4. Oktober 2015

„Mythisches Transsylvanien“: 30. Internationale Siebenbürgische Akademiewoche

Die alljährliche Akademiewoche von Studium Transylvanicum – ein offener Kreis Siebenbürgen-interessierter Studierender und Jungakademiker – fand dieses Jahr vom 17. bis 21. August in Katzendorf statt. Frieder Schuller, der diesjährige Gastgeber, beherbergte auf seinem selbst fast schon ‚mythischen‘ Pfarrhof 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler u. a. aus Deutschland, Rumänien, Schweden und Ungarn.
Der erste Veranstaltungstag begann mit dem Vortrag von Dr. Attila Verók: „Mythisch-legendäre Erscheinungen und Personen in der siebenbürgisch-sächsischen Buch- und Bibliotheksgeschichte (16.-18. Jahrhundert)“. Nachdem er verschiedene Beispiele dargelegt hatte, konstatierte er, dass die Siebenbürger Sachsen aufgrund ihrer spezifischen Rolle ein wichtiger Motor in der siebenbürgischen Buch- und Bibliotheksgeschichte waren.

Friederike Mönninghoff sprach über „Gerüchte, Gemunkel und Legenden – Die rumänische Revolution“ und legte dar, welch massiven Einfluss die nach dem Ausbruch der Unruhen in Temeswar kursierenden Gerüchte auf das Leben der Menschen hatten. Sie verstärkten einerseits die Hoffnung auf Veränderung, andererseits jedoch auch Angst und Unsicherheit. Mönninghoff erläuterte, dass die Gerüchte in dem Ausnahmezustand und der Gewaltsituation, die im Dezember 1989 den Alltag ersetzten, eine wichtige Rolle spielten.

Im anschließenden Vortrag von Dr. Florian Kührer-Wielach „Anschlussjahr 1992: Die Vereinigung der Walachei mit Transsylvanien“ ging es um den wohl bekanntesten transsilvanischen Mythos, Dracula, und die Verfilmung Francis Ford Coppolas, die zum ersten Mal breitenwirksam die Verknüpfung von Vlad Țepeș und Dracula filmisch umsetzte und so in den Köpfen einer breiten Masse verankerte. Kührer-Wielach legte die Geschichte des Vampirmythos und seiner Blüten unterhaltsam dar und pointierte: „So wurde Transsilvanien zur Urheimat der Vampire.“

Den Ausklang des ersten Tages gestaltete Jürgen Israel, der zweite Dorfschreiber von Katzendorf. In seinen Texten ließ er das Jahr, in dem er sehr tief in das Katzendorfer Leben eingetaucht war, vor den Augen und Ohren der Zuhörer und Zuhörerinnen vorbeiziehen.

Karoline Koch, Anja Zimmermann und Dr. Fabian Germerodt gaben einen Workshop zu „Symbolen des Göttlichen“, bei dem die Teilnehmern und Teilnehmerinnen aufgefordert waren, verschiedene Gottheiten des römischen Imperiums ihren topografischen Ursprüngen zuzuordnen. Neben Göttern aus Mesopotamien und Germanien kamen auch dakische vor, so z. B. Zalmoxis mit seinen Wölfen. Im Zuge des Workshops wurde die Strategie der Römer, die Gottheiten der eroberten Gebiete zu integrieren, statt sie zu verbieten, deutlich.

Den zweiten Beitrag am Dienstag bot Franz Csiky dar: „Deutsche Prinzessin, rumänische Königin, Carmen Silva als literarisches Pseudonym: Lied des Waldes“. Csiky setzte sich insbesondere mit dem Mythos ‚Wald‘ im deutschen und rumänischen Kulturkreis auseinander. War der Wald im deutschen Sprachraum lange vor allem ‚dunkel‘ und ‚bedrohlich‘ konnotiert, galt er im rumänischen eher als Schutzraum, auch wenn es durchaus Straf- und Schreckaspekte wie Geister gab. Im deutschen Kulturraum habe sich hingegen „die Angst vor dem Wald in eine Angst um den Wald“ – im Sinn eines ökologischen Bewusstseins – gewandelt.

