19. Juni 2018

"Viele liebevolle Gedanken zurücklassend": Was den Autor und Künstler Lothar-Günther Buchheim mit Rumänien verbindet

Es gehört schon einiges an Mut dazu, allein im Faltboot die Donau von Passau bis zum Schwarzen Meer hinunterzupaddeln. Lothar-Günther Buchheim nahm dieses Abenteuer als 20-jähriger Kunststudent im Sommer 1938 auf sich und veröffentlichte seinen Reisebericht „Tage und Nächte steigen aus dem Strom“ noch während des Krieges bei S. Fischer (1941). International bekannt machte ihn freilich erst die Verfilmung seines Romans „Das Boot“ (1991), in dem er seine Erlebnisse als Kriegsberichter der Marine verarbeitet. Derzeit wird Buchheim aus Anlass seines 100. Geburtstages in dem von ihm begründeten „Museum der Phantasie“ in Bernried am Starnberger See mit einer auch zeitgeschichtlich höchst sehenswerten Ausstellung geehrt. Im August liegt die legendäre Donaufahrt 80 Jahre zurück – seine Impressionen haben nichts von ihrer Frische verloren.
Dass die Ausstellung für den Besucher neben originalen Sachzeugnissen, Kunstwerken, Schiffsmodellen usw. eine Reihe neuer Erkenntnisse über den NS-Propagandisten Buchheim bereithält, ist vor allem dem in Worpswede lebenden Journalisten Gerrit Reichert, 53, zu verdanken. Er ist der Hauptautor der 250-seitigen Begleitpublikation „Buchheim 100“, in der er sich auch den umstrittensten Kapiteln aus dessen Leben – der NS-Zeit und der Reue danach – widmet.

Bei der Ausstellungseröffnung in Bernried hob Reichert die Schwierigkeiten beim Rekonstruieren der historischen Wahrheit hervor. Dementsprechend differenziert fällt sein Fazit nach jahrelangen Recherchen aus: „Mit den Kategorien Schwarz und Weiß werden wir dem Leben Buchheims nicht gerecht.“ Eine Neubewertung seiner Teilnahme am U-Bootkrieg und seines Wirkens im Dienst der NS-Propaganda – seit September 1940 war er Mitglied der Propagandakompanie (PK) – sowie seines späteren Umgangs damit, sei unumgänglich, weil er letztlich eben doch linientreu und systemkonform gehandelt habe. Doch bevor Buchheim zum „vielseitigsten Kriegsberichter der Kriegsmarine“ (Reichert) aufstieg, verfasste der bereits früh als „malendes Wunderkind“ bezeichnete Chemnitzer einen Reisebericht, der mit seinem genialischen Duktus und kosmopolitischem Touch das letzte Friedensjahr Europas in höchst menschenfreundlicher Weise zelebriert (abgeschlossen wurde der Reisebericht erst während des Krieges 1940).
Gerrit Reichert vor dem originalen Faltboot, mit ...
Gerrit Reichert vor dem originalen Faltboot, mit dem Lothar-Günther Buchheim die Donau von Passau bis Sulina hinunterpaddelte, hier in zerlegter Form mit Holzgerüst und Gummihaut. Fotos: Konrad Klein
Seine Donaufahrt 1938 bestritt der zeichnende, schreibende und fotografierende Kunststudent ab Belgrad freilich an Bord eines Dampfers der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft. Dieser nahm den „faltbootfahrenden Desperado“ (Buchheim) zum halben Preis mit – dabei halfen ihm seine Presseausweise. Durch die damals noch gefährliche Kataraktenstrecke ging es am Babakai-Felsen vorbei durch das Eiserne Tor und den Kazanpass bis hinunter nach Giurgiu, anschließend mit dem im Rucksack verpackten Faltboot nach Bukarest. Dass der junge Mann mit dem ethnologischen Blick einen „Zug ins Globetrotterische“ hatte, mag man gerne glauben, zumal er sich meist mit umgehängter Contax und nicht ohne seine „respektable“ Kartentasche zum Stadtbummel begab.

