8. September 2016

Disziplinierter Überschwang - Reinhardt Schuster zum Achtzigsten

Ist eine Wohnung von Siebenbürger Sachsen, ob in Siebenbürgen oder in Deutschland, ohne heimatlich gestimmten Wandschmuck denkbar? Ein Abschied aus Heimat und Geschichte, wie die Deutschen aus Rumänien ihn beinahe endgültig vollzogen haben, erhöht den Bedarf an Sinnbildern, an Bildern überhaupt. Ob man nun etwas von der „Ruhe des Gemüthes“, die schon Martin Opitz mit jenen Gefilden in Verbindung brachte, in den eigenen vier Wänden wahren oder gerade das Gemüt berühren und beunruhigen will, das Bedürfnis ist so sentimental wie legitim, so kitschtreibend wie kunstfördernd. Davon profitieren die Wohnräume der Landsleute, ihre so zahlreichen Gemeinschaftsveranstaltungen ebenso wie die Kulturseiten auch dieser ihrer Zeitung – und nicht zuletzt die Urheber der Werke oder auch Machwerke.
Von Profit hat der am 1. September 1936 in Brenndorf geborene Maler Reinhardt Schuster in seinen achtzig Lebensjahren wohl kaum jemals etwas mitbekommen, gefördert worden ist er auf diesem Umweg nicht. Der Banater Schwabe und zeitweilige Düsseldorfer Landsmann Franz Heinz zählt ihn zwar „zu den mit Siebenbürgen am tiefsten verwurzelten Menschen“, die ihm bekannt sind, und ausgerechnet Heinz hat ihn auch wiederholt in der Siebenbürgischen Zeitung vorgestellt – nicht jedoch hat er ihn in die Sammlungen „Kunst in Siebenbürgen“ oder „Deutsche Künstler aus Ostmittel- und Südosteuropa“ oder gar ins „Lexikon der Siebenbürger Sachsen“ zu bringen vermocht. Worin also besteht die Verwurzelung des gebürtigen Burzenländers, den „es“ schließlich nach Bad Godesberg (Bonn) verschlagen oder gezogen hat?

Damit habe ich gleichsam das Thema für eine Künstlermonographie formuliert, die hier nicht geleistet werden kann. Ich weiß nicht, worin die siebenbürgische Verwurzelung besteht, noch nicht einmal meine eigene, und ich denke auch nicht, dass uns das hier zu kümmern hat. Denn wenn dieser Künstler es verdient, dass man sich um ihn kümmert, dann weder wegen irgendwelcher Wurzeln oder Triebe, noch weil er achtzig Jahre alt geworden ist, sondern wegen der unbeirrbaren Konsequenz, mit der er seinen Weg geht, auch wenn dieser nicht in siebenbürgisch-sächsische Wohnstuben und Bücher geführt hat.
Reinhardt Schuster mit seinem Ölbild „Satrap“ ...
Reinhardt Schuster mit seinem Ölbild „Satrap“ (1980), eine Auseinandersetzung mit der technokratisch-zerstörerischen Dimension ceaușistischer Industrialisierungspolitik. Rechts ein Gemälde, zu dem er durch eine Breslau-Fahrt angeregt wurde („Alte Geister in altem Gemäuer“, Öl auf Leinwand, 1994). Aufgenommen Oktober 2005 im Haus des Deutschen Ostens München. Foto: Konrad Klein
Kunst ist die Antwort auf Fragen, die niemand stellt, und sie ist der schöne Nachweis, dass man diese Fragen gar nicht beantworten, aber – eben schön – in den Raum stellen kann. „Moderne“ Künstler, zumal vom bildenden Gewerbe, geben sich mit der Welt nicht zufrieden, sie bilden sie seit geraumen hundert Jahren nicht mehr ab, sondern bilden, schaffen eine neue, andere. Die Gegenständlichkeit der Malerei, wie sie selbst noch der Expressionismus vor dem und zur Zeit des Ersten Weltkriegs pflegte, ist nicht erst im Krieg zerbröckelt und zerbröselt.

