwischen den Siebenbürger Sachsen und dem heutigen Rumänien sei, Beziehungen, wie sie noch nicht alle in Deutschland lebenden Vertriebenen zu ihren Heimatländern unterhielten.
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Die Mediascher Ausstellungsmacher: Hansotto Drotloff, Viorel Ștefu, Angela Păucean, Ovidiu Moldovan und Diana Macarie (von links). Foto: Konrad Klein
Mit zahlreichen Raumtexten, Bildern und knapp 80 Exponaten gewährt die Schau Einblick in die Geschichte sowie die sozialpolitische Bedeutung zweier Institutionen, die über Jahrhunderte hinweg die Aufgabe hatten, die Ordnung und den inneren Frieden in den sächsischen Siedlungen zu gewährleisten – die Zünfte bei der Gewerbeausübung und die Nachbarschaften innerhalb der städtischen oder dörflichen Gemeinschaft. Diese Aufgaben nahmen sie bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein wahr, als sie Zug um Zug auf die modernen Stadtverwaltungen übertragen wurden. Dinkelsbühl ist sich nicht nur durch seine Eigenschaft als Gastgeber des Heimattages ein idealer Standort für diese Schau – die Parallelen zur siebenbürgischen Stadt Mediasch gehen über die Ähnlichkeiten im mittelalterlichen Stadtbild deutlich hinaus. Dies erkannte Ingrid Metzner, Leiterin des Hauses der Geschichte, auf deren Vorschlag hin die Ausstellung durch einige Schautafeln ergänzt wurde, auf denen Ähnlichkeiten und ­Unterschiede in der mittelalterlichen Stadtorganisation einer deutschen und einer siebenbürgischen Stadt herausgearbeitet wurden. So haben die Vorfahren der Siebenbürger Sachsen bei ihrer im 12. Jahrhundert einsetzenden Ansiedlung die zünftige Organisation der Handwerker mitgebracht, bewahrt und weiterentwickelt. Die Nachbarschaften hingegen, als starke Klammer der Gemeinschaft und strenge Hüterin der althergebrachten Ordnung, haben sich dort unabhängig von Vorbildern aus den Herkunftsgebieten entwickelt. Es ist ein Glücksfall, dass in der ständigen Ausstellung im Haus der Geschichte ein eigener Raum dem städtischen Leben des mittelalterlichen Dinkelsbühl gewidmet ist, so dass den Besuchern ein Gang in die Geschichte, durch Zeit und Raum unter einem Dach geboten werden kann.
Zeugnisse der Mediascher Fleischhauer-Zunft: ...
Zeugnisse der Mediascher Fleischhauer-Zunft: Lade, Zinnteller, Zunftzeichen und eine vom Museumsteam nachempfundene Zunftfahne. Foto: Hansotto Drotloff
Das Munizipalmuseum im heutigen Mediasch bewahrt eine umfangreiche Sammlung von Zeugnissen der Stadtkultur, die auf den Bestand des Museums „Alt-Mediasch“ zurückgeht. Ausgehend von der privaten Initiative der Gymnasialprofessoren Carl Martin Römer und Ludwig Binder und unterstützt von den Rektoren Ludwig Leutschaft und Hermann Jekeli wurde vor mehr als 100 Jahren mit der Sammlung von Erinnerungsstücken an die vergangene und damals schon teilweise in Vergessenheit geratene Stadtgeschichte begonnen. Ab April 1923 wurden die Exponate im Kirchkastell als Dauerausstellung öffentlich zugänglich gemacht, bis diese 1949 in Staatseigentum überging und fortan als Museum des Rayons im Obergeschoss des Morscherhauses am Kleinen Markt zu sehen war. Heute hat das Stadtmuseum eine leider nicht unumstrittene und keineswegs gesicherte Heimat im Franziskanerkonvent am Zekesch gefunden. In Dinkelsbühl wird nun erstmalig eine große und repräsentative Auswahl dieser Sammlung gezeigt. Truhen der Zünfte und Nachbarschaften, Zinn- und Tongeschirr mit Symbolen der Zünfte, hölzerne Zunft- und Nachbarzeichen, Urkunden und Fahnen legen Zeugnis ab vom hochstehenden wirtschaftlichen und sozialen Leben der sächsischen Stadt bis hinein ins frühe 20. Jahrhundert.
Dr. Bernd Fabritius (3. von links) begrüßt die ...
Dr. Bernd Fabritius (3. von links) begrüßt die Gäste bei der Vernissage im Haus der Geschichte in Dinkelsbühl, auf dem Bild von links: Hansotto Drotloff, Ingrid Metzner, Bernd Fabritius, Herta Daniel, Angela Păucean, Diana Macarie, Ovidiu Moldovan, Viorel Ștefu, OB Dr. Christoph Hammer. Foto: Siegbert Bruss
Bei aller oben erwähnten Normalität sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Einhaltung des Zeitplans bis zuletzt am seidenen Faden hing, weil die Genehmigung für die zeitweilige Ausfuhr der Exponate buchstäblich erst in letzter Minute erwirkt werden konnte, und dies auch nur durch den grenzüberschreitenden Einsatz zahlreicher guter Helfer, denen der besondere Dank der Organisatoren gebührt. Zu dem Team aus Mediasch (Museumsleiterin Angela Păucean, der Historiker Viorel Ștefu, die Konservatorin Diana Macarie und Ovidiu Moldovan), das am Freitagmittag todmüde, aber überglücklich im sonnigen Dinkelsbühl eintraf, gesellte sich Hansotto Drotloff, Kulturreferent der Heimatgemeinschaft Mediasch. Dank der guten Vorbereitung durch Ingrid Metzner, die die von Angela Păucean und Helmuth Knall stammenden Raumtexte ergänzt und graphisch ansprechend gestaltet hat, und mit Hilfe von Rainer Schreck, dem guten Geist des Hauses, der überall zugleich war und für jedes Problem eine schnelle und praktische Lösung fand, füllten sich Vitrinen und Wände schnell mit den wertvollen Stücken aus der fernen sächsischen Geschichte. Bald stellten auch zwei moderne Schaufensterpuppen die ehrwürdige sächsische Tracht zur Schau – und nur die Stiefel passten schließlich nicht zur neuzeitlichen Fußgröße und mussten nebendran gestellt werden. Nur wenigen Besuchern der Vernissage dürfte bewusst geworden sein, dass den Organisatoren kaum sechs Stunden für den Aufbau der Ausstellung zur Verfügung gestanden hatten, einer Schau, die nach den Worten des Bundesvorsitzenden Dr. Bernd Fabritius im Gästebuch „hoffentlich den Beginn einer langen, Freude bringenden Zusammenarbeit zwischen der Stadt Mediasch, den Siebenbürger Sachsen und der Partnerstadt Dinkelsbühl kennzeichnet.“

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Nach getaner Arbeit kehrte auch für die Macher der Ausstellung wieder sächsisch-deutsch-rumänische Normalität ein. Die Mediascher mischten sich zwanglos unter die bunte Schar der Siebenbürger Sachsen, trafen unverhofft auf Freunde oder gar Verwandte, bewunderten den Trachtenumzug und schwärmten für die Mischung aus fränkischer und siebenbürgischer Küche im „Weib’s Brauhaus“. Beim Abschied am Montag dankten sie für die Gastfreundschaft und sie hoffen, dass der ins Auge gefasste Gegenbesuch aus Dinkelsbühl sich ebenfalls in Form einer Ausstellung verwirklichen lassen wird!

hd

Schlagwörter: Heimattag 2013, Ausstellung, Mediasch, Nachbarschaften

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