26. Februar 2017

Bemerkungen zu einer Broschüre von Paul Philippi

Am 5. August 2003 hielt der Theologe, Historiker und Politiker Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Paul Philippi einen Vortrag in Neumarkt am Mieresch, im Rahmen einer Zusammenkunft der Community Colleges for Europe – Denmark. Diese, wohl überarbeitete und um schöne Illustrationen ergänzte Rede wurde nun im Schiller Verlag Hermannstadt/Bonn veröffentlicht, und das ist gut so.
Die Community Colleges darf man sich als postuniversitäre Weiterbildungseinrichtungen vorstellen, die Kenntnisse jüngerer Wissenschaftler erweitern und vertiefen helfen, in diesem Fall jene über Siebenbürgen. Dass die bekannte Washingtoner Publizistin Elzabeth Pond den Vortrag in ihrem Buch „Endgame in the Balkans“ bereits 2007 zitiert, mag dessen Wirkung verdeutlichen. Und dass der Ehrenvorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien und Träger des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreises 2015 diesen Vortrag gehalten hat, verleiht den Ausführungen zusätzliches Gewicht, erklärt aber auch einiges in der Darstellung.

Natürlich will und kann eine 48-seitige Broschüre nicht auf Details eingehen, vielmehr einen Leitfaden zum Verständnis der für Außenstehende recht komplizierten ethnischen, religiösen, politischen und kulturellen Gemengelage in Siebenbürgen anbieten, structural elements also, wie der Autor einleitend hervorhebt. Und dass die Auswahl des Dargebotenen dem politisch aktiven, oft streitbaren Intellektuellen geschuldet ist, darf nicht verwundern. Nach einem kurzen Streifzug in die Frühgeschichte und in jene des Altertums wendet sich Philippi der Frage einer rumänischen Kontinuität in Siebenbürgen zu, und bezeichnet sie – überraschend aber offensichtlich um Political Correctness bemüht – als politisch nicht relevant, zumal das historische Argument 1919, bei Aushandlung der Pariser Vorortverträge keine Rolle gespielt habe. Mag sein, die Frage aber, wer zuerst in Siebenbürgen war, die Rumänen oder die Magyaren, bewegt bis heute die Gemüter und beeinflusst nicht allein das rumänisch-ungarische Verhältnis.

Der Siedlungsgeschichte der Magyaren, Szekler und Sachsen in Siebenbürgen werden sechs Seiten gewidmet, dreieinhalb davon – etwas zu sehr pro domo – jenen, die ad retinendam coronam gerufen worden sind. Der siebenbürgische Pluralismus wird am Beispiel der administrativen Gliederung in Komitate und Stühle, der sozialen Differenzierung insgesamt und der einzelnen ethnischen Gruppen im Besonderen erläutert, zum Beispiel die Integration der mittelalterlichen Elite der Rumänen, der Valachian Gentry, in den ungarischen Adelsstand. Die unio trium nationum des Adels, der freien Szekler und Sachsen wird als ein Bund erklärt, der nicht von ethnischen, sondern von ständisch-sozialen Interessen geprägt war und vornehmlich der Türkenabwehr diente. Den Theologen und Politiker erkennt man auch bei der Darstellung des Fürstentums Siebenbürgen, in welcher er die religiöse Toleranz und die vorgeblich (vom Autor auch nicht so bezeichnete, aber doch suggerierte) demokratische Verfassung des Transylvanian Parliament herausstreicht. Etwas zu hoch ­gegriffen erscheint der Vergleich des amerikanischen Wappenspruchs e pluribus unum (aus vielen Eines) mit einem siebenbürgischen unum e pluribus (Eines aus Vielem), wenn man bedenkt, dass von diesem „unum“ die Bevölkerungsmehrheit ausgeschlossen war.
Wie zu erwarten, wird das im 18. Jahrhundert eingeleitete Zeitalter des Nationalismus als conflicts generating eingestuft und Joseph II. (aus klein-sächsischer Sicht zu Recht) als Auslöser angesehen. Dass Nationalismus damals ein gesamteuropäisches Phänomen war, wird zu wenig verdeutlicht; ebensowenig, dass die ethnischen Konflikte in Siebenbürgen, die in der blutigen Revolution von 1848/1849 kulminierten, auch einer historisch gewachsenen Auseinandersetzung zwischen privilegierten Minderheiten und wirtschaftlich-sozial wie religiös oder politisch diskriminierter Mehrheit geschuldet sind. Andererseits wird aber die Magyarisierungspolitik in der Zeit des österreichisch-ungarischen Dualismus (1867-1918) scharf kritisiert, die Hinwendung der Rumänen zum rumänischen Staat jenseits der Karpaten, der Sachsen zum Deutschen Reich damit erklärt, dass die Magyaren ein Groß-Ungarn anstrebten. Dass während des Ersten Weltkriegs Mitglieder aller ethnischen Gruppen Siebenbürgens in der österreichisch-ungarischen Armee tapfer gekämpft haben, und es für kurze Zeit so schien, als seien alle Rivalitäten zwischen denselben vergessen, ist historisch korrekt, wirkt im Kontext allerdings etwas idealisierend.

