3. August 2021
Friedensbewegung der Siebenbürger Sächsinnen: "Nobis Maxima Victoria – Unser der größte Sieg"
Im Rahmen der Ausstellung „Wer bin Ich? Wer sind Wir? – Zu Identitäten der Deutschen aus dem östlichen Europa“, die zurzeit im Haus des Deutschen Ostens (HDO) in München gezeigt wird, hielt die Historikerin Dr. Ingrid Schiel am 15. Juli einen Vortrag über den Frauenweltbund zur Förderung internationaler Eintracht. Dessen Siebenbürgisch-Sächsische Sektion legt ein beredtes Zeugnis von einer frühen Friedensbewegung ab, die über Jahrzehnte die Erziehung und Geisteshaltung geprägt hat.

Für Jahrzehnte waren und blieben die Erfahrungen immer wieder zerbrechender und neu entstehender staatlicher Strukturen grundlegend und prägend. In einer Welt, in der sich bisherige Maßstäbe, Rechte und Pflichten sowie Partizipationsmöglichkeiten der Staatsbürger und Staatsbürgerinnen ständig wandelten, und deren Auswirkungen bis weit in die Handlungsmöglichkeiten des einzelnen Individuums und der Familien reichten, schien einer Gruppe sächsischer Frauen ein am Liberalismus orientiertes universelles Menschheitskonzept – als eine übergreifende, allgemein gültige Norm – die einzige Möglichkeit, den Herausforderungen zu begegnen. Bereits 1889 hatte die Siebenbürger Sächsin Adele Zay auf der Grundlage von Liberalismus und Aufklärung, der Freiheit und Gleichheit aller Menschen, der Vorstellung eines ständigen Fortschritts und einer angenommenen Wesens- und Seinsweise der Frau ein Konzept entwickelt, das die Schaffung der vollkommene Menschheit zum Ziel hatte. Als Mittel dazu sah die Pädagogin die Erziehung an.
Der Frauenweltbund für internationale Eintracht wollte „alle Frauen zu einer unbesiegbaren Macht vereinigen, um den Frieden, die Wohlfahrt und den Fortschritt der Menschen zu fördern“. Der Kriegsgedanke sollte bereits im Geist der Kinder bekämpft und aus den Schulbüchern alle Vorurteile und Ungerechtigkeiten anderer Nationen gegenüber entfernt werden. Die Vertreterinnen des Bundes und ihre Präsidentin Clara d‘Arcis waren der Überzeugung, dass Kriege das Produkt eines schlechten oder ungebildeten Gewissens seien. Frieden erfordere daher eine Änderung der Bildungsgrundlagen. Es wurden alltagsrelevante Regeln für die Mitglieder aufgestellt, an denen bekannte Persönlichkeiten mitwirkten, wie Ellen Key, Jane Addams, Selma Lagerlöf und Olga Masaryk:
• „Macht Euch die Wahrheit zu eigen, dass die Menschheit eine Einheit bildet und unteilbar ist und dass ihre Interessen miteinander verflochten sind!“
• „Wirkt mit Wort und Tat an der Beseitigung der psychologischen Kriegsursachen, an der Furcht, der Unwissenheit und der Habsucht!“
• „Hütet Euch vor vorgefassten Meinungen, die sich gar oft auf falsche Berichte stützen und Sonderzwecken dienen!“
• „Ermutigt die Gedankenfreiheit, unterstützt die aufrichtige und unabhängige Presse!“
• „Seid Patrioten, nicht Chauvinisten!“
• „Studiert die sozialen Fragen!“
Der Bund und seine internationalen Sektionen traten daher für eine Umgestaltung der Nachkriegsgesellschaften und den weltweiten Frieden ein.

Im Jahr 1929 umfasse die sächsische Sektion 92 Mitglieder mit Gruppen in Hermannstadt, Kronstadt und Mediasch, ihre Vorsitzende war Ida Servatius. Die Schriftführerin Frieda Wächter, Direktorin des Mädchengymnasiums und der angeschlossenen Fachkurse, nahm die Friedensfragen und ihre Bedeutung für eine ethische Weltordnung in die Lehrpläne auf und wirkte als Multiplikatorin. Anlässlich der Muttertagsfeier 1930 wandte sie sich an die Anwesenden, einig zu sein in dem Gelöbnis, sich einzusetzen für den Menschheitsgedanken des Friedens, sich fest zusammenzuschließen gegen Völkerhass und Völkermord. Die Direktorin unternahm mit ihren größeren Schülerinnen Auslandsreisen nach Oberitalien, Schweden und Norwegen, um anstelle von Vorurteilen den Sinn für internationale Freundschaft und Verständnis zu wecken. Unterstützt wurde sie dabei von der Zentrale in Genf, die die Verbindung zu maßgebenden Persönlichkeiten im Ausland herstellte und die Reisegruppe den Bundesmitgliedern und dem Schutz der Behörden empfahl.