Eymelt Sehmer nahm die Zuhörenden in ihrem Vortrag in einen ganz anderen Kulturraum mit: „Identitätsbildung im Märchen. Betrachtungen zum isländischen Märchen Selhamurinn/Das Seehundsfell“. Sie stellte die Funktion von Märchen als kollektive Identitätsstifter und -wahrer heraus, deren universelle Mechanismen über Kulturgrenzen hinaus greifen. Zudem wiederholen sich die Motive und bilden eine Brücke zwischen nordischen und mitteleuropäischen Mythen.

Eine abermals andere Form von ‚Mythos‘ hatte der Vortrag von Michaela Nowotnick und Christian Lindhorst im Blick: „Wild West jenseits des Waldes. Buffalo Bills Tournee durch Siebenbürgen“ erzählte die Geschichte der einzigartigen Begegnung Siebenbürgens mit dem Wilden Westen. William Cody alias Buffalo Bill, Begründer des Mythos ‚Wild West‘, kam 1906 mit seiner Show, einem Tross aus 800 Personen und 500 Pferden, nach Siebenbürgen. In über 50 Ortschaften fanden Auftritte statt, die in der Presse allerdings ein eher geteiltes Echo fanden – und erstaunlicherweise kaum Spuren im kollektiven Gedächtnis der Siebenbürger hinterließen.

Der Mittwoch stand im Zeichen der Kirchenburgen: So ging es unter der sachkundigen Führung von Robin Gullbrandsson in das nahegelegene Hamruden und die dortige Kirchenburg, anschließend zur Ruine des Bethlen-Schlosses in Unter-Krebsdorf. Nachmittags folgte nach einem Abstecher nach Draas eine szeklerische Kirchenburg in Dersch. Am Ende dieses ereignisreichen Tages stand die Lesung des Gastgebers Frieder Schuller, der mit älteren und neueren Gedichten einen sehr stimmungsvollen Einblick in seine Lyrik gab.
Die Teilnehmer der 30. Siebenbürgischen ...
Die Teilnehmer der 30. Siebenbürgischen Akademiewoche zu Gast bei Frieder Schuller (Bildmitte, oben) auf dem evangelischen Pfarrhof (Bildungs- und Begegnungszentrum) in Katzendorf. Foto: Franz Csiki
Eva Spanier eröffnete den vorletzten Akademietag: „Wo Klingsor von Ungerlant und Vlad der Pfähler zu Hause sind … Siebenbürgen als mythischer Raum in der deutschen Literatur des Mittelalters“. Siebenbürgen taucht vor allem in der Heldenepik auf: Junge Ritter ziehen nach Siebenbürgen, um „Âventiure“ zu suchen. Am prägendsten für den Raum jedoch sei der Mythos von Vlad Țepeș, über dessen (vermeintliche) Grausamkeit schon Michael Beheim in den 1460er Jahren dichtete. Das Bild vom „grausamen Osten“ (Helmut Birkhahn) wurde verankert, der Mythos Dracula und der Raum Siebenbürgen untrennbar verbunden.

Der anschließende Besuch beim orthodoxen Pfarrer Katzendorfs zog alle wieder in die unmittelbare Wirklichkeit. Dieser hat vor vier Jahren ein Projekt initiiert, das 40 Schulkindern des Dorfes ein warmes Mittagessen sichert. Doch Essen ist nicht das Einzige, was in dieser Gemeinschaft geschieht: Neben gemeinsamen Festen sollen den Kindern Perspektiven für die Zukunft aufgezeigt werden. So gab es ein Projekt mit dem örtlichen Tischler, Ausflüge in die nahe Teppichfabrik etc. Und durch „Un viitor mai bun pentru communitatea noastră“ (Eine bessere Zukunft für unsere Gemeinschaft), ein EU-Projekt, ist inzwischen auch die Finanzierung einigermaßen gesichert.

