17. Mai 2023

700 Jahre „Helta“ und „Gyznoyo“, 819 Jahre „Riuetel“

Vor 700 Jahren, am 16. Mai 1323, einem Pfingstmontag, bestellte comes Nicolaus, Sohn des comes Conradus von Talmesch, den Schreiber Godescaldus nach Helta und ließ ihn dort eine Schenkungsurkunde zugunsten seines Schwiegersohnes Michael, Sohn des comes Hezo von Großau, aufsetzen. Michael erhielt die Hälfte einer Mühle in Großau, ein schuldenfreies Gehöft und sieben Joch Weinberge im Tal des Winricus. Zwölf ehrbare Männer aus der Umgebung berief Nikolaus als Zeugen, unter ihnen Karolus de Helta. Das Dokument ließ er mit seinem eigenen Siegel und jenem des Schreibers Godescald (Gottschalk) vom Hermannstädter Gerichtsstuhl (sigilloque Cybiniensis iudicii) bekräftigen.
Die Urkunde vom 16. Mai 1323. Original im ...
Die Urkunde vom 16. Mai 1323. Original im Ungarischen Landesarchiv Budapest, DL 2165. Die beiden in weißes Wachs gedrückten Siegel wurden an Pergamentstreifen angehängt. In dem einen Siegelfeld Krone in dreieckigem Schild mit der Umschrift † S COMITIS NICOLAI DE TVLMES, im anderen zwei gekreuzte, mit den Spitzen nach unten gerichtete Schwerter in einem dreieckigen Schild mit der Umschrift † S GODSCALCI † SCRIPTO.
Aus dem gleichen Jahr 1323 ist auch der ungarische Ortsname erstmals überliefert, von dem sich der rumänische Name Cisnădie ableiten lässt: Nikolaus übergibt sein Haus, das sich in civitate Gyznoyo befindet, an seinen Schwager, den nobilis vir magister Petrus, Sohn Michaels. Die Urkunde bezeichnet den Ort als Stadt, was auf die Entwicklung von Heltau hinweist, aber auch auf die Konkurrenz mit dem benachbarten Hermannstadt um die Vorortschaft in diesem Gebiet.

Die erste Urkunde, die sich auf die Gemarkung des heutigen Heltau bezieht, ist noch älter: 1204 befreit König Emmerich Johannem Latinum inter Theutonicos Transiluanenses in villa Riuetel commorantem (der unter den Deutschen Siebenbürgens im Dorf Ruetel wohnt) für seine treuen Dienste von allen Abgaben und sonstigen Verpflichtungen. Johannes stammte aus einem Raum im nordöstlichen Frankreich und in Wallonien (heute Teil von Belgien). Er gehört zu jener Gruppe unter den Siebenbürger Sachsen, die aus diesen von „Lateinern“ bewohnten Gebieten in ihre neue Heimat gekommen sind. „Latini“ sind in mehreren Städten des mittelalterlichen Ungarns anzutreffen, die entlang der west-östlichen Handelswege gelegen sind, wie Ödenburg, Gran, Ofen oder Großwardein. Corrardus und Daniel, die Söhne von Johannes Latinus, werden 1231 als milites nostri Saxones Ultrasilvani bezeichnet, also zum einen als Ritter, zum anderen als Sachsen – ein gutes Beispiel für das rasche Zusammenschmelzen unterschiedlicher westlicher Siedler zur Gruppe der Siebenbürger Sachsen. Siedlungsforscher nehmen an, dass es vor dem Mongolensturm von 1241/42 zwei oder drei kleinere Ortschaften auf der Heltauer Gemarkung gab, eine wallonische und eine oder zwei deutsche, deren Bewohner sich nach der Zerstörung durch die Eindringlinge zusammengeschlossen hatten.

Zwischen den Urkunden von 1204 und 1323 bestehen offensichtlich Zusammenhänge: das Heltauer Haus des Nikolaus von Talmesch bezeichnet Karl Kurt Klein als Erbgräfensitz, im 13. Jahrhundert wohl jener des Johannes Latinus; wie er in Nikolaus‘ Besitz kam, ist nicht überliefert. Der Vater von Nikolaus erscheint in den Quellen mit den romanischen („lateinischen“) Namensformen Corrardus und Corlardus für Konrad, was auf eine wallonische Herkunft hindeutet. Ihm überlässt König Béla IV. im Jahr 1233 die strategisch wichtige terra Loysta (Ţara Loviştei) im Alttal, eine Schenkung, die Karl I. Robert von Anjou 1311 bestätigt. Nikolaus selbst ist Besitzer der verteidigungspolitisch ebenso wichtigen Burg Salgo zwischen Orlat und Sibiel. Ein Nachbar, magister Gocelinus, führt gleichfalls einen französisch-wallonisch klingenden Namen und vermacht 1223 seinen Besitz dem Zisterzienserkloster Kerz. Die Abtei selbst wurde von Mönchen aus Egresch, einem Tochterkloster des französischen Pontigny, gegründet, in dessen Nähe Jolanthe von Courtenay, die zweite Gattin von König Andreas II., aufgewachsen ist. Offensichtlich bestanden also Pläne, den Roten-Turm-Pass und die Gebirgswege Richtung Walachei durch Getreue aus dem Gefolge der Königin Jolanthe verteidigen zu lassen.

