17. Juni 2016

Zum 100. Geburtstag des Kirchenmusikdirektors Adolf Hartmut Gärtner

Nur wenige Woche vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs feierte der Hermannstädter Musikverein „Hermania“ sein hundertjähriges Jubiläum. Aus diesem Anlass erschien u. a. eine umfangreiche Monographie zur Geschichte dieser Institution und das Brukenthal-Museum veranstaltete die Ausstellung „Deutsches Musikleben in Siebenbürgen“. Das war „eine Ausstellung aus fünf Jahrhunderten deutscher Musikpflege des siebenbürgisch-sächsischen Volkes“, für deren Inhalt in erster Linie der Theologe, Lehrer und Musiker Gottlieb Brandsch (1872-1959) zuständig war. Man kann mit Recht behaupten, dass es die einzige Ausstellung dieser Art war, die außerhalb der Grenzen Deutschlands jemals stattgefunden hat.
Gottlieb Brandsch war damals bereits seit 1936 Pfarrer in Ruhestand und übernahm ab 1939 die Leitung der Handschriftenabteilung des Hermannstädter Brukenthal-Museums. Durchblättert man den Katalog dieser Musikausstellung, so kann man bereits auf den ersten Blick den unendlichen Reichtum am musikalischen Erbe der Siebenbürger Sachsen feststellen: von den alten römisch-katholischen Messbüchern vorreformatorischer Zeit, den Autographen bedeutender einheimischer Musiker, über Konzertprogramme, Erstdrucke von den großen Oratorien Haydns und Mendelssohns, bis hin zu einer reichhaltigen Dokumentation des zeitgenössischen Musiklebens und des Siebenbürgisch-deutschen Sängerbundes.

Schon die Einführung des Ausstellungskatalogs, verfasst von Gottlieb Brandsch, präsentiert in beachtlichen und großen Maßstäben die Anfänge der Musikkunst, gespickt mit Namen bedeutender Persönlichkeiten aus dem Schatten der Großen der Universalliteratur. Gleich zu Beginn seines Textes versucht Brandsch dieses „Schattendasein“ fast zu entschuldigen: „Unter solchen Verhältnissen darf man sich nicht wundern, wenn das sächsische Volk in Siebenbürgen auf keinem Gebiet der Kunst Spitzenleistungen aufweisen kann…“ Doch bereits im dritten Absatz schreibt er: „Immerhin hat insbesondere Kronstadt, das sich von jeher bis auf unsere Zeit herab durch eine hohe Musikkultur auszeichnete, eine ganze Reihe bedeutender Musiker, schaffende und ausübende, hervorgebracht, die freilich zumeist im Ausland gewirkt, aber die Grundlage zu ihrem Schaffen doch in der Heimat erworben haben.“

Gottlieb Brandsch konnte damals vermutlich noch nicht an unseren Jubilar Adolf Hartmut Gärtner gedacht haben, da dieser damals erst seit kurzer Zeit als Lehrer des Hermannstädter Lehrerseminars tätig war, nebenbei aber den 1939 gefeierten Musikverein Hermania geleitet hat. Und doch wird Brandsch im Nachhinein Recht behalten: Gärtner, geboren 1916 in Kronstadt (!), wird nach dem Krieg im Ausland (in München) als Musikpädagoge, Kirchenmusiker und Organist wirken und hier Generationen die Musik näher bringen. Somit klingen die Worte von Gottlieb Brandsch nicht nur historisierend, sondern fast prophetisch.
Adolf Hartmut Gärtner nach einer Lesung 2012 in ...
Adolf Hartmut Gärtner nach einer Lesung 2012 in München. Foto: Susanne Staffler
Weiter lesen wir in diesem Ausstellungskatalog von 1939 u. a.: „Wie ein kostbarer Schatz hat dieses Volk seine Kirchenmusik gehütet…“ Und wie passend gilt dieser Satz auch für den Musiker Gärtner: In der Münchner Paul-Gerhard-Kirche gründete er einen beachtlichen Chor, führte mit diesem Oratorien von Schütz bis Strawinsky auf und lud selbst Musiker aus seiner Heimat als Solisten ein, wie z. B. Martha Kessler, Helge von Bömches, Anton Schlesak oder Eckart Schlandt. Schon einige Zeit davor baute er als Musiklehrer und Seminarleiter am Theresien-Gymnasium einen leistungsfähigen Chor auf, der selbst für Konzerte namhafter Dirigenten wie Georg Solty, Joseph Keilberth oder Karl Richter herangezogen wurde.

