15. August 2016

Streiflichter aus der Geschichte der Siebenbürger Sachsen

Eigentlich waren die Weichen für die Zukunft der Siebenbürger Sachsen als privilegierte ständische Nation durch die Reformation, durch ihre verfassungsmäßige Rolle im Fürstentum Siebenbürgen, durch ihre eigene Gesetzgebung, das „Eigenlandrecht“, bestens gestellt. Es kam leider anders, wegen des Schwankens des ungarischen Adels und der von ihm gestellten Fürsten zwischen den rivalisierenden und sich immer wieder bekriegenden Großmächten der Habsburger und Osmanen, wegen der zeitweise bürgerkriegsähnlichen Zustände im Land zwischen konkurrierenden Fürsten und Adelsgruppen, aber auch zwischen den einzelnen Ständen, wegen der letztlich sie schwächenden, wenngleich bewundernswert unverbrüchlichen Treue der Sachsen zum „deutschen“ Herrscherhaus der Habsburger, die nach der Eroberung Siebenbürgens nicht belohnt, vielmehr der Staatsraison geopfert wurde.

„Schrecken ohne Ende“

Diese Kennzeichnung der siebenbürgischen Geschichte im 16. und 17. Jahrhundert durch Georg Daniel Teutsch trifft insbesondere für die Siebenbürger Sachsen zu. Die Wirtschaft lag darnieder, die alten Handelswege, von denen der Wohlstand der sächsischen Städte abhing, waren unter osmanischer Kontrolle und damit blockiert, die großen geographischen Entdeckungen nahmen ihnen außerdem die alte Bedeutung.

Soziale Konflikte erschütterten die Städte. Kriege, Plünderungen, Hungersnöte, Seuchen wechselten einander ab. Die Äcker konnten kaum noch bestellt werden, Ernten wurden vernichtet, der Viehbestand dezimiert. Hohe Abgaben, der Tribut an die Pforte, korrumpierende „Geschenke“ an den Sultan und seine Würdenträger belasteten die Steuerzahler unerträglich. Not und Verzweiflung machten sich breit. Türkische, tatarische, kosakische, moldauische, walachische Heere durchstreiften das Land, auch von den kaiserlichen Truppen war man bedroht, etwa von jenen des Generals Basta und jenen des mit den Habsburgern verbündeten Michael des Tapferen, dem in Urwegen, wie eine Wandinschrift in der Kirche knapp mitteilt, alle Bewohner bis auf zwei zum Opfer gefallen sind. Die eigenen Fürsten fielen im Sachsenland ein, so der berüchtigte Gabriel Báthory, der 1613 sogar Hermannstadt besetzte. „Herr, hilf uns, denn wir verderben!“, prägten die Kronstädter 1661 auf ihre Münzen.

Als alles vorbei und 1696 eine erste Bestandsaufnahme möglich war, wurden in den 228 Ortschaften des Sachsenlandes fast 6000 wüste Höfe gezählt, und in nur sieben der 24 Gemeinden des Bistritzer Distrikts lebten noch mehr als 15 Hauswirte. In den entvölkerten Gemeinden ließen sich Rumänen nieder. Man fragt sich, wie die Siebenbürger Sachsen diese Zeit überlebt haben, wie sie damals in dieser unwirtlich gewordenen Heimat ausharren konnten! Die eingangs erwähnten Faktoren Reformation, Standesnation, Eigenlandrecht erklären das, ebenso das neue sächsische Selbstbewusstsein und die Heimatliebe, so wie sie Albert Huet formuliert hat.
Maria Theresia als Witwe. Bildnis des Mediascher ...
Maria Theresia als Witwe. Bildnis des Mediascher Malers Stephan Valepagi vom Prospekt der Orgel in Stolzenburg (1773). Nach dem Tod ihres Gatten, Kaiser Franz I. (1765), zeigte sich die Kaiserin nur noch in Trauerkleidung mit Witwenhaube. Als Pendant zu Maria Theresia am rechten Schleierbrett ein Bildnis ihres Sohnes und Mitregenten Joseph II.
Die gute Ausbildung der Siebenbürger Sachsen mag erklären, wieso sie gerade in der wirrvollen Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts ­bedeutende künstlerische und kulturelle Leistungen zu vollbringen vermochten. Sächsische Humanisten verbreiteten den Buchdruck in Siebenbürgen, sächsische Historiker wie Johann Töppelt und Lorenz Tröster wurden in Westeuropa gedruckt und gelesen. Renaissance- und Barockkunstwerke, etwa jene von Georg May, Sebastian Hann oder Elias Nicolai, erreichten europäisches Niveau, Kompositionen eines Gabriel Reilich werden bis heute aufgeführt. Im Raketenbau erwiesen sich Hermannstädter als Vorreiter: 1566 entwarf hier der aus Landshut stammende Geschützmeister Conrad Haas den Plan einer „schönen Rackette“, 1697 veröffentlichte Valentin Franck von Franckenstein im „Breviculus Pyrotechnicus“ den Plan einer Stufenrakete.

