10. Juli 2022

Zum Zeichnen ins Museum! Werkstattgespräch mit Hanna Hennenkemper

Hanna Hennenkemper ist Bildende Künstlerin. Zeichnung und Druckgrafik sind ihre bevorzugten Medien. Prägend ist ihr unbedingtes und genaues Hinsehen. Die Frage danach, wie wir uns den Dingen widmen und mit welcher Aufmerksamkeit wir bereit sind sie wahrzunehmen, bildet ein zentrales Motiv in ihrem Werk. Genau dies, eine Wachheit für die uns umgebende Welt ist es, was Hanna Hennenkemper auch von ihren Studentinnen und Studenten verlangt. Mit ihrer gegenwärtigen Klasse, die sie an der Kunsthochschule Braunschweig (KHB) ausbildet, hat sie im Juni 2022 den Unterricht für drei Tage nach Schloss Horneck verlegt. Im Museum, in der Bibliothek, aber auch im Burggraben und im Dorf wurde gezeichnet, fotografiert, recherchiert und debattiert, Projektskizzen entstehen. – In der Serie der Werkstattgespräche besucht Heinke Fabritius, Kulturreferentin für Siebenbürgen am Siebenbürgischen Museum, in loser Folge Ateliers, Übungs- und Arbeitszimmer und bittet die Akteure zum Interview.
Hanna Hennenkemper ...
Hanna Hennenkemper
Liebe Frau Hennenkemper, willkommen auf Schloss Horneck! Es freut mich, dass Sie meiner Einladung hierher nachgekommen sind und Ihre Klasse von der Kunsthochschule Braunschweig mitgebracht haben.
Ja, auch ich bin froh, dass es uns gelungen ist, dieses Projekt als studentische Exkursion umzusetzen und wir jetzt hier an diesem wunderbaren Ort gemeinsam arbeiten können.

Was ist das für ein Studiengang, den Sie an der KHB unterrichten?
Der Studiengang ist der für „Visuelle Kommunikation“, kurz: VK. Wir, das sind mein Kollege Julian Adenauer und ich, machen ein Projekt mit den Studierenden der Grundlehre, in dem wir uns mit Vermittlung von Kultur auseinandersetzen. Exemplarisch wollen wir das anhand der siebenbürgischen Kultur einüben.

Interessiert Sie bzw. die Studenten und Studentinnen dabei etwas ganz Besonderes? Und: Was sind die ­Voraussetzungen Ihrer Annäherung?
Oh, das Interesse ist eher breit gefächert und es geht vor allem um die Neugierde einer jungen Generation. Es soll ausgelotet werden, welches Interesse diese Generation für das Thema Heimat aufbringt, in welchem Verhältnis sie dazu steht und sich damit beschäftigt. Es geht auch darum, wie sie „fremde Heimat“ deutet. Das kann eigene, fremd gewordene Heimat meinen, aber durchaus auch die Frage nach der unbekannten Heimat anderer aufwerfen, mit der man sich aus unterschiedlichsten Gründen konfrontiert sieht.

Das geschieht beispielsweise hier im Museum?
Ja, auch im Museum. Deshalb ist der nächste Schritt die Frage danach, wie man mit den ausgestellten Objekten in Kontakt kommt, wie man ihnen beim Besuch begegnet und wie es dann gelingen kann, das hier gesehene kulturelle Material neu zur Sprache zu bringen.

Sie wollen die Dinge und ihre Geschichten nicht im Museum belassen, sondern wieder aus dem Museumsraum hinausbringen?
Ja, mit visuellen Mitteln. Das „Hinaustragen“ gehört zur Kommunikation dazu. Und um dies erreichen zu können, haben wir sehr grundlegend begonnen. Es gab zunächst eine ­Informationsphase, in der wir ­recherchiert haben, was es hier auf Schloss Horneck zu sehen gibt, welche Institutionen beherbergt sind und was es überhaupt mit dieser ja ­keineswegs bei allen Studentinnen und Studenten bekannten Region Europas auf sich hat. Natürlich musste auch erklärt werden, wie und wann deutsche Kultur nach Siebenbürgen kam.