Adolf Hartmut Gärtner gelang es, die Musiktraditionen seiner alten Heimat mit der Musikkultur der bayerischen Metropole zu verbinden. Wer die Musikszene Münchens kennt, weiß, dass es nicht einfach ist, als Kirchenmusiker mit den großen Klangkörpern und Musikinstitutionen dieser Stadt Schritt zu halten. Trotzdem gelang es ihm, sogar in seiner Paul-Gerhard-Kirche Werke siebenbürgischer Komponisten aufzuführen und z.B. 1979 ein Gedenkkonzert für die drei verstorbenen Kronstädter Musiker Paul Richter, Victor Bickerich und Walter Schlandt zu geben.

Anerkannt und ausgezeichnet

Über seine Verdienste wurde in den letzten Jahren öfter berichtet: Ernennung zum Kirchenmusikdirektor durch den Evangelischen Landeskirchenrat, die Medaille „München leuchtet“ der Stadt München anlässlich seines vierzigjährigen Chorleiterjubiläums und nicht zuletzt der Siebenbürgisch-Sächsische Kulturpreis 2005. Zu seinen Laudatoren zählten bedeutende Persönlichkeiten wie Karl Teutsch, Hans Bergel, Hans-Werner Schuster, Harald Siegmund u. a.

Und wieder sei der gute alte Gottlieb Brandsch zitiert: „Denn, wenn wir auch dem geistigen Leben im Mutterland aufgeschlossen waren, so wusste dieses umso weniger von uns. Daran haben wir gelitten, denn wir waren nur ein Setzling im Osten…“. Spätestens mit dem Wirken von Adolf Hartmut Gärtner in München kann man diese Feststellung aus dem Jahre 1939 verneinen. Oder doch nicht? Liest man die Berichte über die Allgemeinen Deutschen Sängerfeste des 19. und 20. Jahrhunderts, an denen immer auch Chöre aus dem entfernten Siebenbürgen und dem Banat beteiligt waren, so muss man jedenfalls auch feststellen, dass diese Sänger wie etwas Exotisches angesehen und beschrieben wurden.

In den letzten Jahrzehnten sind in Deutschland viele Publikationen und Partituren im Bereich der deutschen Musikgeschichte Südosteuropas erschienen. Wer also will, kann sich über das Musikleben Siebenbürgens oder des Banats ein Bild machen, über die wertvollen Orgellandschaften dieser Kulturräume, über deren Musik und deren Musiker. Auch Adolf Hartmut Gärtner hat dafür 1997 mit seinem Buch über den ehemaligen Kronstädter Kirchenmusiker und seinen Lehrer Victor Bickerich (1895-1964) einen beeindruckenden Beitrag geleistet.

Bis heute jugendlichen Geist bewahrt

Der 100. Geburtstag des Musikpädagogen und Kirchenmusikers Adolf Hartmut Gärtner bietet uns eine gute Gelegenheit zurückzublicken auf das, was im Bereich der Musik der deutschen Minderheit in Rumänien und als Aussiedler oder Flüchtlinge hier in Deutschland in den letzten Jahrzehnten alles geleistet wurde. Es ist erstaunlich viel! Und es ist beruhigend, dass dieser Bereich unserer deutschen Kultur heute parallel gepflegt wird: sowohl in der alten Heimat als auch in Deutschland.

Und zum Schluss noch ein Zitat von Brandsch aus dem Jahre 1939 über Musiker aus Siebenbürgen: „Heute leben wieder eine Reihe junger Komponisten draußen. Sie gehen verschiedene Wege und erst die Zukunft wird endgültig über den Wert oder Unwert ihrer Arbeiten entscheiden...“ Diese Zukunft wäre heute, also 77 Jahre später: „...Wesentlich aber ist, dass sie sich als Träger unseres Heimatgedankens fühlen, dass ihnen also von unserer Heimat her die Kräfte zuwachsen, um schaffen zu können...“. Vermutlich betrachtet Kirchenmusikdirektor Adolf Hartmut Gärtner diese Sichtweise mitnichten so romantisch, denn auch der Beruf eines Kirchenmusikers und Musikpädagogen erfordert weitaus mehr als nur Freude an der Musik. Dies hat ihn allerdings bis heute mit einem jugendlichen Geist erhalten. Für all das aber, was er uns bisher geschenkt hat, sind wir ihm wahrlich zu großem Dank verpflichtet. Ad multos annos!

Dr. Franz Metz

Schlagwörter: Gärtner, Kirchenmusik, Chor, München, Kronstadt, Kulturpreis

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