24. Juli 2016

Zum Tod des Kronstädter Historikers Rudolf Fischer

Wie die Siebenbürgische Zeitung erst jetzt erfuhr, starb der Historiker, Sprachforscher und Osteuropakenner Rudolf Fischer am 18. Februar 2016 im Alter von 92 Jahren in Budapest. Sein bewegtes Leben führte ihn von Kronstadt, wo er am 17. September 1923 geboren wurde, nach Australien, England, Griechenland und schließlich nach Ungarn, in dessen Hauptstadt er 48 Jahre lebte und arbeitete. Zahlreiche zeitgenössische Autoren profitierten von seinen Kenntnissen osteuropäischer Geschichte, Sprachen und Volkskunde, allen voran Patrick Leigh Fermor, einer der bedeutendsten englischen Reiseschriftsteller, mit dem Fischer über Jahrzehnte korrespondierte.
Nachdem 1972 Leigh Fermors Buch „A Time of Gifts“ („Die Zeit der Gaben – Zu Fuß nach Konstantinopel: Von Hoek van Holland an die Donau“), der erste Teil seiner bekannten Reisetrilogie, erschienen war, schrieb Fischer ihm einen Brief, in dem er voll des Lobes für das Buch war und zugleich eine Auflistung aller inhaltlichen Ungenauigkeiten, Widersprüche und Schreibfehler beifügte. Über Monate bekam er keine Antwort und befürchtete, seine gut gemeinte Kritik sei schlecht angekommen, aber das Gegenteil war der Fall: Leigh Fermor war begeistert und bat Fischer, auch den zweiten Band, „Between the Woods and the Water“ („Zwischen Wäldern und Wasser – Zu Fuß nach Konstantinopel: Von der mittleren Donau zum Eisernen Tor“), durchzusehen. Den letzten Band der Trilogie, „The Broken Road“ („Die unterbrochene Reise. Vom Eisernen Tor zum Berg Athos“), der 2013 posthum erschien – Leigh Fermor war 2011 gestorben – korrigierte Fischer ebenfalls; ein letzter Dienst für den Freund, der 1986 bekannt hatte, über alle Maßen tief in seiner Schuld zu stehen.

Wie einem Nachruf in der englischen Zeitung The Telegraph zu entnehmen ist, standen auch weitere Schriftsteller wie der Engländer Bruce Chatwin, der mit Patrick Leigh Fermor befreundet war, und der amerikanische Journalist Robert D. Kaplan in Kontakt mit Rudolf Fischer und suchten seinen Rat in Bezug auf osteuropäische Themen; Kaplan widmete Fischer gar ein ganzes Kapitel in seinem 2000 erschienenen Buch „Eastward to Tartary: Travels in the Balkans, the Middle East, and the Caucasus“.

Rudolf Fischer wurde als ältester Sohn von Joseph Fischer, eines ungarischen Juden, und der Siebenbürger Sächsin Bertha Meldt in Kronstadt geboren. Als junger Erwachsener emigrierte er mit seinem Vater, der ihn vor der Einberufung zum Kriegsdienst bewahren wollte, nach Australien. In Sydney, wo er die Universität besuchte, lernte er seine erste Frau Janet Gleeson-White kennen. Der Umzug Anfang der 1950er Jahre nach England, wo Fischer als Lehrer arbeitete und die kleine Familie in ärmlichen Verhältnissen leben musste, sorgte für Spannungen und letztlich die Rückkehr nach Australien im Jahr 1957. Dennoch zerbrach die Ehe, und Rudolf Fischer kehrte allein nach Europa zurück, wo er 1962 bei einer Reise durch Rumänien seine zweite Frau Dagmar von Melchner, die ebenfalls aus Kronstadt stammt, traf. Nach einem achtmonatigen Aufenthalt in Griechenland zog das Paar nach London, wo Fischer 1968 zum Redakteur der Zeitschrift The New Hungarian Quarterly berufen wurde, was einen neuerlichen Umzug (den letzten) nach Budapest nach sich zog. Dort zog das Ehepaar Fischer seine Töchter groß, dort baute Rudolf Fischer eine beeindruckende Sammlung von Nachschlagewerken und Karten zum Balkan und zur österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie aus dem 19. Jahrhundert auf, dort empfing er Schriftsteller unterschiedlichster Nationalitäten, denen er Lehrer, Kritiker und Freund war, und dort starb er am 18. Februar dieses Jahres. Seinem Wunsch entsprechend, wurde er im Familiengrab auf dem Kronstädter Innerstädtischen Friedhof beigesetzt.

dr

Schlagwörter: Historiker, Osteuropa, Nachruf

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