Wächter war von der Notwendigkeit der Erziehung überzeugt, denn diese leiste mehr für die Erhaltung des Friedens als alle Abrüstungskonferenzen. Für die Konferenz 1932 wurden weltweit insgesamt 8300000 Unterschriften von Männern und Frauen im Rahmen verschiedener Frauenorganisationen gesammelt. Die Siebenbürgisch-sächsische Sektion des Frauenweltbundes zur Förderung internationaler Eintracht war von der Zentrale und vom Deutschen Staatsbürgerinnen Verband aufgefordert worden, die Aktion zu unterstützen. Es wurden alle Ethnien und Nationalitäten miteinbezogen und in den Städten und Dörfern die Unterschriften aus organisatorischen Gründen durch die Frauenvereinigungen des Deutsch-Sächsischen Frauenbundes gesammelt. Allein in Kronstadt unterzeichneten 3052 Personen die Petition. Aufgrund der Öffentlichkeitsarbeit war in weiten Kreisen der sächsischen Frauen das Interesse für Friedens- und Abrüstungsfragen geweckt worden. Die Ideen der Internationalen Frauenbewegung wurden in Siebenbürgen nicht nur durch persönliche Kontakte rezipiert, sondern aktiv für die jeweiligen Bedürfnisse weiter entwickelt. Link zum Video 1936 zählte die Siebenbürgisch-Sächsische Sektion 60 Mitglieder. Zu diesem Zeitpunkt hatte das nationalsozialistische Führerprinzip bereits sowohl im Deutsch-Sächsischen Volksrat für Siebenbürgen als auch im Verband der Deutschen in Rumänien die demokratischen Prinzipien abgelöst. Gruppen, die sich international organisierten, demokratische oder pazifistische Ideen vertraten, wurden als Gegner der deutschen Nation diffamiert. Eine Teilnahme an internationalen Kongressen war nicht mehr möglich. Sie wurde durch die Deutsche Gesandtschaft in Bukarest verhindert. Die bisherige Friedenserziehung konnte im Rahmen des Schulwesens der nationalsozialistischen Deutschen Volksgruppe in Rumänien nicht weiter aufrechterhalten werden. Frieda Wächter hätte andernfalls ihre Anstellung als Direktorin verloren. Die Siebenbürgisch-Sächsische Sektion des Frauenweltbundes zur Förderung internationale Eintracht agierte im Untergrund. Aus der Zeit nach August 1944 ist ein Schreiben des werbenden Mitgliedes Sophie Nussbaumer aus Deutsch-Kreuz an die Zentrale in Genf überliefert, in dem sie berichtet, dass die Vorsitzende Ida Servatius und die Schriftführerin Frieda Wächter bereit wären, die Tätigkeit der Sektion wieder aufzunehmen. „Bin nun so wie wir alle um ein paar Jahre älter geworden, aber noch fest in der Hoffnung, dass es dem Frauenweltb[und] gelingen wird, die grossen Opfer nicht umsonst gebracht zu haben!“
Wie Ingrid Schiel ausführte, sei dieser Ausspruch nach wie vor aktuell. Jede und jeder möge für sich entscheiden, ob und wieweit diese alltagsrelevanten Regeln auch heutzutage noch Gültigkeit haben können und mit welcher Haltung er/sie agiert! Nach dem Vortrag kam eine junge Frau auf die Historikerin zu und sagte, sie sei Mitglied des Bundes, ohne es zu wissen, da sie danach lebe. – Ist es mit ein Zeichen, dass sich die Losung des Frauenweltbundes zur Förderung internationaler Eintracht „Unser der größte Sieg“ im Kleinen vollendet?
Sollte weiteres Material in diesem Zusammenhang in Kellern oder Aufböden zu finden sein, bittet Dr. Ingrid Schiel, Geschäftsführerin des Siebenbürgen-Instituts, es der Siebenbürgischen Bibliothek mit Archiv zur Verfügung zu stellen, gern auch nur in Kopie. Beispielsweise ist der Nachlass von Sophie Nussbaumer erst kürzlich in Gundelsheim eingetroffen. „Er gibt einen beeindruckenden Einblick in Individualität, Gradlinigkeit und Beharrlichkeit, gesetzte Ziele zu verfolgen. Wenn Sie Vor- oder Nachlässe auflösen, denken Sie bitte an unser Nationalarchiv“, so Ingrid Schiel.
Den Vortrag können Sie auf YouTube sehen.
Schlagwörter: Vortrag, München, HDO, Ingrid Schiel, Frauen, Frauenverein, Siebenbürgen, Geschichte
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