Hat die Rattenfänger-Geschichte der Gebrüder Grimm dabei eine Rolle gespielt?
In der Tat sind Sagen ein guter Anfang, um Menschen für eine Sache zu begeistern. Für unsere Studenten und Studentinnen war es aber auch sehr wichtig, zu verstehen, warum dieser Teil europäischer Kulturgeschichte jetzt hier auf Schloss Horneck zu sehen ist. Und weiter stellt sich die Frage nach der Rolle und den Aufgaben des Museums: Wer sammelt? Was wird gesammelt? Was wird ausgestellt? Wie wird es ausgestellt? Und, für die visuelle Kommunikation eine zentrale Frage, wie wird das Gewesene visualisiert?

Sie fragen also danach, wie die Ausstellungsobjekte – jenseits der beigefügten Beschriftungen oder begleitender Katalogtexte – weiter erklärt, kontextualisiert und erfahrbar gemacht werden können. Wieso ist es nötig, Ideen und Geschichten nicht nur durch Worte, sondern auch mit Hilfe bildlicher, visueller Mittel zu transportieren? Was heißt visuelle Kommunikation?
Es geht tatsächlich um das Kommunizieren von Inhalten über Visualität. Also darum, wie man Information organisiert und neu sichtbar macht. Da verändert sich gerade viel und das geht über Bilder, Websites, Instagram und andere diverse Kommunikationskanäle und Medien. Der Punkt in unserer Gegenwart ist es, dass dabei Sprache und Worte eine sehr viel kleinere Rolle spielen als Bilder.

Kommen wir noch einmal zurück auf das Museum zu sprechen. Wie hat sich Ihre Gruppe der Sammlung angenähert?
Die Exkursion ist bereits seit letztem Winter in Vorbereitung und Sie ja als Kulturreferentin auch zweimal zum Einführungsseminar und für die Vorbereitung bei uns gewesen. Darüber hinaus haben wir uns im Vorfeld die Homepage des Museums angesehen und uns auch über den YouTube-Kanal informiert. Hier vor Ort gab es dann Führungen. Frau Dr. Sedler und Herr Dr. Lörz waren so freundlich, uns durch die Ausstellungsräume zu führen und uns vertraut zu machen mit wesentlichen Stationen der siebenbürgischen Geschichte. Das war unglaublich hilfreich – und auch sehr lebendig. Danach hatten wir alle einen gewandelten Zugriff auf die Sammlung.
Projekttage auf Schloss Horneck: Hanna ...
Projekttage auf Schloss Horneck: Hanna Hennenkemper (vordere Reihe, Zweite von links, neben Kulturreferentin Heinke Fabritius, Erste von links) beim Gruppenbild mit ihren Studentinnen und Studenten.
Eine bemerkenswerte Sammlung an Büchern, Fotos und anderen Archivalien beherbergt auch das Siebenbürgen-Institut, das ebenfalls hier auf Schloss Horneck untergebracht ist.
Stimmt, die haben wir auch kennengelernt. Obwohl es nicht so geplant war, denn der Schwerpunkt dieses Projekts liegt in der Auseinandersetzung mit der Schausammlung des Museums. Dafür hatten wir zweieinhalb Tage vor Ort Zeit. Das Siebenbürgen-Institut hat uns aber wichtige Hilfestellung bei Recherchearbeiten gegeben. Besonders hat uns die spontane Präsentation der Spielesammlung durch Frau Dr. Schiel beeindruckt.

Die Entwicklung von Karten- und Brettspielen – gehört sie auch in den Aufgabenbereich der visuellen Kommunikation?
Unbedingt. Was mir neben dem persönlichen Kontakt an allen diesen Begegnungen und Gesprächen auch wichtig scheint, ist das unmittelbare Erlebnis der Objekte selbst. Gerade nach der Zeit der Pandemie ist es von immensem Wert, Dinge in ihrer konkreten Materialität erfahren zu können. Ich meine: Man muss schon eine Ahnung haben, welche tatsächliche Größe ein Gegenstand besitzt, welche Oberflächenstruktur, welche Dichte oder welche Fragilität ihm eigen ist. Ohne solche Einführungen wäre das nicht in derselben Weise gelungen.

