21. September 2016

Vor 60 Jahren aufgelöst: Deutsche Lehrerbildungsanstalt Hermannstadt

Die letzten Absolventen der Deutschen Lehrerbildungsanstalt in Hermannstadt trafen sich nach 60 Jahren im Sommer 2016 in Bad Kissingen. Das Klassentreffen verlief, wie gewohnt, mit lebhaften Gesprächen. Im folgenden Artikel geht Johann Seiler vor allem auf die Schulgeschichte und Ausbildung von Lehrkräften für die Grundschule nach 1948 ein.
Bei Zusammenkünften kam es zwischen einzelnen Teilnehmern oder Grüppchen zu Gesprächen von schulgeschichtlicher Bedeutung. Aber nie zuvor waren sie so intensiv gewesen wie beim 50-jährigen Jubiläumstreffen im September 2006. Damals ging es um die Erstellung einer Festschrift zum 50. Jubiläum seit Beendigung unsere Ausbildung. Das Ergebnis jener Diskussionen war eine nicht nur für unsere Kollegen beeindruckende Festschrift, zu der sogar auch unsere geschätzte ehemalige Direktorin, Christa Thurmeyer, lobende Wort fand: „Meines Wissens gibt es dazu nichts Vergleichbares!“

Da seit dem Erscheinen der Festschrift bis zum diesjährigen Klassentreffen, das wieder von Kollegin Emilia Dengel organisiert wurde, schon zehn Jahre vergangen waren, nutzten wir die Gelegenheit und feierten neben dem sowieso „fälligen“ Sechzigjährigen gleichzeitig das Zehnjährige der Herausgabe mit. Unsere Festschrift enthält eine Vielzahl an Beiträgen über Schul- und Internatsleben, über Professoren, sowie z.T. tabellarische, aber auch ausführliche Lebensläufe einiger Absolventen. Bei der Lektüre etlicher Lebensläufe wird einem bewusst, welch schwere Kindheit sie während der 1940er Jahre hatten: Der Vater im Krieg, die Mutter im Januar 1945 verschleppt in die ehemalige Sowjetunion! Unermesslicher Schaden wurde den Daheimgebliebenen durch die Agrarreform in Rumänien im März 1945 zugefügt, bei deren Umsetzung nicht nur landwirtschaftlicher Grundbesitz und landwirtschaftliche Geräte entschädigungslos enteignet wurden, sondern auch Wohnhäuser und Wirtschaftgebäude. Die sächsischen Eigentümer wurden aus ihren Häusern vertrieben. Nicht wenige der Restfamilien wohnten danach jahrelang zusammengepfercht in alten Häusern, fast schon in Ruinen.
Lehrerbildungsanstalt Hermannstadt, Schulklasse ...
Lehrerbildungsanstalt Hermannstadt, Schulklasse 1b am Ende des ersten Schuljahres 1952/1953 im Juni 1953 im Innenhof des Schulgebäudes in der Pedagogilor Straße.
In Rumänien war am 30. Dezember 1947 ein neues Regime errichtet worden. Grundlegende Veränderungen, nicht nur auf dem Gebiet des politischen Geschehens, ließen nicht lange auf sich warten. Da es den neuen Machthabern um die Schaffung eines neuen Menschentyps ging, erarbeiteten sie tiefgreifende Pläne zur Umgestaltung des Schul- und Bildungswesens. Von tiefen Einschnitten blieb auch das siebenbürgisch-sächsische Schulwesen nicht verschont. Die deutschen Schulen wurden im Zuge der 1948er Schulreform streng von der Kirche getrennt. Das Theologisch-pädagogische Landeskirchenseminar in Hermannstadt wurde aufgelöst. Die letzten Seminaristen zogen nach Schäßburg, wo sie an dem dortigen Mädchenseminar ihre Ausbildung abschließen konnten. Das Recht auf Unterricht in der Muttersprache blieb den deutschen Minderheitenschulen jedoch erhalten. Neu eingeführt wurde allerdings ab dem 4. Schuljahr auch an den deutschen Schulen im Herbst 1948 Russisch als Pflichtfach. Unser Jahrgang, die 1937/38 Geborenen, war als Erster davon betroffen. Das Fach gehörte danach bis Juni 1956 acht Jahre lang zu unseren Unterrichtsfächern. Russisch und die Methodik für den Russisch-Unterricht waren auch Prüfungsgegenstand der Diplomprüfungen. Dies erwies sich insofern als vorteilhaft, als etliche der jungen Kollegen schon während ihrer ersten Dienstjahre zur Übernahme des Unterrichtsfaches Russisch verpflichtet wurden.