„Nervus ac decus“ – Grundkraft und Zierde einer westlichen Großmacht

Aus dem Ringen zwischen Kaiser und Sultan, zwischen Halbmond und Kreuz, zwischen Ost und West um den Donau- und Karpatenraum gingen nach der erfolglosen Belagerung von Wien (1683) die Habsburger siegreich hervor. Eine neue, abendländisch orientierte Großmacht entstand in Mittel- und Südosteuropa, die Donaumonarchie. Von dieser neuen geopolitischen Situation profitierte auch Siebenbürgen, das zwar 1687 zunächst gewaltsam erobert wurde – die Folgen kann man am Brand von Kronstadt und am Namen seiner gewaltigen „Schwarzen Kirche“ erkennen, dann aber Teil eines gut organisierten, schließlich Frieden sichernden Staatswesens wurde, in dem sich die Wirtschaft erholen und der Kontakt zu den Kultur- und Kunstströmungen Westeuropas intensiviert werden konnten, nicht zuletzt durch das Studium an ausländischen Universitäten. Siebenbürgen gehörte wieder zu Mitteleuropa, dem es durch Natur und Geschichte immer verbunden war und ist.

Die strategische Bedeutung Siebenbürgens und die Rolle der hier lebenden Sachsen hat der kaiserliche Feldmarschall Antonio Caraffa 1690 in einer Denkschrift treffend charakterisiert: „Das Fürstentum ist von Natur aus zur Citadell angelegt, von welcher aus Alles, was zwischen der Donau, Mähren, dem schlesischen und polnischen Gebirge lieget, dominiert und im Zaum gehalten werden kann.“ „Nervus ac decus Transsilvaniae [Grundkraft und Zierde Siebenbürgens]“ sei dessen deutsche Bevölkerung, „diese redliche und wohlintentionierte Nation“, während das restliche Land „dem Haus Österreich gegenüber von jeher aufsässig gewesen“ sei.
Robert Wellmann: Johannes Zabanius, geadelt 1698 ...
Robert Wellmann: Johannes Zabanius, geadelt 1698 zu Sachs von Harteneck, Brukenthalmuseum. Wellmanns Ölbild von 1887 geht auf eine Zeichnung von Hartenecks Sekretär Johann Kinder von Friedenberg zurück. Fotos und Bildtexte: Konrad Klein
Die Treue zu den Habsburgern schien Früchte zu tragen. Der Kaiser anerkannte am 4. Dezember 1691 im „Leopoldinischen Diplom“ die überlieferten Rechte der Stände, auch jene der Siebenbürger Sachsen, sogar das Recht der freien Religionsausübung. Das Leopoldinum bleibt – mit einigen Änderungen, insbesondere der Anerkennung der Pragmatischen Sanktion – für eineinhalb Jahrhunderte (bis 1848) das Grundgesetz Siebenbürgens. Johannes Zabanius, Sachs von Harteneck, wuchs in dieser Zeit des Übergangs zur genialen politischen Persönlichkeit der Siebenbürger Sachsen heran. Er sah in den Habsburgern das „angestammte Herrscherhaus“ und natürliche Verbündete gegen die Arroganz, die Ansprüche und die Privilegien des ungarischen Adels. Programmatisch war in diesem Sinn seine Schrift „Folgende Gesetze des ungarischen Vaterlandes sind dem Sachsenrechte abträglich“. In einem Steuerreform-Entwurf forderte er eine gerechtere Verteilung der Lasten auf alle Bewohner des Landes, einschließlich des Adels. Damit war er seiner Zeit weit voraus und das rächte sich. Er fiel einem (zum Teil selbst verschuldeten) Intrigenspiel zum Opfer und wurde wegen Verstrickung in einen Mord 1703 hingerichtet.