Könnten Sie uns vielleicht ein studentisches Projekt exemplarisch vorstellen?
Viele der Projekte sind schon im Vorfeld entwickelt worden, aufgrund der Informationen, die wir eingeholt und der Recherchen, die wir getätigt haben. Wir haben auch Websitevergleiche gemacht, uns dafür interessiert, was wie dargestellt wird oder wie historische Ereignisse kommuniziert werden. Die Projekte, die daraus entstehen, sind demnach vielfältig. Beispielsweise sind einige Studierende damit beschäftigt, anhand siebenbürgischer Sagen und Mythen, Charaktere und Figuren für Spiele zu entwickeln, ja überhaupt ganze Spiele zu entwerfen, die an verschiedenen Orten in Siebenbürgen spielen. Andere wiederum illustrieren Märchen, sie haben sich die eine oder andere Geschichte ausgewählt und wollen sie nicht nur nach-, sondern durchaus auch fort- und weitererzählen. Das Museum stellt dafür wichtiges Anschauungsmaterial bereit, Vergangenes kann vergegenwärtigt werden. Die notwendige Klammer zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die in den neuen Bildern hergestellt wird, wird dadurch erst möglich. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn man eine Szene illustrieren will, die beispielsweise in einer siebenbürgisch-sächsischen Küche stattfindet, ist es hilfreich, zu wissen, wie eine solche tatsächlich ausgesehen hat, ganz egal für welche Bildsprache, welchen zeichnerischen Stil man sich entscheidet.

Sie erzählten auch von Entwürfen für Musterbögen, Zeichenhefte, Wimmelbilder, Tattoos, digitale Plakate und Veranstaltungskalender.
Ja, das ist vielfältig und viele Dinge sind noch in Bewegung. Warten wir also ab. Das Sommersemester ist noch nicht zu Ende.

Sie selbst sind auch zum ersten Mal hier auf Schloss Horneck, gleichwohl aber mit Siebenbürgen ganz vertraut.
Ja, ich habe eine Zeit lang in Rumänien gewohnt, mein Bruder lebt mit seiner Frau jetzt dort, und vor allem mein Vater ist immer wieder in Rumänien gewesen und hat auch einige Jahre dort gelebt und gearbeitet. Siebenbürger sind wir jedoch keine, wir kommen von der Schleswig-Holsteinischen Ostseeküste.

Wie kommt es dann zu dieser, wie mir scheint, doch sehr engen Bindung?
Als nach 1989 in Rumänien plötzlich viele Krankenschwestern und medizinisches Personal gesucht wurden, ist die schottische Gastmutter meines Bruders, die Krankenschwester war, kurzerhand mit ihrer gesamten Familie im Frühling 1990 nach Siebenbürgen, nach Schäßburg, gezogen. Im November desselben Jahres erreichte uns dann ihr Hilferuf, dass es vor Ort nach wie vor an Lebensmitteln, medizinischer Unterstützung und auch an Spielzeug mangelte. Woraufhin mein Bruder und ich spontan eine große Sammelaktion an unserer Schule veranstalteten, bei der so viel zusammenkam, dass mein Vater einen LKW mietete und sich kurz vor Weihnachten 1990 auf den Weg nach Schäßburg machte. Was damals wirklich sehr abenteuerlich war.

Sind Sie damals schon mitgefahren?
Nein, aber in der Folge schon. Denn von da an haben wir regelmäßig Hilfstransporte nach Rumänien unternommen. Vieles war privat finanziert, aber es wurde auch Geld ­gesammelt. In Schleswig-Holstein haben sich die evangelischen Kirchengemeinden in Angeln, vor allem Steinbergkirche, intensiv beteiligt und einzelne Projekte großzügig unterstützt. – In Siebenbürgen wurde Reußdorf/Cund zu unserem Zentrum, dort haben wir gemeinsam mit den Dorfbewohnern das Kulturhaus wieder aufgebaut. Mein Vater hat dort für arbeitslos gewordene Weberinnen eine Weberei eingerichtet, die dort produzierten Leinen wurden dann in Deutschland mit Hilfe der Kirche auf Märkten verkauft. Auch eine Tisch­lerei ist entstanden.

Und Sie?
Ich bin nach dem Abitur auch länger dort gewesen und habe vor allem im Kindergarten Deutschunterricht gegeben, aber auch für Erwachsene.

