27. Juli 2016

Buchveröffentlichung: Südostdeutsche Gespräche, geführt von Stefan Sienerth

Nach seinem ersten Buch mit Schriftsteller-Interviews, das 1997 erschienen ist, hat Stefan Sienerth eine Reihe weiterer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler aus Südosteuropa befragt. Herausgekommen ist ein hochinteressantes und gewichtiges Buch von fast 400 Seiten mit dem eindringlichen Titel „'Immer die Angst im Nacken, meine Erinnerung könnte versagen'. Interviews mit deutschen Schriftstellern und Literaturwissenschaftlern aus Südosteuropa", das im Verlag Friedrich Pustet in Regensburg, in Zusammenarbeit mit dem Institut für Kultur und Geschichte Südosteuropas in München (IKGS) erschienen ist.
Es sind Gespräche, die im Laufe von mehr als zehn Jahren entstanden und bereits in den Südostdeutschen Vierteljahrsblättern (bzw. Spiegelungen) veröffentlicht wurden. Und wenn im ersten Band, so Stefan Sienerth, vor allem Autoren fiktionaler Texte befragt wurden, von Wolf von Aichelburg, Georg Scherg bis Oskar Pastior, Richard Wagner und Herta Müller, so kommen hier verstärkt Essayisten, Literaturwissenschaftler, Übersetzer, Journalisten und Buchhändler zu Wort. Doch auch die Schriftsteller kommen nicht zu kurz, so gibt es im zweiten Band Interviews mit dem bereits verstorbenen Paul Schuster, mit Johann Lippet, Anton Sterbling, Horst Samson und Hellmut Seiler u.v.a.m. Namhafte Literaturwissenschaftler wie Gerhardt Csejka, Peter Motzan, Horst Fassel, Walter Engel, Horst Schuller Anger, George Guțu und Andrei Corbea-Hoșie dürfen auch nicht fehlen. Schließlich widmet sich ein weiterer Teil den Kulturwissenschaftlern aus Deutschland, Österreich, Serbien und Ungarn, wie Anton Schwob, Antal Madl, Johann Adam Stupp u.a. Die meisten Autoren in diesem Buch vereint die Tatsache, dass sie ihre nachhaltigsten Prägungen in der Nachkriegszeit erfahren haben, so der Verfasser im Vorwort.

Jedem einzelnen Interview geht eine ausführliche und gründliche biografische Notiz voran, die auf den aktuellen Stand gebracht wurde, da einige Gespräche schon lange zurückliegen. Ein Personenregister und eine Ortsnamenkonkordanz vervollständigen das literaturwissenschaftliche Werk. Stefan Sienerth stellt dabei kenntnisreiche und sinnige Fragen und scheut sich auch nicht, heikle Themen anzusprechen, wie etwa im Interview mit Paul Schuster. Da kommt beispielsweise zur Sprache, dass dieser ganz und gar nicht mit Wichners Auswahl in der Anthologie rumäniendeutscher Nachkriegsliteratur im 147. Heft der Literaturzeitschrift die horen einverstanden war. Und auch nicht mit der darauffolgenden Anthologie Das Land am Nebentisch. Auch der Eklat in der Auseinandersetzung mit Ernest Wichner wird angesprochen.

Doch nicht alle Interviews sind so spannungsgeladen, meist gehen sie vom Werk der Befragten aus, um dann in die Details des Lebens vorzudringen. Jedem Interview ist ein Titel zugeordnet, die zuweilen schon poetisch ausfallen: „Leben über den Tag hinaus“ (Heinrich Lauer), „Schreiben entlang der Lebenslinien“ (Edgar Hilsenrath) „Ich suche mein Leben von heute im Gestrigen“ (Horst Samson). Und nicht selten kann man über die Lebensweisheiten darin sinnieren, wie etwa über Paul Schusters Ausspruch: „Heimat ist ja der Kilometer Null, von dem aus der Mensch sich ins Leben hinaus und hinein entfernt“, oder Peter Motzans Aussage, in der er Richard Wagner abwandelt, dass ihn sein Weg „von der Mitte des Randes an den Rand der Mitte“ geführt habe.

So ist das Buch durch die Gesprächsform nicht nur lebendig und, wenn man von einigem zu speziellen Insiderwissen absieht, kurzweilig zu lesen – schließlich verbirgt sich hinter jedem Interviewpartner eine Persönlichkeit. Es legt auch Zeugenschaft ab vom Literaturbetrieb in Südosteuropa bzw. von seiner Verlagerung in die Bundesrepublik. Ein Ziel des Buches ist es, die künstlerische Lebendigkeit dieses Raumes zu vermitteln, so Sienerth in seinem Vorwort. Und das ist ihm auf jeden Fall gelungen.

Edith Ottschofski



Stefan Sienerth (Hg.): „Immer die Angst im Nacken, meine Erinnerung könnte versagen“. Interviews mit deutschen Schriftstellern und Literaturwissenschaftlern aus Südosteuropa. Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München im Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 2015, 400 Seiten, 36,95 Euro, ISBN 978-3-7917-2713-4

Schlagwörter: Buchvorstellung, Interview, Sienerth, Literaturwissenschaftler

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