Zwei Jahre nach Inkrafttreten der Schulreform 1948 wurden erstmals wieder zwei deutsche pädagogische Abteilungen eingerichtet: eine an der „Rumänischen Pädagogischen Knabenschule“ in der Str. Pedagogilor Nr. 5, und die andere, nämlich die „Deutsche Pädagogische Abteilung für Mädchen“, in der Alexandru-Sahia-Straße Nr.1, Ecke Alba Iulia Straße. In beiden Gebäuden, die eigentlich Domizile der rumänischen pädagogischen Anstalten waren, waren sowohl Klassenräume als auch ausreichend Plätze in den Internaten vorhanden. Während der ersten drei Jahre wurde das Wohnen in den rumänischen Internaten mit einem vollen Stipendium subventioniert. Im Schuljahr 1953/54 wurde das Leistungsprinzip an allen Schulen als Kriterium für die Gewährung eines Stipendiums, bzw. eines halben, eingeführt. Entsprachen die Leistungen den Anforderungen, wurde ein halbes Stipendium gewährt. Für die Deckung der restlichen Internatskosten mussten die Eltern der Internatsschüler aufkommen. Zum guten Funktionieren der Internatsküche trugen die Eltern noch mit Naturalien bei. Ein volles Stipendium erhielten nur noch Vollwaisen. Das Schuljahr der Deutschen Pädagogischen Abteilungen – für deren Zustandekommen sich im Spätsommer 1950 in besonderer Weise der Biologieprofessor und bekannte siebenbürgische Ornithologe Werner Klemm bemüht hatte, war in zwei Semester gegliedert. Pädagogik und Psychologie gehörten zu den Hauptfächern. Methodik und Didaktik zu allen Fächern der Grundschule kamen hinzu. Die vorgeschriebenen Praktika wurden ab dem 2. Semester des 3. Ausbildungsjahres an der unserer Anstalt angeschlossenen Übungsschule gehalten. Nach mehreren Hospitationen in Klassen „unserer“ Übungsschule sammelten wir die nötige Erfahrung zur Erstellung von Unterrichtsplänen und zum „Lehrerverhalten“.

Am Ende der jeweiligen Semester fanden in den Hauptfächern Semesterprüfungen statt. Nach Ablegung der Diplomprüfung bekamen die frischgebackenen Lehramtsanwärter ein Diplom ausgehändigt, das ihnen die Lehrbefähigung für das Unterrichten an Grundschulen bescheinigte. Zu Beginn des neuen Schuljahres 1953/54 stellte die Stadtverwaltung den beiden deutschen ­pädagogischen Schulen das Gebäude des ehemaligen Ursulinenklosters in der General-Magheru-Straße 36, zur Verfügung. Der Einzug bzw. Beginn des Unterrichts verzögerte sich wegen der Renovierungs- und Umbauarbeiten im Inneren des Gebäudes. Die von den rumänischen Anstalten herüber gewechselten Klassenzüge der Jahrgangsstufen 1 bis 3 wurden zu gemischten Klassenverbänden zusammengelegt. Die neue Einrichtung erhielt die Bezeichnung „Gemischte Deutsche Pädagogische Schule“. Nunmehr wurden alle deutschen Klassen unter einem Dach unterrichtet und im eigenen Internat der Schule betreut. Zwei neue pädagogische Klassen wurden eingerichtet: Eine gemischte Klasse für angehende Grundschullehrer, die andere als „reine Mädchenklasse“ für Kindergärtnerinnen. Sie wurden am Ende des Schuljahres leider wieder aufgelöst. Zum Ende des Schuljahres 1953/54 verließen die ersten Absolventen unsere Anstalt und traten im Herbst 1954 die ihnen zugewiesenen Dienststellen an deutschen Schulen oder Abteilungen in Siebenbürgen, beziehungsweise Cârlibaba in der Südbukowina und in Kriegsdorf (Hodod) in Nordsiebenbürgen an.

Zum Beginn des Schuljahres 1954/55 bekam die Einrichtung im „Ursulinenkloster“ einen neuen Namen: „Mittelschule für Mädchen Nr. 2“ und die beiden letzten „alten pädagogischen Jahrgänge“ fungierten nunmehr als „Pädagogische Abteilung“ der „Mittelschule für Mädchen Nr. 2“. Der ältere dieser beiden Jahrgänge blieb für den Rest seiner Ausbildungszeit „unbehelligt“, legte im Juni 1955 die vorgesehenen Prüfungen ab und hoffte auf freie Lehrerstellen. Davon waren leider viel zu wenige vorhanden. Mehrere Absolventen begaben sich selbst auf Stellensuche. Nunmehr blieb nur noch eine pädagogische, aus zwei Klassen bestehende Jahrgangsstufe, im „Ursulinenkloster“ zurück. Da abzusehen war, dass angesichts des Stellenmangels nicht einmal einer Klasse Stellen zugesichert werden konnten, ordnete die Schulbehörde die Umwandlung einer von den beiden pädagogischen Klassen in eine Lyzealklasse um. Dies war die letzte tiefgreifende Veränderung im Leben unserer Jahrgangsstufe.

Mit dem Abgang der letzten „pädagogischen Überreste“, als die uns Russisch-Lehrer I. Kurzberg bezeichnete, hörte im Juni 1956 diese Anstalt auf zu bestehen. Für uns aber fing die Suche nach offenen Lehrerstellen erst an. Etliche der Absolventen/innen vom Juni1956 begaben sich auf eigene Kosten auf Stellensuche nach Oberwischau und in das Sathmarer Land.

Johann Seiler

Schlagwörter: Schulgeschichte, Lehrer, Hermannstadt, Klassentreffen

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Neueste Kommentare

  • 21.09.2016, 14:11 Uhr von Heiderose: Herzlichen Dank für den Bericht Herr Johann Seiler! Es ist wichtig für uns solche Erfahrungen zu ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

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