2. Dezember 2021

Seminar in Bad Kissingen thematisiert „Rumänienbilder – Deutschlandbilder“

Welche Bilder und Stereotypen prägen unser Wissen über Rumänien und Deutschland? Dieser Fragestellung wurde vom 24. bis 29. Oktober in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen im Rahmen des Seminars „Rumänienbilder – Deutschlandbilder“ nachgespürt.
Teilnehmer des Seminars „Rumänienbilder – ...
Teilnehmer des Seminars „Rumänienbilder – Deutschlandbilder“. Foto: Gustav Binder
Es fanden sich zahlreiche interessierte Teilnehmer aus Deutschland und Österreich, mit und ohne Wurzeln in Rumänien, ein. Zudem reiste aus Rumänien eine große Gruppe an – überwiegend Deutschlehrerinnen, die an verschiedenen deutschen und rumänischen Schulen im Land unterrichten. Trotz der unterschiedlichen Herkünfte und Lebenserfahrungen verband alle Teilnehmer einerseits eine große Begeisterung und Liebe für die schöne Natur Rumäniens und die Gastfreundschaft der dort lebenden Menschen und andererseits die Wertschätzung des entsprechend hohen und relativ gesicherten Lebensstandards, der in Deutschland genossen wird.

Bereits am Sonntagabend, nach Anreise der Tagungsgäste und gemeinsamem Abendessen, stimmte Gustav Binder, Studienleiter der Bildungsstätte „Der Heiligenhof“, seine Gäste auf das bevorstehende Seminar mit einer Lesung aus Claudiu Florians Roman „Zweieinhalb Störche – Kindheitserinnerungen aus einer ethnisch gemischten Familie“ ein. Verschmelzungen rumänischer und deutscher Bilder, Gefühle und Empfindungen sollten die Teilnehmer, wie hier bereits vorgekostet, während der nächsten Seminartage erwarten.

Im Verlauf des Seminars begaben sich die Teilnehmer auf Pfade der Erinnerungen an die Zeiten vor und während der großen Auswanderung der Deutschen aus Rumänien, aber auch jener an das Ankommen in der neuen Heimat. Man ging der Frage nach, wie es den in Rumänien zurückgebliebenen Deutschen in den letzten Jahrzehnten ergangen ist. Hochkarätige Referenten ebneten die Wege, die zum Verstehen der demographischen Bewegungen der deutschen Minderheiten im osteuropäischen Raum ­verhalfen, zu welchen u.a. auch die deutschen Siedlergruppen in Siebenbürgen, dem Banat, Sathmar, Altrumänien, der Bukowina, Bessarabien und der Dobrudscha gehören.

Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch (München) gab zum Einstieg einen fundierten Überblick über die deutsche Ostsiedlung seit dem mittelalterlichen Landesausbau östlich von Elbe und Saale, über staatlich geförderte Siedlungsbewegungen in der Neuzeit, Nationalbewegungen und Vertreibungen im 19. und 20. Jahrhundert, Umsiedlungen, Vertreibungen und Fluchtbewegungen während des Zweiten Weltkrieges bis zu den massenhaften Aussiedlungen ab den 1960er- und 1970er Jahren und Spätaussiedlungen, die insbesondere bei Russlanddeutschen bis heute noch andauern.

Bei Prof. Dr. Reinhard Fößmeier (München) lernten die Teilnehmer, wie Migrationen – ob gezielte oder zufällige, ob egoistisch oder altruistisch geprägte und durch Mobilität in der ein- bis unendlich-dimensionalen Welt stattfindenden Migrationen – mit Hilfe mathematischer Modelle anschaulich simuliert und untersucht werden können. An die in seinem Vortrag „Historische Demographieforschung am Beispiel von siebenbürgisch-sächsischen und landlerischen Ortschaften“ dargelegten Erkenntnisse zu den Migrationsmodellen knüpfte Dr. Sara Konnerth (Hermannstadt) in ihrem Vortrag „Isolation und Selbstisolation bei den Siebenbürger Sachsen und Landlern“ exemplarisch an. Ihre persönliche Ahnenforschung lieferte ihr gesicherte Indizien einer gezielten Selbstisolation in den ersten Generationen nach der Transmigration nach Siebenbürgen, die vermutlich hauptsächlich einer Absicherung des Selbsterhalts der eigenen Minderheit diente.

Dr. Markus Bauer (Berlin) wagte in seinem Vortrag „den rumänischen Blick“ auf Deutschland. Dabei zeichnete er Deutschlandbilder der elitären Schicht nach, die während und nach der Hohenzollern-Dynastie in Rumänien vorherrschten, und ging schließlich auch auf das aktuelle, in einer statistischen Umfrage erfasste Deutschlandbild der rumänischen Bevölkerung ein.

