10. Februar 2021

Glück gibt es fast immer anderswo

Dietfried Zink schrieb erfrischende Geschichte über dramatische Ereignisse, Lebenskraft und nie versiegende Heimatverbundenheit.
Bevor er so richtig mit der Handlung loslegte, entdeckte der Aufschreibende die bleibenden Werte russischer Weisheiten und machte deren inhaltliche Tiefenwirkungen für seine Leser öffentlich. Der vor vielen Jahren im siebenbürgischen Hermannstadt Geborene und schon längere Zeit in Franken Lebende stimmte mit diesen sorgsam ausgewählten Sätzen prägnant auf Kommendes ein. Dietfried Zink fand somit seinen speziellen Zugang, um einen Roman über einen wichtigen Abschnitt der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte zu kreieren. Auftakt: Zum Jahreswechsel 1944/45 war in seiner Heimat die Welt schon längst nicht mehr in Ordnung. Trotz der vielen irrlichternden Schattenreiter, knallten wie überall die Sektkorken. Irgendetwas lag greifbar in der Luft. Einschneidende Veränderungen krochen bereits durch die engen Gassen dieser Metropole. Sie sollten sich bald entladen.

Eine Siegermacht des Zweiten Weltkrieges begann kurz danach druckvoll und zuweilen rücksichtslos unumkehrbare Tatsachen zu schaffen. Nur einige Tage und Nächte später begann die Deportation der arbeitsfähigen Bevölkerungsgruppen, die zur deutschen Minderheit Rumäniens gehörten. Der Autor erzeugte auf wenigen Seiten genug Kitt, um sich diese unterkühlten Winterwochen plastisch und vor allem bildhaft vorzustellen. Zu den „Ausgehobenen“ gehörte Hans. Viehwaggons brachten ihn und reichlich Mitleidende ganz woanders hin. Weit hinein in den Osten. Tief rein in die damalige Sowjetunion, in die Sibirische Steppe. Klar, die Lage im Arbeitslager ist äußerst prekär, durchgängig trostlos, beinahe perspektivlos, oftmals sinnlos, einfach menschenunwürdig. Die angestimmte „Melodie der Hoffnungslosigkeit“ dudelte im Kopf der Eingesperrten pausenlos, quasi von 0 Uhr bis Mitternacht. Und auch noch jeden Tag. Hunger war ein täglicher Begleiter. Krankheiten und Unrecht wucherten. Unser Held gab trotz dieser extremen Lebensumstände nicht auf, glaubte fest an eine bessere Zukunft. Er blieb nicht nur kräftig und gesund, sondern suchte mit teils melancholischen Fantasiegemälden seine Wege, um diesem irdischen Dilemma zu entrinnen. Nach jahrelanger Wartezeit gelang endlich der ersehnte Ausbruch, das brachiale Entrinnen, der zaghafte Neubeginn. Es folgte eine Odyssee durch unendlichen Raum und reichlich Zeit. Ein großes Land voller spontaner Überraschungen verschluckte den Wanderer. Überall! Fixe Wendungen und glückliche Fügungen erwarteten einen, der auszog, um ein neues Stück Heimat zu finden.

Unsere Hauptfigur schmiedete auf seinem langen Weg nicht nur einen Pakt mit Fortuna, sondern appellierte zugleich an den personengebundenen Lebenswillen. Seine lange Suche nach einem angenehmen Platz auf dieser Erde ist die zündende Idee dieses Buches. Spannung verursachen die massiven Stresstests unterwegs. Viele Hilfsmittel gab es zwischendurch nicht. Proviant war knapp. Genauso das Geld. Entfernungen zum Ziel erschienen riesig, zuweilen unüberwindbar. Ein scheinbar schon greifbares verlockendes Ende verschwand im Nebelmeer und verzog sich schnurstracks wieder. Knallharte Finsternis langte immer wieder zu. Einiges ging leider schief. Noch viel mehr funktionierte. Zum Glück! Unser Hauptakteur wurde flugs zum „Hans im Glück“. Ein von diesem Flüchtenden genutzter Zug strandete urplötzlich im Nebengleis. Eine von dem Rastlosen genutzte Herberge brannte. Einem Verkehrsunfall konnte sich der Getriebene ebenfalls nicht entziehen. Hilfsbereite Menschen kreuzten oft seine eigensinnigen Wege. Bei Zirkusleuten gab es weit mehr als nur ein Dach über dem Kopf sowie eine Arbeit, die sogar Spaß machte.

Bei Begegnungen mit Frauen ging es nicht immer nur um den berühmten erotischen Kick nach langer Enthaltsamkeit, sondern um weit mehr. Ja, im Kopf des Helden herrschte oft ein kreatives Durcheinander. Gefühle fuhren gern Achterbahn. Wo gehörte er nun wirklich hin? Antworten darauf sind nicht klar erkennbar. Neue Freundschaften wuchsen scheinbar aus dem Nichts, aus der Fragilität der erlebten Augenblicke. Fixpunkte und Ziele schien es unterwegs trotz der vielen Zwischenstationen nicht zu geben. Irgendwann landete der scheinbar nirgendwo Dazugehörende in der hauptstädtischen Metropole des Landes. Konnte man dort bleiben? Für immer? Echte Geborgenheit sah doch etwas anders aus. Konsequent führte der Weg des mit einer tiefen Unruhe ausgestatteten Helden weiter. Endlich klopften sie an: die vertrauten Gerüche, die bekannten Sprachen und Dialekte, die tief in der eigenen Seele verinnerlichten Eigenheiten der dazu gehörigen Bewohner. Trotzdem: So vieles veränderte sich in den letzten Jahren. Dazu gehörten unstrittig die engsten Weggefährten von einst, seine Familie voller Lebendigkeit. Rührend das Finale: „Hans, du bist es ja wirklich“, schmetterte eine emotionsbeladene Stimme dem Heimgekehrten entgegen. Es handelte sich dabei um seine Frau …

Roland Barwinsky


Dietfried Zink: „Einer, der Hans hieß“. Pop Verlag, Ludwigsburg, 2021, 86 Seiten, 12,80 Euro, ISBN 978-3-86356-319-6.

Schlagwörter: Zink, Buch, Roman, Hermannstadt, Franken, Geschichte, Zweiter Weltkrieg

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