Wie auch bei anderen Städteporträts besticht Buchheims Beschreibung der Balkan-Metropole durch atmosphärische Schärfe und treffsichere Kunsturteile. Seine unverbrauchte, an der Malerei geschulte Sprache erinnert an die poetische Bildkraft einer Herta Müller, etwa wenn er die Stickmusterdekore rumänischer Kleidungsstücke „Hieroglyphen der Volksseele“ nennt (und eines sogar trotz knapper Kasse erwirbt) oder den trüben Himmel über Czernowitz als „verwaschenen alten Lappen“ empfindet, der „zwischen den Straßen hängt“. Erstaunlich oft ist sein Wortschatz auch mit damals noch unüblichen Amerikanismen durchmischt („Prosperity-Paläste in großspurigem Yankee-Stil“) Die Nacht verbringt er zwischen Hochhäusern auf einer Baustelle mitten im Zentrum mit zigeunerischen Hilfsarbeitern, die im Flammenschein ihres Lagerfeuers um die Wette fiedeln. Wenige Monate später sollte Buchheims spätere Künstlerfreundin vom Starnberger See Leni Riefenstahl bei Taraf-Musik eine Bukarester Vorstadtkneipe mit ihren Tänzen aufmischen (vgl. hierzu „Hermannstadt. Fakten, Bilder, Worte“, 2017, S. 309ff.).
Eine Aufnahme, die Buchheim mit seinem Faltboot ...
Eine Aufnahme, die Buchheim mit seinem Faltboot „Pezevenk“ (türk. „Saukerl“) in der Ostsee zeigt. Das Foto entstammt einer Aufnahmen-Serie, die 1941 zur Umschlaggestaltung von „Tage und Nächte steigen aus dem Strom“ diente. Die Donaufahrt machte er noch mit seinem Einsitzer „Stups“, dem Kosenamen seiner damaligen Freundin.
Am nächsten Morgen bringt Buchheim das Fotografieren der Wache vor dem Königspalast Ärger mit der Polizei ein. Dank eines Empfehlungsschreibens der rumänischen Gesandtschaft entgeht er einer Strafe und wird vom Landesamt für Touristik (ONT) zu einer Bahn-Rundreise durch die 1918 an Rumänien gefallenen Gebiete verpflichtet (das ONT unterstand damals dem Propagandaministerium). Die unfreiwillige Reise hatte freilich auch ihr Gutes. So besucht der plötzlich zum Bahntouristen mutierte Faltbootfahrer ein Lager der pfadfinderähnlichen „Straja Țării“, wo er sich von den jungen Landeswacht-Burschen zu furiosen Hora-Einlagen mitreißen lässt.

Zeiden, im August

Anschließend hakt er im Schnelldurchlauf die „alte Sachsenstadt“ Kronstadt ab, um desto länger bei der opulenten Beschreibung einer Dorfhochzeit im benachbarten Zeiden zu verweilen. Nach der „großen Kochschlacht“, bei der man ohne entsprechende „Trink- und Fressfestigkeit“ seine Schuldigkeit nicht getan hätte, findet sich der parkettsichere Herzensbrecher nach durchtanzter Nacht mit Johanna, dem Mädchen mit den „glühenden Pfirsichwangen“, in einer Wiese wieder, wo sie den schweren Schlägen der Dorfuhr lauschen und den Sternschnuppen nachschauen… Zeiden, im August. Es muss der letzte Sonntag, ein dreißigster, gewesen sein. Vielleicht vermag noch ein Enkel von Johanna etwas von dieser sinnenfrohen Sommernacht zu erzählen.
Buchheims Contax I von Zeiss Ikon, mit der er auf ...
Buchheims Contax I von Zeiss Ikon, mit der er auf seiner Donaufahrt arbeitete. Seine Contax II, mit der er den U-Boot-Krieg dokumentierte, ging während einer Fahrt kaputt.
Pittoresk auch die Schilderung der speziell den Geruchssinn strapazierenden Bahnfahrt über Fogarasch nach Bistritz, mit kurzen Zwischenstopps in Hermannstadt, Klausenburg und Dej, letztere eine Stadt, in der man nur leben kann, wenn man einer „den Tag völlig ausfüllenden Beschäftigung nachgeht“, wie er trocken notiert.