Es nimmt nicht Wunder, dass dieser Zerfall, das Wissen darum und das Bewusstsein davon im europäischen Osten seinen Anfang genommen hat. Der Zürcher Dada-Erfinder Tristan Tzara wurde im ostrumänischen Moinești geboren, der steinerweichende Pariser Steinmetz Constantin Brâncuși im südrumänischen Tîrgu Jiu. In jenem östlichen Europa, wo umso offener zutage trat, was sich im 20. Jahrhundert dann auch historisch erweisen sollte: Mensch und Landschaft, Zivilisation und Kultur sind nur mehr Versatzstücke einer illusorischen Vorstellung von Welt und Wirklichkeit, die längst in eine mitunter furchtbare Un-Wirklichkeit abgeglitten ist. Alles ist und bleibt heillos verworren. So kann es nicht bleiben, die Kunst wiederum soll und kann es zwar nicht richten, lässt aber nicht ab davon. Vermessenheit, die auch hundert Jahre danach kühn erscheint. Die geographische Spekulation ist wohlfeil, ganz abwegig aber erscheint sie auch wieder nicht: Reinhardt Schuster wurde in Brenndorf bei Kronstadt geboren, das etwa in der Hälfte der Luftlinie zwischen Moinești und Tîrgu Jiu liegt. Er ist weder Tzara noch Brâncuși sonderlich verbunden, dennoch ist auch er ein Sohn jener Landschaft, in der sich vermeintliche Gewissheiten über die Welt und deren künstlerische Darstellung zerschlagen haben. Der Siebenbürger Sachse hat Kunst in Bukarest studiert, aber auch in seinen rumänischen Jahren keinerlei Anstalten gemacht, Vorbildern nachzueifern oder gar sich einer ideologischen Vorgabe wie dem „sozialistischen Realismus“ anzubequemen. Bequemlichkeit ist gerade das, was seine Kunst von vornherein ausschließt. In aller Stille ist auch er an einen neuen Entwurf gegangen und hat ihn dann in Deutschland, gleichfalls still – wiewohl er hätte laut werden können – Bild werden lassen. Dieses Bild, Reinhardt Schusters Malerei bildet nichts ab, sie bildet neu.
Reinhardt Schuster, Siebenbürgische T ...
Reinhardt Schuster, Siebenbürgische T-Raumstation, Montage, 185 x 265 cm, erstmals 2007 ausgestellt in Andernach und beim Heimattag in Dinkelsbühl. „In der ‘T-Raumstation’ ist die unbekümmerte äußere Heiterkeit mit dem Nachdenklichen verbunden, und sie enthält sogar ein Quäntchen regionalen Patriotismus. Wie sollten uns hier nicht der Kaiserliche Geschützmeister Conrad Haas des 16. Jahrhunderts und der von Wernher von Braun als Lehrmeister verehrte Professor Hermann Oberth in den Sinn kommen?“ (Franz Heinz)
Muss man das verstehen? Nein, man muss es sehen und sich darauf einlassen. Der dynamische Grundimpuls in Schusters Bildern ist fast immer eine Eruption. Die auseinanderstrebenden Geraden, die scharfen Winkel, die technizistischen Bildzitate aus einer von bedrohlichen Mechanismen nur so strotzenden Vorstellungswelt sind Konzentrate eines künstlerischen Empfindens, das die Wirklichkeit als eine Gefahr für den Einzelnen erfährt. In ihrer Darstellung wiederum darf der Betrachter mit dem Gestalter auf die Suche gehen – nach Behausung in den Weiten der Phantasie, nach Beheimatung in der Fremde und Fremdartigkeit. Die unmittelbar zeitgeschichtlichen Konnotationen vieler Gemälde von Reinhardt Schuster liegen offen, ihm aber geht es nicht um eine Deutung dieser Zeitgeschichte. Ihm geht es ums Bild, die klare Linie, die mit Bedacht gewählte Farbe, denn diese taumelnde Welt darf nicht sich selbst überlassen, sie muss und kann in der Kunst gerettet werden.

Ja, eine lachhafte und großartige Vermessenheit, ihr frönt auch Reinhardt Schuster. Er tut es mit verbissener, doch nie verkniffener Naivität und im Bewusstsein, dass nicht zu profitieren ist, wenn man etwas um seiner selbst willen tut. Der Gewinn des Betrachters wiederum: nie zuvor gesehene Formen und Farben. Der Natur „entlehnt“ dieser Künstler nichts, vielmehr versteift er sich darauf, seine Bilder zu erfinden. Dabei übt er sich bei allem Überschwang, der oft in die Phantastik ausgreift, in einer gestalterischen Disziplin, die eine merkwürdig nüchterne Ausstrahlung zeitigt: Er gönnt sich keine üppigen Vollfarben, sondern verhält in einer synthetisch wirkenden Blässe, er grenzt die Farbfelder in klarer Linienführung voreinander ab, so dass sie sich nicht gegenseitig durchdringen oder abwandeln, vor allem aber verharrt er in der Fläche, verzichtet auf Tiefenwirkung und perspektivische Tricks. Zwei Dimensionen hat die Fläche, die dritte ist die Einbildungskraft des Künstlers, und die ist unermesslich.

Geben wir dem bewährten Kenner Franz Heinz Raum zum gewagten und umso reizvolleren Gedankenspiel: „Seine Kunst relativiert die Wirklichkeit. Denn längst schon ist uns die Wissenschaft nicht nur in Teilbereichen unvorstellbar geworden. Und so geschieht es, dass wir, bekommen wir das mit der Elektrizität noch einigermaßen hin, deswegen nicht gleich auf mehr Licht hoffen dürfen. Die Kunst freilich muss das nicht kümmern. Es ist, wenn der Vergleich gestattet ist, wie mit Christi Himmelfahrt. Sie ist nicht vorstellbar und wurde doch gemalt. Vielleicht gerade deshalb.“ Es ist vielleicht, wenn noch ein Vergleich gestattet ist, wie mit der siebenbürgischen Verwurzelung. Reinhardt Schuster wünschen wir weiterhin stets neue, überschwängliche Knospen und Blüten.

Georg Aescht

Schlagwörter: Reinhardt Schuster, Künstler, Jubilar, Brenndorf, Bonn, Aescht

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Neueste Kommentare

  • 08.09.2016, 20:11 Uhr von bankban: Ein selten, leider zu selten, guter Artikel, der über Kennerschaft und Humanität zeugt und das ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

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