Zurück auf dem Pfarrhof sprach Zsófia Turóczy über „Transsilvanien als Utopie. Transsilvanien in den Prosawerken von Endre Ady“. Turóczy legte ihr Augenmerk auf Prosa, Essays und Zeitungsartikel Adys. Der Schriftsteller, ein Vertreter der ungarischen literarischen Moderne, plädierte, wie die Vortragende belegte, für eine stärkere Öffnung Ungarns in Richtung Europa und konstruierte Siebenbürgen als positiven Gegenentwurf, als „Fährland, das zwischen Ost und West pendelt“.

Viel weniger ‚mythisch‘ als vielmehr ‚tierisch‘ ging es anschließend auf der nahegelegenen Büffelfarm zu, der „Ferma Indianului Transylvania“. Weiden voller siebenbürgischer Wasserbüffel, ökologische Landwirtschaft, vorzüglicher Käse – es war nicht nur ein lehrreicher, sondern auch ein schmackhafter Ausflug, der diesen Tag abrundete. Den Höhepunkt des Abends bot Frieder Schullers Film „Im Süden meiner Seele“ über Paul Celans Bukarester Jahre und seine Flucht in den Westen. Das Gespräch mit dem Filmemacher rahmte den Film auf spannende Weise.

Manuel Stübecke eröffnete mit „Der Aberglauben ist abzustellen – Vampire aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive“ den letzten Veranstaltungstag. In seinem Vortrag ging es vor allem um historisch belegte Fälle von Vampirglauben. Hierfür analysierte er einige Beispiele und unterstrich, dass diese von untersuchenden Ärzten, Soldaten und Beamten schon früh in das Reich des Aberglaubens verbannt wurden.

Um Glauben in einem anderen Zusammenhang ging es auch bei Angelika Beer: „Religionsfreiheit und Toleranz in Transsilvanien – Mythos der Geschichte oder Modell für die Zukunft?“. Sie stellte fest, dass die Religions- und Meinungsfreiheit eher eine relative war, an der die orthodoxen Rumänen lange nicht wirklich teilhatten. Toleranz bedeutete eher Duldung und Nebeneinander.

Emese Veres beschloss mit „Zeit für Pseudowissenschaft: Social Media als Veröffentlichungsplattform von Abstammungstheorien“ den Reigen des Vormittags. Sie widmete sich den Abstammungsdiskursen der Csángos in den sozialen Netzwerken, vor allem auf Facebook (z. B. bei der Gruppe „Burzenländer Csángos“), und zeigte auf, dass diese zur Mythenbildung sowie ihrer Verbreitung beitragen. Bei der Suche nach dem „Ur-Ungarntum“ finde eine „Geschichtsumschreibung“ statt, die religiös überhöht werde. Diesen Bewegungen in den sozialen Medien etwas entgegenzusetzen, sei schwierig bis unmöglich.

Am Nachmittag gab es einen Schnaps und ein Gespräch mit der 93-jährigen Siebenbürgerin Ilona. Sie erzählte mit viel Witz aus ihrem bewegten Leben: von der Arbeit bei verschiedenen sächsischen Familien, der Zeit im Gefängnis, wohin sie im Kommunismus wegen Hefe-Schmuggels musste, von ihrer Ehe, den Höhen und den Tiefen, um dann das Gespräch verschmitzt lächelnd zu beenden: „Ich bin jetzt 93, laufen kann ich nur noch mit meinem partener (Stock), aber ich liebe das Leben!“

So fröhlich gestimmt ging es zum Festvortrag von Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch. Er spannte einen Bogen durch die Geschichte von Studium Transylvanicum und würdigte die verschiedenen Generationen, die in den fast 30 Jahren des Bestehens an diesem offenen Kreis mitgewirkt haben. Nachzulesen ist dies auch in der Festschrift, die anlässlich des Jubiläums erschien.

Die Fotos im abschließenden Vortrag „Die Akademiewoche in Bildern 2006-2014“ von Thomas Șindilariu sorgten für Erheiterung und schöne Erinnerungen – und zeigten noch einmal, dass Studium Transylvanicum ein bunter, akademischer Kreis ist, der sich seinem Untersuchungsgegenstand Siebenbürgen auf den unterschiedlichsten Wegen nähert.

Friederike Mönninghoff

Schlagwörter: Akademiewoche, Studium Transylvanicum, Katzendorf, Wissenschaftler

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