Das ist eindrucksvoll. Die Bewegung damals war eigentlich eine gegenläufige. Ihr Bruder, sagten Sie, lebt bis heute in Reußdorf.
Ja, er ist aber erst einige Jahre später hingegangen, mit seiner jetzigen Frau, und hat, da er sehr gerne kocht, ein Restaurant – im Grunde genommen im Nirgendwo – eröffnet. Das finde ich immer noch wahnsinnig beeindruckend und mutig, denn Reußdorf war damals kaum angeschlossen. Es gab keine geteerte Straße ins Dorf, und die Strecke nach Elisabethstadt, die über die Berge ging, war nach Regenfällen kaum befahrbar. Nach und nach entwickelten sich die Dinge aber zum Guten und er hat auch ein Gästehaus eingerichtet. Es ist eine schöne Anlage entstanden.

Eine recht erfolgreiche Anlage, sein Restaurant ist gerade zum besten Gästehaus Rumäniens gewählt worden. – Anders als für Ihren Bruder, der mittlerweile in Siebenbürgen zu Hause ist, haben Sie sich jedoch für einen anderen Weg entschieden. Es folgten weitere Reisen, unter anderem nach Afrika, und schließlich die Entscheidung, bildende Kunst zu studieren und Künstlerin zu werden. Ihr Hauptfach ist die Zeichnung und die Druckgrafik.
Stimmt, das kann man so sagen. In meinen Arbeiten versuche ich mich vor allem Themen zu widmen, die die Dimension des Menschseins aufmachen. Da geht es in den letzten Jahren stark um die Frage, wie wir Dinge verstehen, sie neu lesen. Und auch darum, wie wir mit Geschichte, Archiven und überhaupt mit historischem Material umgehen. Eingeschlossen ist für mich darin immer die Frage, wie wir Bestehendes in die Zukunft weitertragen wollen.

Das sind auch die Fragen, denen Sie in diesem Projekt auch mit Ihren Studentinnen und Studenten nachgehen.
Vielleicht ja. Wir müssen immer auch verstehen, wie wir geprägt sind von den Dingen und Zusammenhängen, aus denen wir kommen und die unseren Blick auf die Welt mitbestimmen. In der Arbeit mit Studierenden geht es besonders darum, bei ihnen ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass sie einen Blick haben, der einer bestimmten Determinierung unterliegt. Der also schon geformt ist aus und durch die Welt, aus der sie kommen. Also aus den Familien und den sozialen und kulturellen Räumen. Mir geht es darum, dass sie verstehen, dass es verschiedene Perspektiven gibt und sie sich ihrer eigenen vergewissern.

Was bedeutet das für das Studienfach Visuelle Kommunikation?
Nun, das bedeutet, dass wir uns immer fragen müssen, welche Blicke wir auf ein Thema werfen und wie wir daraufhin einen Inhalt verstehen und wie wir diesen weitergeben.

Die eigene Beschränkung muss bedacht werden – und auch überwunden werden?
Dies und viel mehr als das. Die Frage ist auch, wie sehr kann ich die Studierenden darin bestärken, sich auf andere Perspektiven einzulassen, vor allem auch dann, wenn dadurch die eigene Position vielleicht ins Wanken gerät. Oder wenn andere Unsicherheiten entstehen, etwa weil das zu behandelnde Thema so komplex, vielschichtig und keineswegs eindeutig ist, dass eine klare Stellungnahme schwerfällt. Ich finde, diese Dinge kann man hier auf Schloss Horneck sehr gut üben, denn die Frage, woher wir kommen, wohin und wie wir unsere Vergangenheit tragen wollen, liegt auf dem Tisch und dem müssen auch wir als Besucher uns stellen.

Ich danke Ihnen für das Gespräch. Auf die Ergebnisse dieser Projekttage kommen wir vielleicht noch mal im Herbst zurück.

Schlagwörter: Interview, Kunst, Universität, Schloss Horneck, Heinke Fabritius

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  • 10.07.2022, 10:31 Uhr von Johann Kremer: liebe Heinke, vielen herzlichen Dank für Deinen Einsatz und den Beitrag. Genau diese Gedanken ... [weiter]

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