Auf Empfehlung seines Bistritzer Gastgebers begibt sich Buchheim am nächsten Morgen nach Windau. Die dort mit dem gastfreien Pfarrer (Wilhelm Litschel – Anm. KK) verbrachten Stunden unter der uralten Linde und in der Bauernstube mit dem dicken schwarzen Deckenbalken und einem blauweißen Lutherofen zählen zu den anrührendsten Kapiteln des Buches. „Viele liebevolle Gedanken in dem deutschen Dorf zurücklassend“ kehrt der junge Weltenbummler abends wieder nach Bistritz zurück – eine wunderbar einfühlsame Schilderung aus einer längst versunkenen Welt.

Danach kippt die Stimmung des „Staatsreisenden“ rapide: endloses Warten auf Züge, kaum zumutbare Reisebedingungen in den Abteilen, trostlose Orte: Vatra Dornei („ein wenig amüsanter Badeort mit kläglicher Schmalspurzivilisation“), Dărmănești („scheint nur aus Bahnhof zu bestehen“) u.a.m. Lediglich der Anblick der Flößer auf dem Pruth im „hochaufgischtenden Schwall“ einer Floßgasse reißt den Reisenden kurzfristig aus seiner Lethargie.
Buchheims Reisepass mit dem Visum des Rumänischen ...
Buchheims Reisepass mit dem Visum des Rumänischen Generalkonsulats in Berlin. Als Zweck der Reise wurde ihm für seine "Af.(aceri) Jurnalistice" ein zeitlich begrenztes Journalisten-Visum ausgestellt. Links ein Stempel des Hafens von Konstanza, demzufolge der Passinhaber das Land am 5. September 1938 (in Richtung Istanbul) verlassen hatte.
Als letzte Station der Rundreise ist Czernowitz dran, wo die „Häuser ohne ästhetische Rücksichten durcheinandergebaut“ seien und die Leute alle „Ignaz, Pepi, Isidor oder Moses zu heißen scheinen“. Zudem hat Buchheim das Pech, kurz nach dem Tod eines berühmten Professors (wohl Prof. Constantin Popovici) eingetroffen zu sein, denn an den Leitungsmasten klebten überall Trauerplakate und allenthalben herrschte eine beklemmende Friedhofsstimmung. Am nächsten Tag sitzt er schon im Express nach Bukarest und tags darauf in einem Pulmanwagen nach Konstanza: „Zum Meer fahre ich, zum Ursprung aller Dinge!“ Die literarische Umsetzung der Reise nach Istanbul blieb auf Anraten von Verleger Peter Suhrkamp im Projektstadium stecken.

Das Jugendwerk Buchheims erschien 1941 und erlebte wegen seiner begeisterten Aufnahme noch während des Krieges zwei weitere Auflagen. Erst 1987 und nochmals 2000 wurde das vergriffene Buch im Zuge des in Bernried entstehenden „Museums der Phantasie“ auf Wunsch des Verfassers wieder aufgelegt. Ist es aber ein „völkisches“ Buch, wie Gerrit Reichert mir nach einem Gespräch schrieb? Ihm zufolge verdecke die Abenteuerreise in der Rezeption bis heute den dahinter liegenden „völkischen“ Kontext des Buches nur, Stichwort: Deutschtum in Südosteuropa. Buchheim habe „dezidiert die Deutschen besucht und anschaulich ihre mutmaßliche vorteilhafte ¬Andersartigkeit“ beschrieben und damit die „kulturelle Überlegenheit der ‚deutschen Rasse‘ gegenüber den sie umgebenden Ungarn, Rumänen usw. zum Paradigma erhoben“ (E-Mail vom 20. März 2018).

