1. November 2015

„Freiheit in Kinderschuhen" in Ludwigsburger Filmmatinee gezeigt

Das ist der Titel eines Dokumentarfilms von Joachim Stall, der am 4. Oktober im „LUNA“ in Ludwigsburg innerhalb einer Filmmatinee gezeigt wurde. Geladen hatte die Stadt Ludwigsburg mit Anne Kathrin Müller, ihrer Beauftragten für Migration und Integration, und dem Verein FinK e.V. Das Datum war bewusst gewählt. Denn der Film erzählt persönliche Geschichten von Zeitzeugen aus Rumänien und der DDR. Mit Uwe, dem Hauptprotagonisten, begibt man sich auf eine Zeitreise in die 1980er Jahre, als Freiheit der große Traum seiner Jugend und vieler Menschen im Osten war. Fotos und Archivmaterial aus Filmen und Nachrichtensendungen und nicht zuletzt die Musik lassen diese Jahre lebendig werden.
Braun-graue Ortsbilder von Mediasch, Bukarest, Hermannstadt, Berlin, Schlange stehen, den Alltag meistern mit unterschiedlichsten Überlebensstrategien, Repressionen des Überwachungsstaates und im Inneren der Menschen die Mischung aus Resignation und Aufbegehren, Fluchtgedanken und Widerstandswillen, Gehen und doch Bleiben wollen. Sehr persönlich erzählen davon viele Frauen und Männer, unter anderem auch Peter Maffay, Horst Köhler, der ehemalige Bundespräsident, und Hans-Dietrich Genscher. Nicht nur die Biografie dieser drei Persönlichkeiten ist von diesen Themen geprägt, sondern auch ihr Lebenswerk. Der Film macht diesen Zusammenhang deutlich. Im gut besuchten Luna Lichtspieltheater konnte er den Kinobesuchern, die im Westen geboren und sozialisiert wurden, besser nachvollziehbar machen, warum sich vor über 25 Jahren viele Menschen in den Westen geflüchtet haben. Und die Emigranten, Geflohenen, Ausgewanderten unter den Besuchern begegneten einem Teil ihrer Lebensgeschichte.

Der Film stellt die Frage nach dem Wert der Freiheit. Was sind Menschen bereit, dafür zu tun? Und trifft damit ins Zentrum all dessen, was Europa 25 Jahre nach der friedlichen Revolution in Atem hält. Unter der Moderation von Werner Henn von ARTE (geb. in Reschitz) stellten sich Konrad Seigfried, erster Bürgermeister der Stadt, EU-Parlamentsvizepräsident Rainer Wieland und das Vorstandsmitglied der Europa-Union (KV LB) Rainer Maute bei der anschließenden Podiumsdiskussion den Fragen von Migration und Integration. Parallelen sowie Unterschiede zu der heute aktuellen Flüchtlingssituation wurden erörtert. Unstrittig dabei war das universell geltende individuelle Streben nach Freiheit und, dass diese Freiheit im eigenen Kulturkreis und der angestammten Heimat am besten zu verwirklichen wäre. Inwiefern die Zusammenarbeit von Staaten der westlichen Werte- und Rechtsgemeinschaft mit obskuren Diktaturen die Situation der Flüchtenden beeinflusst, vielleicht sogar mitverschuldet hätte, war eine der bangen Fragen dabei. Unstrittig war aber auch, dass Europa in der Flüchtlingsfrage das ausgewogene Maß an Hilfeleistung und an Sicherheitsmaßnahmen finden muss, um den inneren Frieden zu garantieren und das freiheitliche Europa, das Spaltung und Unfreiheit hinter sich gelassen hat, zu erhalten. Bürgermeister Seigfried konnte von einer erfolgreichen Stadtpolitik berichten, die von Multikulturalität profitiert.
„Freiheit in Kinderschuhen“ in Ludwigsburg, von ...
„Freiheit in Kinderschuhen“ in Ludwigsburg, von links: Gabriel Pelger, Ute Martini, Joachim Stall, Iuliana Enache, Uwe Pelger, Claus Conzatti, Werner Henn, Anne Kathrin Müller (Beauftragte für Migration und Integration), Helge Krempels, Rainer Maute, Melitta Müller-Hansen, Konrad Seigfried (Erster Bürgermeister Ludwigsburg).
Auf dem Podium saßen außerdem Helge Krempels (Vorsitzender der Kreisgruppe Ludwigsburg im Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland) sowie Uwe Pelger (Vorstand FinK e.V.), der Filmprotagonist und ich selbst. Unsere in jungen Jahren gemachten Erfahrungen in einer totalitär-kommunistischen Diktatur und unser Weg in die Freiheit waren gefragt. Wie sei das mit der persönlichen Freiheit und dem sozialen Netz, das sich ja auflöst, wenn man flieht oder auswandert? Hat sie dann trotzdem Vorrang? Was verrät unsere Sprache, wenn wir von „Migrationshintergrund“ sprechen, was nach einer ansteckenden Krankheit klingt oder zumindest einen Makel beinhaltet? Am Ende stand das Plädoyer für Individuation, für das Recht auf persönliche Entfaltung, das emanzipatorische Moment in allen Freiheitsbestrebungen. Migration ist kein Makel, sondern ein Reichtum. Man ist Bürger in mindestens zwei Welten gewesen, man kennt nicht nur eine Sprache, nicht nur eine Lebensweise. Jeder Migrant ist ein klein wenig Weltbürger. Für die musikalische Umrahmung sorgten an den Percussions Harald Wester (geb. in Kronstadt) und der junge Singer-/Songwriter Yanick Sy mit der Gitarre in einer Unplugged-Session, die vor allem beim jungen Publikum sehr gut ankam.

Nun ist der Film bereits auf Reise gegangen. Beim international anerkannten ASTRA-Dokumentarfilmfestival in Hermannstadt ist er am 7. Oktober außerhalb des Wettbewerbs gelaufen und sehr gut angekommen. Erhard Hügel hat Gespräche u.a. mit Florin Grigoraș (ehemaliger Bassist der Musikband „Riff“, Hermannstadt) und Mircea Hodărnău, Moderator von Radio Ring in Mediasch, geführt. Ziel ist es, den Film auch in rumänischen Schulen zu zeigen.

Uwe Pelger sucht bundesweit Multiplikatoren, die an ihrem Wohnort in Schulen oder Kommunalkinos auch ein „Film@Dialog-Event“ in Eigenregie organisieren. Regisseur Joe Stall stellt den Dokumentarfilm zur Verfügung und FinK e.V. unterstützt mit Flyer, Plakaten und Beratung. Für Mitgliedschaften und Förderungen ist er gleichermaßen dankbar, um weitere Aktionen umsetzen zu können. Kontakt: www.freiheitinkinderschuhen.de.

Melitta Müller-Hansen




Kirchenrätin Melitta Müller-Hansen, geboren 1963 in Großscheuern in Siebenbürgen, studierte Evangelische Theologie in Erlangen und Heidelberg, ist seit März 2014 Beauftragte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für Hörfunk und Fernsehen beim Bayerischen Rundfunk, macht Filme und Hörfunksendungen, leitet Gottesdienstübertragungen.

Schlagwörter: Film, Ludwigsburg, Freiheit

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