Kleine Gruppe im großen Habsburgerreich

Die stufenweise Eingliederung in den Gesamtkomplex der habsburgischen Länder konnte nicht aufgehalten werden. Die Siebenbürger Sachsen mussten dabei an mehreren Fronten kämpfen: Gegen die katholischen Herrscher, die ihre evangelische Kirche schwächen und ihre ständische Sonderstellung beseitigen wollte, bis hin zur Zerschlagung der Sächsischen Nationsuniversität; gegen den ungarischen Adel, der ihre Rechtslage erneut bedrohte und mit der „Konzivilität“ freie Niederlassung auf Königsboden forderte, jedoch wie auf Adelsboden keine Steuern zahlen wollte; gegen die Rumänen, deren Zahl im 17. Jahrhundert jäh angestiegen war, die das Bürgerrecht beanspruchten, auf dessen Grundlage sie die Sachsen auf Königsboden hätten überstimmen können. Letztlich ging es darum, dass man den schweren Weg gehen musste von einer ihr Schicksal weitgehend selbst bestimmenden Gruppe zu einer nationalen Minderheit, ein Weg, den die Sachsen nicht gehen wollten.

Die „Transmigration“, eigentlich eine Zwangsdeportation von Protestanten aus den habsburgischen Erbländern (besonders aus dem Salzkammergut, aus der Steiermark und aus Kärnten), ermöglichte, trotz der anfänglichen Zurückhaltung, ja Abweisung durch die Siebenbürger Sachsen, mit den „Landlern“ eine Stärkung der Deutschen in Siebenbürgen. Auch die Zuwanderung aus dem Hanauer Ländchen, aus Baden-Durlach und von preußischen Kriegsgefangenen hatte eine positive Auswirkung. Sie wurden alle ein fester Bestandteil der Gruppe der Deutschen in Siebenbürgen und haben mit ihrem Fleiß und ihren handwerklichen Fähigkeiten, mit ihrem protestantischen Ethos und ihrer eigenen Kultur das Land und die Gruppe bereichert.

Die herausragende Persönlichkeit der Siebenbürger Sachsen war im 18. Jahrhundert Samuel von Brukenthal. Er gehörte nicht dem Hermannstädter Patriziat an und machte auch nicht in der Sächsischen Nationsuniversität Karriere, sondern – bezeichnend für das Zeitalter des habsburgischen Absolutismus – im österreichischen Staatsdienst. Hier stieg er – als einziger Siebenbürger Sachse übrigens – vom Gubernialsekretär zum Gouverneur von Siebenbürgen (1777-1787) auf.
Samuel von Brukenthal auf dem Sockel des Maria ...
Samuel von Brukenthal auf dem Sockel des Maria-Theresien-Denkmals in Wien (hinten, 2. v. l.), Bildhauer: Caspar von Zumbusch, 1888 enthüllt. Die Kaiserin thront hoch über den Stützen ihres Reiches, die von verdienten Persönlichkeiten aus den Bereichen Außenpolitik, Verwaltung, Militär und Kultur gebildet werden. Auf dem Relief für die Verwaltung stehen neben Brukenthal die aufgeklärten Gelehrten Joseph von Sonnenfels, der die Folter im Reich abschaffte, Joseph von Riegger und Karl Anton von Martini sowie Anton Graf Grassalkovich, Präsident der ungarischen Hofkammer und Initiator der donauschwäbischen Ansiedlungen. Vorne Friedrich Wilhelm von Haugnitz, Oberster böhmischer und zugleich Erster österreichischer Kanzler. Fotografie, 1930er Jahre, Sammlung Klein
Dieser Aufstieg gelang unter der Herrschaft der „allerkatholischen Majestät“ Maria Theresia, obwohl Brukenthal seinem Wahlspruch Fidem genusque servabo (ich will meinem Glauben und meinem Volk dienen) treu blieb und nicht aus Karrieregründen die Religion wechselte. Entscheidend waren in seinem Fall die im Ernennungsdiplom zum Gubernator genannten Qualitäten Brukenthals: Scharfsinn, Fähigkeit, Diensteifer, Genauigkeit in schwierigen Geschäften. Er bewährte sich als tatkräftiger und treuer Diener des Herrscherhauses, verstand es aber, gleichzeitig die Interessen seiner Mitbürger zu vertreten. Dabei übte sich Brukenthal einerseits in der Defensive – dem Schutz der lutherischen Volkskirche und der Abwehr von Angriffen auf die privilegierte Rechtsstellung der Sachsen –, andererseits in der Offensive, durch Maßnahmen zu ihrer wirtschaftlichen Stabilisierung und zur Festigung ihres kulturellen Selbstbewusstseins. Kennzeichnend ist seine Denkschrift an die Kaiserin, in der er feststellte: „Kein Magnat oder Edelmann ist in der Sächsischen Nation frei, alle zahlen nach ihrer Habschaft. [...] Kein Einzelner darf die Gerechtigkeitspflege ausüben, nur gewählte Communitäten, die sie vertreten und das ganze Volk vorstellen. [...] Seit sie aus ihrem Vaterland, den deutschen Provinzen, berufen worden, haben sie sich niemals vermischt.“

