10. Mai 2023

Ossis Stein, ein Hörstück von Frieder Schuller, wird beim Heimattag in Dinkelsbühl präsentiert

Am Samstag, den 27. Mai, im Rahmen des Heimattages der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl, wird „Ossis Stein“ – Hörspiel von Frieder Schuller erstmals dem Publikum präsentiert.
Als am 17. September 2010 durch die Nachricht, die die Süddeutsche Zeitung auf ihrer Titelseite veröffentlichte, die ganze Welt erfuhr, dass „Herta Müllers Freund Oskar Pastior der Securitate verpflichtet [war]“, herrschte kein betroffenes Schweigen. Im Gegenteil, es haben sich viele zu Wort gemeldet und sich gegenseitig sehr oft beschuldigt. Die Welt hat unverständlich den Kopf geschüttelt. Ein Einziger griff sogleich zur Feder und schrieb eine Apologie, eine Verteidigung des Oskar Pastior in Form eines Theaterstücks. Nun ist dieses Stück als Hörspiel erschienen.

Noch jedes Mal ist es Frieder Schuller gelungen, mit einer großen Überraschung aufzuwarten. Ob durch seine Lyrik, die sich immer erneuert, ob es der Haken war, den er als Filmemacher mit seinen zwei großen Erfolgen – „Der Glockenkäufer“ und der Film über Paul Celans Bukarester Jahre – geschlagen hat, ob als Hausherr in Katzendorf, wo er als Erfinder eines Festivals mit Vergabe eines Preises brillieren konnte, oder als Dramatiker mit dem Stück Ossis Stein (siehe Folge 15 vom 30. September 2020, Seite 10) – jedes Mal ist es ihm gelungen, neue Wege zu erkunden, neue Genres auszuprobieren, Neues zu schaffen. So auch dieses Mal mit Ossis Stein, ein Hörstück von Frieder Schuller und Ensemble23.

Oskar Pastior: Ich habe Angst vor unerfundenen Geschichten.

Bereits in der ersten Szene wird der Zuhörer durch wenige Worte in Ort und Zeit des Geschehens eingeführt. Voraussetzung ist dabei die Kenntnis des Schlüsselwortes, das eingangs zu hören ist: Ceauşescu. Durch dieses Rätsel, als Witz getarnt, wird man in das Land des Geschehens – Rumänien – verwiesen. Die Zeit ist dadurch nur ungenau angegeben, denn der Beginn der „Handlung“ findet in den späten 1950ern statt, kulminierend mit der Unterschrift der Verpflichtungserklärung Ossi Steins als IM, alias Oskar Pastior, im Jahre 1961.

Das Hörspiel wie auch das zugrunde liegende Theaterstück schaffen es, die Vorgänge, die in Wirklichkeit mehrere Angst-Jahre gedauert hatten, auf wenige Szenen zu reduzieren. Frieder Schuller gelingt eine zeitlich geraffte Wiedergabe dieses Prozesses durch eine geschickte Fokussierung auf das Wesentliche. Das Stück besteht aus 29 Szenen. Die Titel der Szenen haben drei sich wiederholende Namen: Hora, Begegnung und Nicu, der politische Witz.

Wagt sich Frieder Schuller in neue Kunstgefilde? Probiert er ein neues Genre aus? Das Theater war einige Jahre sein Zuhause; war er doch 1972-1978 Dramaturg an der deutschen Abteilung des Staatstheaters von Hermannstadt. Ein Wagnis ist es allemal.

Analog zum Theaterstück verwendet Schuller den Begriff Hörstück für seine neue Produktion. Das Sehen ist dabei nicht gefragt, nur das Hören. Es muss ein fühlendes Hören sein. Das gesprochene Wort trifft auf einen Zuhörer als gehörtes Wort, ohne sichtbare Hilfen, wie Gestus oder Mimik, geschweige denn Bühnendekoration. Es gelten nur Geräusche als akustische Hilfsmittel, als Geräusch-Kulisse, ja, und Musik. Visuelle Elemente sind ausgeklammert. Die Verständlichkeit jedes Wortes, des Kontextes ist höchstes Gebot. Es ist die ultimative Prüfung eines Textes. Und der Text von Frieder Schuller hat diese schwere Prüfung mit Bravour bestanden.

In historisch schwierigen Zeiten wurde die Poesie öfters missbraucht, ja vergewaltigt. Als nach dem Zweiten Weltkrieg Theodor W. Adorno eine Weiterführung der Poesie für unmöglich gehalten hat, bewies Paul Celan, dass die Poesie auch nach Missbrauchs-Zeiten auferstehen und unter neuen Bedingungen und Voraussetzungen weiter existieren kann. Hinter dem Eisernen Vorhang galten für Schriftsteller und Dichter Gesetze, die nicht jeder ohne weiteres akzeptieren und mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Die Poesie, unterworfen den Gesetzen der Ideologie und der kommunistischen Parteilichkeit, wurde abermals in die Knie gezwungen.

In Schullers Text folgt nach der erzwungenen Unterschrift der Verpflichtungserklärung Ossis als Informant der Securitate und schlussendlich der Vergewaltigung der Poesie eine Leere. Unter Tränen trägt Silvia, die die Poesie verkörpert, ein Gedicht von Ossi vor. Die Worte rühmen die Freude über „die ganze sozialistische Heimat“. Damit endet das Hörstück. Nach dem Pakt Ossis mit dem Teufel, gefolgt von der Vergewaltigung der Poesie, kann keine Erlösung folgen.

Unmittelbar nach der Unterschrifts-Szene ertönt ein politischer Witz, der es an Absurdität mit Becketts „Warten auf Godot“ aufnehmen kann. Schuller ist ein Meister der Assemblage; durch die Aufnahme von Witzen in das Hörstück potenziert sich die Absurdität der Handlung. Die Witze, die in kommunistischer Zeit zirkulierten, deren Absurdität nicht zu übertreffen war, halfen durch Humor über die eigene Situation lachend hinwegzukommen. Im Hörstück haben sie die Funktion, die Brücke zwischen „Begegnung“ und „Hora“ zu übernehmen, und dadurch das Absurde der Situation zu betonen.

Vielleicht musste es so kommen: Der Antiheld des Stückes, der Rundfunkreporter Ossi, produziert Reportagen für das Medium Radio. Nun hat Frieder Schuller den Kreis dadurch vollendet, dass er sein Theaterstück über den Rundfunkreporter in ein Hörstück umgewandelt hat.

Das international mehrfach ausgezeichnete „Ensemble23-Theater von Menschen mit und ohne Behinderung“, eine inklusive Theatergruppe aus Leipzig, brachte mit der nötigen Erfahrung den Text von Frieder Schuller durch die geschulten Stimmen zu einem Hörgenuss, der nachklingend so schnell nicht zu vergessen sein wird.

Die Produktion des Hörstücks wurde ermöglicht aus gemeinsamen Mitteln der Kulturreferentin für Siebenbürgen am Siebenbürgischen Museum (BKM), der Landesdirektion des Freistaates Sachsen sowie der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen.

Josef Balazs

Schlagwörter: Heimattag 2023, Oskar Pastior, Frieder Schuller, Hörspiel

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Neueste Kommentare

  • 16.05.2023, 14:26 Uhr von HELLMUT SEILER: Bemerkenswerter Artikel. Sein dritter Satz erschließt sich einem allerdings auch nach dem 3. Lesen ... [weiter]

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