Zu der Fragestellung „Das Ende der Geschichte der Deutschen Rumäniens?“ dozierte Prof. Dr. Christian Maner (Mainz) über den Exodus der Siebenbürger Sachsen, der bereits mit der ersten Phase im 19. Jahrhundert begann, als die Umwandlung von einer „Nation“ zu einer „nationalen Minderheit“ stattgefunden hatte und deutsche Minderheiten in Rumänien erstmals ihren Blick nach Deutschland ausrichteten und schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg in einer zweiten Phase der Auswanderung gipfelte. Dennoch prophezeit der Referent kein finis saxoniae, so auch Benjamin Józsa (Hermannstadt), Geschäftsführer des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, der die Teilnehmer mit seinem Vortrag „Die Deutschen in Rumänien nach 1989“ zurück in die Gegenwart holte und von dem großen Engagement des Forums als professionelle Minderheitenvertretung berichtete. Abschließend sprach Józsa jedoch auch sein Bedauern darüber aus, dass das Bewusstsein für die Minderheitenproblematik in der deutschen Politik immer noch zu wenig verankert sei.

Das gesamte Repertoire an informativen bis hin zu wissenschaftlichen Vorträgen wurde regelmäßig von weiteren Programmpunkten abgelöst, die es den Teilnehmern ermöglichten, den Vorträgen nachzusinnen oder zwischendurch in einen regen Austausch miteinander zu treten. Dazu gehörte ein aktiver Austausch in Arbeitsgruppen zu „Rumänienbilder – Deutschlandbilder“ mit anschließender Ergebnispräsentation, mehrere Filmvorführungen von Peter Miroschnikoff (München), ehemaliger Südosteuropakorrespondent der ARD, u.a. die Dokumentarfilme „Die Leute von Michelsberg“ und „Ich erschoss die Ceaușescus“, ergänzt mit wertvollen persönlichen Kommentaren zu den Entstehungen der Filme. Zum Abschluss des Seminars präsentierte und erläuterte Prof. Dr. Wilfried Heller (Göttingen) „Rumänienbilder 1970-1990“, Fotoaufnahmen, die er seinerzeit mit einer Sondergenehmigung und unter strenger Überwachung der Securitate von Land und Leute machen durfte.

Während einer Tagesexkursion konnten historische, religiöse, dynastische und kulturelle Verbindungen zwischen Franken und dem europäischen Osten erkundet werden. Herr Binder beeindruckte hierbei als Reiseführer die Seminarteilnehmer mit seinem umfangreichen geschichtlichen Wissen zu den historischen Stätten Burg Botenlauben, Ostheim a.d. Rhön und Bischofsheim. Gekonnt skizzierte er zahlreiche Verbindungen zu Siebenbürgen auf.

Da ein Aufenthalt in der schönen Weltkulturerbestadt Bad Kissingen ohne einen Besuch der Therme und eines Kurkonzerts in der wunderschönen Wandelhalle, im Kurgarten von Bad Kissingen undenkbar wäre, fehlten diese selbstverständlich nicht im Programm. Ebenso fand auch eine spätabendliche Stadtführung durch Bad Kissingen, im Anschluss an das Kurkonzert, statt. Trotz der kalten Abendstunden war es ein besonderes Erlebnis, die Architektur der Stadt im Lichterglanz der Wasserspiele zu erle­ben. Zum Aufwärmen traf man sich danach in der gemütlichen Südmährischen Weinstube des „Heiligenhofs“ bei einem guten fränkischen Wein.

Am letzten Abend überraschte ein Gast mit einer Sonder-Diashow. Wolfgang Post nahm die Tagungsgäste mit auf eine seiner zahlreichen Wanderungen, die er durch Siebenbürgen als selbsternannter „Wandervogel“ gemacht hat. Mit viel Begeisterung berichtete Wolfgang Post über seine Wandererlebnisse, zeigte Fotos dazu und lud hin und wieder alle Gäste zum Mitsingen einiger Wanderlieder ein, die auf der Gitarre begleitet wurden. Dieser geselligen Vorführung schloss sich ein gemütlicher Abend mit Gesang, Unterhaltung und Tanz an.

Am Freitagmorgen wurden schließlich noch eifrig Kontaktdaten ausgetauscht, bevor die Tagungsgäste mit vielen besonderen Eindrücken, neuen Bildern und Begegnungen im „Gepäck“ und dem von Pfarrer Hans Schneider zugesprochenen Reisesegen ihre Heimreise antraten. So wie sie an einem wunderschönen goldenen Oktobersonntag aus allen Himmelsrichtungen nach Bad Kissingen angereist waren, fuhren sie nun, fünf Tage später, erneut durch glühendes Herbstlaub ihren Heimatorten entgegen – hier in Deutschland und in Rumänien – mit der Gewissheit, dass vor allem die Begegnungen der Schlüssel für die Bilder sind, die in uns Menschen einziehen.

Agathe Wolff

Schlagwörter: Seminar, Heiligenhof, Bad Kissingen, deutsch-rumänische Beziehungen, Bericht

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