5. Oktober 2016

Mein Musiklehrer Franz Xaver Dressler

Der berühmte Organist und Musikpädagoge Franz Xaver Dressler, der das Musikleben Hermannstadts im vorigen Jahrhundert entscheidend geprägt hat, ist vor 35 Jahren, am 3. Oktober 1981, in Regensburg gestorben. Viele Jahrgänge der Brukenthalschule und der evangelisch-theologischen Fakultät verdanken ihm ihre musikalische Bildung. Mit seinen persönlichen Erinnerungen gedenkt Samuel Beer, ehemaliger Lehrer am Pädagogischen Lyzeum in Hermannstadt, im Folgenden an den verdienstvollen Musiker.
Als ich in der Prima des Brukenthal-Gymnasiums zum ersten Mal dem berühmten Organisten Franz Xaver Dressler begegnete, er unterrichtete uns in Musik, war ich richtig eingeschüchtert. Sein an Beethoven erinnernder Kopf, seine Lebhaftigkeit, mit der er vor der Klasse agierte, sein unkonventioneller Umgang mit den Schülern und sein rauher Ton, mit dem er Ruhe und Aufmerksamkeit einforderte, jagten mir Angst ein. Bald aber sollte ich meine Einschätzung revidieren. Die Angst wich, der Respekt blieb und wuchs mit den Jahren.

Nach dem Krieg waren die Musiklehrbücher aus der nationalsozialistischen Zeit verständlicherweise verboten. Neue gab es aber nicht. Herr Dressler hielt uns an, uns evangelische Gesangbücher mit Noten zu beschaffen. Diese dienten nun auch dem Musikunterricht.

Beim Erlernen der Noten legte Professor Dressler großes Gewicht auf die Solmisation. Das war Singen der Melodie, aber nicht mit Text, sondern mit Notennamen. Für viele war das nicht einfach. Die meisten meiner Mitschüler besuchten den Gottesdienst selten und kannten deshalb die Melodien der Kirchenlieder kaum. Ich war da in großem Vorteil. Auf Betreiben meiner Mutter ging ich jeden Sonntag in die Kirche. Fleißig sang ich alle Kirchenlieder mit. Hinzu kam, dass bei uns zu Hause viel gesungen wurde, auch Kirchenlieder. Einige singe ich heute noch auswendig. Dies kam mir im Musikunterricht des Herrn Dressler zugute. Bei der Solmisation musste ich nur auf die Notennamen achten, denn die Melodie kannte ich schon.
Jahrestagung des Arbeitskreises für ...
Jahrestagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde/Abteilung Kunstgeschichte in Regensburg (1981). Vorne rechts F. X. Dressler, der einen Tag nach der Aufnahme aufgrund eines Treppensturzes tödlich verunglückte. Links von Dressler in der zweiten Reihe Hermine Pilder-Klein. Im Vordergrund Dr. Egon Machat mit einem Modell der Bauernburg von Keisd, das Architekt Kurt Leonhardt gefertigt hatte. Foto: Konrad Klein
Professor Dressler schrieb die Leichtigkeit, mit der ich auch schwierigere Melodien des Gesangbuchs meisterte, meinem Fleiß und meiner Begabung zu, lobte mich und stellte mich vor den Mitschülern als Beispiel hin. Ich habe nie Härte oder Spott von ihm erfahren. Weil er sich aber Namen schwer merken konnte und ich Brillenträger bin, nannte er mich liebevoll Doppelfenster. Der Organist, Chorleiter, Dirigent, Musikpädagoge und Komponist Franz Xaver Dressler wurde 1898 in Aussig a.d. Elbe (Böhmen) geboren. Nach einem umfangreichen und vielseitigen Musikstudium in Leipzig kam er 1922 als Stadtkantor und Organist nach Hermannstadt. In amtlicher Teilverpflichtung unterrichtete er Musik am Brukenthal-Gymnasium. Das segensreiche Wirken von Franz Xaver Dressler in Hermannstadt ist bekannt. Das hohe Niveau des von ihm 1931 gegründeten Bachchores, aber auch des Brukenthalchores, den er schon 1922 nach dem Muster des Leipziger Thomanerchores ins Leben rief, war weit über die Grenzen des Landes bekannt. Sein Orgelspiel im Gottesdienst, seine Orgelkonzerte und Motettenabende in der Stadtpfarrkirche bleiben unvergessen.

Eines Tages sagte mein Musiklehrer Dressler, ich solle im Brukenthalchor mitsingen, die Proben fänden abends in der Aula statt. Ich versprach, meine Eltern zu fragen, denn ich wisse nicht, ob ich abends aus Neppendorf wieder in die Stadt kommen dürfe. Herr Dressler sprach auch mit meinen Eltern, doch eine Lösung fanden sie nicht. Wenn ich im Chor mitgesungen hätte, hätte mich in den unruhigen Zeiten nach dem Krieg eines meiner älteren Geschwister zu jeder Probe zu Fuß nach Hermannstadt begleiten und dort warten müssen, um mich nach der Probe wieder nach Hause zu bringen. Dieser Aufwand wäre zu groß gewesen.

Einen Vorteil brachte mir die Aussprache meiner Eltern mit dem Musiklehrer dennoch: Nachdem ihr Interesse für die Arbeit des Professors geweckt war, durfte ich in Begleitung als Konzertgänger alle seine Veranstaltungen besuchen. Das war für mich ein großer Gewinn.

Das musikalische und musiktheoretische Œuvre von Franz Xaver Dressler und seine Bedeutung für das Musikleben in Siebenbürgen und darüber hinaus konnte ich als Schüler nicht einschätzen. Vieles sollte auch erst später entstehen oder stattfinden. Die vier Jahre Straflager nach dem Krieg konnten seinen Schaffensdrang nicht aufhalten. Erfolgreich wirkte er als Komponist, Dirigent, Hochschuldozent und Schriftsteller und wurde mit Mitgliedschaften in ­renommierten internationalen Musikgesellschaften sowie mit bedeutenden Auszeichnungen geehrt. 1978 siedelte Professor Dressler nach Deutschland aus. Er starb 1981 in Regensburg.

Professor Franz Xaver Dressler setzte den Grundstein für meine musikalische Bildung, die mein Leben bereichern sollte. Mit Dankbarkeit und Bewunderung denke ich oft an ihn zurück.

Samuel Beer

Schlagwörter: Gedenken, Musiker, Musikgeschichte, Dressler

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