2. März 2014

Rumänien in zeitgenössischen Dokumentarfilmen

Nein, es geht nicht um moralphilosophische Abhandlungen, sondern um Dokumentarfilme. Doch kommen in den Filmen, die im Rahmen des Dokumentarfilmseminars vom 14. bis 16. Februar in Bad Kissingen gezeigt wurden, Lebenseinstellungen zum Tragen, die Fragen aufwerfen. Filmemacher überlassen gerne das Moralisieren dem Publikum.
Man muss die an den Tag gelegten Haltungen der Filmprotagonisten nicht mögen. Welchen Weg der Mensch einschlägt, ob am Ende der Reise Geld oder Gott steht – egal. Hauptsache, der Mensch ist ständig in Bewegung, denn „wer rastet, der rostet“. Das weiß keiner besser als der alte Mann, Jahrgang 1926, in dem Dokumentarfilm „Besser wird’s nicht“ (2013) von Björn Reinhardt (Oberwischau/Maramuresch). Sein Lebenspragmatismus schlägt sich in der „goldenen Regeln“ nieder: „Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu.“ Gepaart mit dem spirituellen Überbau „Die Kirche trägt der Mensch in seinem Herzen“ ergibt sich ein Lebensethos, das selbst Schopenhauer erfreut hätte.

Der Realitätssinn der Menschen, die Reinhardt porträtiert, ist besonders ausgeprägt, Romantik leistet sich in den einsamsten Bergregionen Rumäniens (Maramuresch, Motzenland, Buchenland) niemand. Was Reinhardts Dokumentarfilm mit dem Film „Constantin und Elena“ (2010) von Andrei Dăscălescu (Bukarest) verbindet, sind die vielen Gesichtsfalten, ja -furchen. Jede erzählt eine Geschichte von einst. Und wenn Elena ihren Constantin fragt, warum er denn beim Melken der Kühe nicht mehr singe, stimmt der 83-jährige Constantin prompt eine Liebesromanze an. Das Wechselbad von Gefühlen präsentiert sich beim Filmemacher Alexandru Solomon (Bukarest) als „cocktail balcanic“ („balkanischer Cocktail“). Was das genau ist, wird in seinem Dokumentarfilm „Kapitalismus – unser geheimes Rezept“ (2010) schonungslos vorgeführt. Dem Motto „Prost, cine nu fură“ („Doof, wer nicht klaut“) folgend, haben es einige Repräsentanten des ehemaligen kommunistischen Regimes in der „neuen Welt“ zu Milliarden gebracht.

Millionäre nach der alten rumänischen Währung waren schon die Roma, die im Dokumentarfilm „Der Fluch des Igels“ (2005) von Dumitru Budrala (Hermannstadt) viele Kilometer zurücklegen, um ihre Körbe, Holzleitern, Besen, Holzlöffel zu verkaufen. Auf einer Hochzeit beläuft sich das Hochzeitsgeschenk auf 27 Millionen Lei – viel Geld! Doch 40 Millionen hat allein das Hochzeitsfest gekostet, demnach gilt: „Wie gewonnen, so zerronnen.“ Was hilft? Beten! Wer hilft? Der liebe Gott. Wer’s glaubt, wird … ein streng orthodoxer Rom.

Seit Rumänien in der EU ist, beeindrucken Millionen, ja Milliarden noch immer – aber die werden nicht mehr in Lei, sondern in Euro gerechnet. Dass Millionäre unter den Roma nicht mehr anzutreffen sind, wundert niemanden. Dass Rumäniens Milliardäre ehemals Parteifunktionäre und Securitate-Offiziere waren, ist für die Bürger des Landes eine Ohrfeige. Wohin fließt das Geld der rumänischen Milliardäre, die sich Rumänien wie eine Pizza aufteilen? Jedenfalls fließen sie nicht in den Mihai Eminescu Trust, der von Prinz Charles, dem Prinzen von Wales, unterstützt wird. Geschäftsführerin der Stiftung ist Caroline Fernolend, die Protagonistin des Dokumentarfilms „Ein Dorf erwacht“ (2011) von Frieder Schuller (Berlin). Nicht nur ein Dorf – der Stiftungssitz Deutsch-Weißkirch – „erwacht“: 27 weitere Dörfer Siebenbürgens haben die Chance einen Neuanfang zu wagen. Fernolend ist es in einer erstaunlich kurzen Zeit gelungen, „Vertrauen und Selbstvertrauen“ zu schaffen – vor allem bei der Roma-Minderheit. Nach dem Gandhi-Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ werden viele Roma-Handwerker auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit unterstützt. Die Begegnung mit Menschen, die zuversichtlich in die Zukunft blicken, kennzeichnet auch die Kurzfilme aus der Werkstatt der Kommunikationswissenschaftler der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt, die der Dokumentarfilmregisseur Günter Czernetzky (Berlin/München) präsentierte. Ein Großteil der Kurzfilme stand unter dem Motto „Hoffnungsschimmer“.

Einen Schimmer der Hoffnung fängt auch der Regisseur Șerban Oliver Tătaru (München) mit seinem Dokumentarfilm „Anatomie des Weggehens“ (2012) ein: Aufarbeitung der Vergangenheit – kann sie im kleinen Kosmos der Familie gelingen? Der junge Regisseur hat den Heimatverlust und die Ausreise aus Rumänien zum Thema seines Abschlussfilmes an der Film- und Fernsehhochschule München gewählt. Entstanden ist ein persönlicher Streifen, der jeden bewegt, der die 1980er Jahre in Rumänien kennt: Abends spät steht man in einer Schlange, es soll irgendetwas zu kaufen geben, heißt es; egal, was das sein mag, man stellt sich an – und dann wird es stockfinster, das elektrische Licht im ganzen Viertel ist ausgefallen, man sieht niemanden und nichts nicht mehr, doch man spürt etwas – den kalten Nieselregen, Verzweiflung und Wut. Der Zustand ist bekannt, der Impuls auch: Weg, nichts wie weg!

Ingeborg Szöllösi

Schlagwörter: Seminar, Film, Rumänien, Bad Kissingen

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