22. August 2016

Der außergewöhnliche Gedankenaustausch: Hans Bergel und Manfred Winkler im Gespräch

Hans Bergel / Manfred Winkler. Die Verweigerung der Negativität. Gespräch über Hiob und Apollon. Mit einem Beitrag von Walter Schuller. Edition Noack & Block, Berlin, 2016, 201 Seiten, 18,00 Euro, ISBN 978-3-86813-035-5
Verweigerung der Negativität und das mythologische Assoziationsfeld Hiob und Apollon – ein solcher Buchtitel verblüfft und macht neugierig. Zumal er aus einem intensiven, über Jahre hinweg gepflegten Gespräch zwischen zwei bedeutenden Schriftstellern, Dichtern und Kulturtheoretikern entstanden ist: Hans Bergel (Jahrgang 1925) aus dem deutsch-rumänischen Kulturkreis und Manfred Winkler (1922-2014) aus der jüdisch-deutsch-rumänischen Schicksalsgemeinschaft stammend, haben in der vorliegenden Publikation, einer Kombination von Gespräch, Essays und Nachwort, einen außergewöhnlichen Gedan­kenaustausch dokumentiert.

Das Gespräch stellt die Fortsetzung des Briefwechsels dar, den die Germanistin und Historikerin Renate Windisch-Middendorf 2012 im Verlag Frank & Timme herausgegeben und mit einem Nachwort versehen hat: Unter dem Titel „Wir setzen unser Gespräch fort ... Briefwechsel eines Juden aus der Bukowi­na mit einem Deutschen aus Siebenbürgen“ gab sie 124 Briefe heraus, die Bergel und Winkler zwischen 1994 und 2010 geschrieben hatten.

In der Einführung zu diesem Band mit Fotografien der beiden Autoren und Abbildungen von Titelblättern ihrer Werke erinnert Manfred Winkler an ihren ersten Briefwechsel Mitte der 1950er Jahre in Rumänien. Es folgten die Ausreise Winklers 1958 nach Israel, Bergels Verurteilung zu 15 Jahren Haft wegen „verbrecherischer Unterwühlung der sozialistischen Gesellschaftsordnung durch Agitation“ 1959, Ende der Haftzeit 1964 und seine Ausreise 1968 in die Bundesrepublik Deutschland. 1994 dann die erneute Kontaktaufnahme zu Manfred Winkler, der in der Zwischen­zeit als Leiter des Theodor-Herzl-Archivs in Jerusalem ein renommierter israelischer Schriftsteller geworden war.

Das rund 70 Druckseiten umfassende Gespräch sowie einige Essays, als Paperback 2016 veröffentlicht, leitet Hans Bergel mit der Bemerkung ein, dass Manfred Winkler im Mai 2014 in seinem Wohnort Zur Hadássa, 25 Kilometer westlich von Jerusalem, verstarb. An diesem Ort hatten die beiden Autoren im Herbst 2011 jenes Gespräch aufgezeichnet, das die Grundlage für die vorliegende Publikation bot, die Hans Bergel 2014 – nach einer Vorlage von Winkler – mit der mühevollen Anfertigung der Reinschrift vorbereitete und für den Drucksatz redigierte. Der Leser wird einleitend kurz mit den Lebensschicksalen von Zeitgenossen konfrontiert, die in ihrer Jugend durch mehrere Höllengänge getrieben wurden: Manfred Winkler als Sprössling einer jüdischen Familie in der Bukowina, der den rassistischen Ausmerzungswahn der Nazis und den stalinistischen GULAG nur zufällig überlebte, und Hans Bergel aus einer gutbürgerlichen Familie in Siebenbürgen stammend, der die Nachkriegszeit im antikommunistischen Widerstand überlebte und 1947 zum ersten Mal in die Fänge des Geheimdienstes Siguranța/Securitate geriet.

Es zeichnet den besonderen Charakter des Gesprächs aus, dass die beiden Partner gleichsam rhythmisch verschiedene Begriffsfelder abarbeiten, wobei sie ihre reiche individuelle Erfahrung kulturhistorisch, erkenntnispraktisch und philosophisch belegen. Der Einstieg erfolgt über den Begriff der Schöpfung. Winkler: „Der Mensch (ist) ein Fremder in der Schöpfung“, mehr noch, er ist ihr Zerstörer. Bergel, unter Verweis auf Hojmar von Ditfurth: „Der Mensch wird aus der Schöpfung verschwinden.“