Heute ist Brukenthal vor allem als Förderer von Kultur und Kunst der Siebenbürger Sachsen bekannt. Seine Privatsammlungen (insbesondere wertvolle Gemälde, Münzen und Bücher), die er testamentarisch dem Hermannstädter Gymnasium überlassen hat, bilden den Grundstock des ersten, 1817 eröffneten öffentlichen Museums im südöstlichen Mitteleuropa. Auf seine Anregung geht die Erneuerung der sächsischen Historiographie zurück. Der Titel seiner „Deutschen Geschichte von unserer Abkunft, von den Beweggründen unserer Herbey-Ruffung, von unseren Rechten, Freyheiten und Verdiensten, von unserm Verfall, den Ursachen desselben und alles mit Worten der Könige und Fürsten in margino bestärket“ ist ein Programm, das heute allerdings überholt ist: Die Forschung soll der Politik dienen, der Verteidigung „sächsischen Rechtes“. Für eine in diesem Sinne abzufassende Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen wurde der Göttinger Gelehrte August Ludwig Schlözer gewonnen, dessen „Kritische Sammlungen“ dem Kampf der Sachsen um Wahrung ihrer Privilegien publizistische Schützenhilfe geben sollten; ihre Historiographie empfing dank seiner nachdrücklichen Forderung, die Geschichtsquellen zu studieren, wesentliche Impulse.

Brukenthals „sächsische“ Politik zeitigte nicht das erhoffte Ergebnis. Sie war zu stark den Interessen seiner Standesnation verhaftet, die verbissen ihre überlieferten Privilegien zu bewahren versuchte, anstatt den „Königsboden“ jenen Entwicklungen anzugleichen, denen die Reformen des aufgeklärten Absolutismus im Gesamtstaat Rechnung trugen. Die Tragik des wohl ­fähigsten Staatsmannes der Siebenbürger Sachsen ist in dem Zwiespalt begründet, dass Brukenthal einerseits die Notwendigkeit der österreichischen Reformpolitik erkannt hat, diese als Vertreter des Wiener Hofes in Siebenbürgen mittrug und durchsetzte, andererseits aus „Treue zu Volk und Glauben“ nicht erkannte, dass der „sächsische Separatismus“ auf Dauer nicht zu halten war. Er konnte diesen nur verteidigen, weil ihm Maria Theresia vertraute und ihn unterstützte. Ihr Sohn Joseph II. anerkannte zwar Brukenthals Bemühungen, „seine Nation wieder emporzuschwingen“, war aber nicht bereit, dafür von seiner Reformpolitik abzuweichen. Joseph II. setzte das Leopoldinische Diplom außer Kraft, löste 1784 die Nationsuniversität auf, ermöglichte es den Ungarn und Rumänen durch das „Konzivilitätsreskript“, sich auf Sachsenboden niederzulassen und „in allen Rechten gleich gehalten“ zu werden, gab aber keine Garantien für den Fortbestand einer Gruppe, die nur zehn Prozent der Landesbevölkerung ausmachte. Zwar wurden die Reformen kurz vor seinem Tod rückgängig gemacht, doch sie wiesen den Sachsen überdeutlich den schwierigen Weg, den sie in den folgenden Jahrzehnten zu bewältigen hatten, jenen von der privilegierten Standesnation zur nationalen Minderheit.

Dr. Konrad Gündisch

Schlagwörter: Streiflichter, Geschichte, Gündisch, Brukenthal, Maria Theresia, Habsburger

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