Den Versprechungen in den Karlsburger Beschlüssen der Siebenbürger Rumänen vom 1. Dezember 1918, welche die Eingliederung Transsylvaniens in den groß-rumänischen Staat eingeleitet haben, wird vergleichsweise viel Platz eingeräumt. Sie werden anschließend den historischen Realitäten in der Zwischenkriegszeit gegenübergestellt, als die 1919 von Bukarest mit unterzeichneten Minderheitenschutzverträge „nie umgesetzt“ (never was applied) worden seien. Das ist ein doch sehr pauschalisierendes ­Urteil, wenn man etwa (um nur ein Beispiel zu nennen) an das fortbestehende Minderheitenschulwesen denkt. Die Begeisterung vieler Siebenbürger Sachsen für das „Dritte Reich“ und seine Ideologie allein auf die Enttäuschungen durch die Bukarester Regierung, auf die rumänisch-deutsche Waffenbrüderschaft im Zweiten Weltkrieg und auf die Schwäche der eigenen konservativen Elite zurückzuführen, ist eine zumindest einseitige Betrachtung, die aus heutiger Sicht politisch opportun erscheinen mag.

Überraschend kurz (knappe drei Seiten) wird auf die Zeit nach 1945 eingegangen, in der die deutsche und die ungarische Minderheit viel gelitten haben; die rumänische Mehrheit ebenso, möchte man gerne ergänzen. Abschließend wird in einem National Ideologies betitelten Blick auf die Entwicklungen nach 1989 die Fortdauer von Differenzen festgestellt, aber das friedliche Nebeneinander ebenso gewürdigt wie, recht selbstbezogen, der modest but attractive link, den die Rumäniendeutschen in den wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu Mitteleuropa bilden.

Zweifellos handelt es sich um eine wichtige Broschüre, die eine komplizierte Gemengelage in Siebenbürgen allgemeinverständlich erklärt und zu entwirren versucht. Sie ist lesenswert, auch gut lesbar. Doch stellt sich der Politiker oft zu deutlich vor den Historiker und Theologen Paul Philippi.

Konrad Gündisch




Paul Philippi: Transylvania: Short History of the Region. The Hungarian and German Minorities. Sibiu/Hermannstadt: Schiller Publishing House 2016, 7,80 Euro, ISBN 978-3-944529-80-6, erhältlich im deutschen Buchhandel oder beim Schiller Verlag (Erasmus Buchhandlung), deutsche Festnetznummer: (0228) 90919557, Internet: www.schiller.ro.

Schlagwörter: Philippi, Veröffentlichung Besprechung, Gündisch, Geschichte

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  • 26.02.2017, 11:18 Uhr von 7ieben: Man meint beobachten zu können, wie Verlage und Buchhandlungen in Siebenbürgen sich auf den ... [weiter]

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