Und die Kunst, der sich beide bedienen? Für Winkler besteht die Substanz der Postmoderne nur noch aus Montage, nicht mehr aus Komposition, für Bergel gilt die Akzeptanz der stilistischen Vielfalt, der er sich in seinen Erzählungen auch bedient. Doch die Flucht in die klassische Eleganz der antiken Künste ist für ihn immer dann notwendig, wenn er vor den „Lächerlichkeiten deutscher Hinterfragungen“ Reißaus nimmt. Und das schwer belastete Verhältnis zwischen Deutschen und Juden? Bergel, mit Kritik an der bundesdeutschen „Aufarbeitung“ der Nazi-Verbrechen, flieht in die europäi­sche „Heimat“. Winkler bekennt sich zu einem leidenschaftlichen Judentum, warnt aber gleichzeitig vor den Auswüchsen seiner Orthodoxie. Und das Verhältnis der beiden zur Religiosität? Bergel: „Ich bin kein theologischer Sophist. Vielleicht ein Häretiker... Manchmal beschäftigt mich die Ketzerfrage, ob die monotheistische Religion der Juden und der Christen nicht darin (im Mythenpanorama der Griechen, in dem alles Menschliche sich offenbare) gründet.“ Und Winkler: Gibt es die Macht des Religiösen?

Es ist auffallend, wie beide vor der Thematisie­rung tradierter Religiosität zurückweichen, sich aber stattdessen auf mythologische Deutungsfelder begeben. Deshalb interpretieren sie immer wieder die Wirkung von Hiob und von Apollon in ihrem Alltagsbewusstsein, besonders nach erschütternden Erlebnissen. Markant ist auch ihre mahnende Einstellung zu der sich abschwächen­den Kraft des Christentums in Europa und der bei Winkler zu beobachtenden Warnung vor dem wachsenden Einfluss der verschiedenen Spielarten des Islam auf die europäische Kultur.

Und die „Verweigerung der Negativität“?

Der Buchtitel taucht in einer Gesprächsphase auf, als Winkler darauf verweist, dass er in seiner Lyrik immer dann den Begriff „Gott“ im Sinne einer poetischen Konvention verwendet, wenn es darauf ankomme, „der Sprachkonvention das Konventionelle dadurch zu nehmen, dass ich sie in einer Sprachumgebung verwende, die außerhalb dessen liegt, was wir gemeinhin Konvention-Übereinkommen im negativen Sinne nennen.“ (S. 79) Eine Feststellung, die Bergel zur Nachfrage veranlasst, ohne eine grundlegende Antwort zu erhalten. Stattdessen bekennen sich beide zur Freiheit der Dichtung und der künstlerischen Ge­staltung, die sie mit Verweisen auf Rilke, Goethe, Dante wie auch Ernst Barlach beschwören.

Der zweite Teil der Publikation besteht aus Essays, in denen die Autoren sich wechselseitig über die poetischen und narrativen Eigenschaften in den Werken des Anderen äußern, wobei auch der Skulpturenkosmos im künstlerischen Werk von Manfred Winkler aus der Sicht von Hans Bergel insoweit eine differenzierte Würdigung findet, als er dessen lyrisches Schaffen in seine Analyse einbezieht. Der Wert einer solchen gegenseitigen Betrachtung besteht in der Beleuchtung von künstlerischen Kompositionsweisen, die dem Rezipienten oft nicht in den Blick fallen. Umso wichtiger ist auch Walter Schullers Beitrag „Faszination Israel“, in dem er sich mit Hans Bergels Rezeption Deutsch schreibender Juden auf der Grundlage zahlreicher Werkanalysen und literaturwissenschaftlicher Analysen auseinandersetzt. Dabei gelingt es ihm, die verblüffende Vielfalt der Kompositionsverfahren zu beschreiben: „Bergel hält sich an keine Konvention. Berichterstatterton im Stil gekonnter Reportage [...] wechselt sich bruchlos mit Passagen lyrischer Überhöhung ab, erzählerische Dynamik ebenso bruchlos mit sezierender Detailwahrnehmung.“ (S. 183) Nicht minder aufschlussreich für die Bedeutung des dichterischen Schaffens von Hans Bergel sind dessen Verdienste im Rahmen seiner unermüdlichen Aufarbeitung der Werke bedeutender Schriftsteller wie Manes Sperber, Moses Rosenkranz, Alfred Kittner, Rose Ausländer, Dorothea Sella und vieler anderer, die neben Paul Celan der deutschen Sprache die Treue hielten, obwohl viele von ihnen unter dem Terror der Nationalsozialisten schwer gelitten hatten.

Umso wichtiger ist diese Publikation, die das Schaffen zweier Schriftsteller nicht nur aus dem jeweils anderen Blickwinkel beleuchtet, sondern zugleich das breite Spektrum dichterischen und künstlerischen Schaffens vor dem Hintergrund eines ost-westlichen Panoramas würdigt. Und nicht zuletzt auch deshalb, weil Hans Bergel sich der Mühe unterzogen und im Gedenken an seinen langjährigen Freund Manfred Winkler die Tonbandaufnahme in eine so spannende Lektüre umgesetzt hat.

Wolfgang Schlott

Professor Dr. Wolfgang Schlott, Bremen, ist Schriftsteller und Präsident des Zentrums der Exilschriftsteller des Internationalen P.E.N.-Clubs

Schlagwörter: Rezension, Bergel

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