Eine ziemlich steile These. Jenseits aller ideologischen Zuschreibung wirkt der Reisebericht des jungen Donau-Tramps über weite Strecken durchaus wie eine unbeschwerte Beschreibung eines betont eigenständigen, aufgeweckten, kunstsinnigen und belesenen Jugendlichen, der Hitler wenig sympathisch fand (siehe unten) und den Kontakt zu den Deutschen auf seiner Reiseroute vor allem aus praktischen Gründen (Kommunikation, Mahlzeiten) suchte – ähnlich den DDR-Reisenden von anno dunnemals.
Auf seiner Donaufahrt 1938 fotografierte Buchheim ...
Auf seiner Donaufahrt 1938 fotografierte Buchheim noch melonenessende Mädchen, zwei Jahre später hat er bereits sein eigenes Atelier in der Akademie der Bildenden Künste in München, wo er mit Modellen Aufnahmen von „kämpfenden“ Wehrmacht-Soldaten macht, nach denen seine Zeichnungen für NS-Kampfblätter entstehen. Fotos: Konrad Klein
Spannender scheint indes die Frage, warum Buchheim während des Krieges seine kreativen Potentiale so engagiert in den Dienst der NS-Propaganda stellte. „Selbstverständlich freue ich mich, dass endlich wieder etwas Nationalbewusstsein ins Volk kommt und ich kann die Bewegung nur begrüßen. (…) Hitler selbst ist mir ziemlich unsympathisch“, schreibt er 1936 (1937?) an eine Freundin – tatsächlich dokumentieren die in der Ausstellung gezeigten Bilder und Texte genau diese Faszination, die von der „Bewegung“ ausging. Und weil sich die fotografischen Vorlagen vieler Zeichnungen erhalten haben, hat der Besucher hier Gelegenheit zu sehen, um wieviel wirkmächtiger Zeichnungen als Fotos sind, wenn es um Propaganda geht.

Ein Blick in andere Bücher jener Jahre offenbart den neuen Zeitgeist. Geo Bogza etwa erkundete mit dem Fahrrad im Sommer 1939 den Alt, was in die Edelreportage „Cartea Oltului“ (1945) mündete. Stramm völkisch und geopolitisch verortet Fritz Heinz Reimesch‘ „Großer Strom Europas. Die Donau von Donaueschingen bis Sulina“ (1942); klassisch-konventionell, aber informativ die „Rumänien-Reise vom Urwald zum Meer“ des Wiener Journalisten Heinz Scheibenpflug, mit dem bezeichnenden Untertitel „Der Südosten am Wendepunkt der Zeiten“ (1942). Ausgiebig geht auch Korbinian Lechner, der Autor des flott geschriebenen und fotografierten Buches „Sommer in Rumänien“ (1940) auf Donau und Donaudelta ein. Am wortmächtigsten und originellsten, weil mit jugendlichem Herzblut geschrieben, scheint mir da allemal Buchheims Donaufahrt.

Konrad Klein


Buchheim 100. Buchheim Museum der Phantasie, Bernried. Bis 1. Juli 2018. Katalog 34 Euro. Aktuelle Infos: https://www.buchheimmuseum.de/aktuell/2018/buchheim100.php

PS. Während dieser Beitrag entstand, berichtete die Presse vom Tod des letzten großen U-Bootkapitäns aus Buchheims Generation. Kapitänleutnant Reinhard Hardegen, 105, schaffte es mit seinem im Nordatlantik eingesetzten „U 123“ bis an die amerikanische Ostküste (https://www.bild.de/regional/bremen/u-boot/letzter-u-boot-kapitaen-cdu-56022288.bild.html)

Schlagwörter: Ausstellung, Buchheim, Siebenbürgenfahrt, Boot, Nationalsozialismus

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