Nikolaus von Talmesch trägt den Titel comes, den die Gräfen führten, welche die erste Führungsschicht der Siebenbürger Sachsen gebildet haben, zunächst als Anführer, Betreuer und Beschützer der Siedler. Diese Gräfen dürften auch die Verträge mit dem ungarischen Königtum ausgehandelt haben, durch welche den Siebenbürger Sachsen Freiheiten und Rechte zugesichert wurden, die im „Andreanum“ von 1224 zusammengefasst sind; sie haben in der Folgezeit, trotz des den Siedlern zugesicherten Rechts auf freie Wahl der Amtsträger, eine vererbbare Führungsrolle auf Königsboden übernommen. Ihren Kindern haben sie weiteren sozialen Aufstieg durch Einheirat in ungarische Adelsfamilien ermöglicht.

Das kann man am Beispiel von Gräf Nikolaus sehr gut verdeutlichen. 1322 belohnte ihn König Karl I. Robert von Anjou für seine getreuen Dienste in den Kämpfen gegen die „Ungläubigen“ sowie gegen den aufständischen Wojwoden von Siebenbürgen Ladislaus Kán mit der unwiderruflichen Bestätigung seiner Besitzungen und jener seines Bruders Johannes, der in anderen Urkunden auch in der wallonischen Namensform Gyaninus erscheint. Johannes beteiligte sich offenbar am Aufstand der Siebenbürger Sachsen (1324-1331) gegen den König und fiel in Ungnade, Nikolaus aber nicht. Er erwarb weitere Besitzungen im Bergwerksort Klein-Schlatten im Siebenbürgischen Erzgebirge, im Zekeschgebiet und an den beiden Kokeln, unter anderen die Weinorte Seiden und Bulkesch. Da er keine männlichen Erben hatte, verschenkte Nikolaus seine Güter noch vor seinem 1340 erfolgten Tod an Familienmitglieder: an seine Gattin Elisabeth, eine Tochter des Vizewojwoden von Eisenberg/Rimetea; an seine mit dem Gräfen Nikolaus von Großau verheiratete Tochter; an seine Schwester Katharina, Gattin des Magisters Petrus Cseh, eines Adligen; an deren Tochter, verheiratet mit dem Gräfen Christian von Girelsau. In folgenden Gerichtsstreitigkeiten um das Erbe traten in den 1370er Jahren der siebenbürgische Bischof Gobelinus (auch ein französisch-wallonischer Vorname) und seine Geschwister auf, doch lassen sich die Verwandtschaftsbeziehungen angesichts fehlender Quellen nicht klären. Ein Kreis aber schloss sich: 1364 erwarb Johannes, Sohn des erwähnten Adligen Peter Cseh, die Besitzungen Seiden und Bulkesch; in der Urkunde wurde Peter als comes vulgo greb dicto de Gyznoyow (Comes von Heltau, in der Volkssprache Gräf genannt) ausgewiesen.

Der Ortsname Helta (Heltau) ist meiner Meinung nach – wie Heldsdorf im Burzenland – auf einen „Lokator“ namens Heltwin zurückzuführen. Im Umland von Hermannstadt sind derartige Namen, die auf einen Ortsgründer zurückzuführen sind, recht häufig, etwa Hermannstadt, Hammersdorf (nach Humbert), Neppendorf (nach Eppo), Girelsau (nach Gerhard) oder Hetzeldorf (nach Echelinus).

Die Sprachwissenschaftler leiten den Ortsnamen Hi’lt / Heltau allerdings von den alt- und mittelhochdeutschen Wörtern „Halde“ oder „halte“ ab. „Halde“ steht dabei wohl nicht für die Bergwerkshalde – es gab ja auch keine, sieht man von Legenden über den Bergbau am Götzenberg ab, sondern für eine sich neigende Fläche, was den geographischen Gegebenheiten von Heltau durchaus entspricht, mit den sanft zum Tal führenden Hängen, an denen der Ort liegt. Andere Forscher weisen aufs „Halten“ hin, was auch Hüten bedeute und begrifflich mit der Schweinehaltung in Verbindung gebracht werden könne, die sich im ungarischen Ortsnamen Nagydisznód (von disznó = Schwein) wiederfände. Wenngleich auch das „Siebenbürgisch-Sächsische Wörterbuch“ unter dem Stichwort „Heltau“ in die gleiche Kerbe schlägt und den Namen auf „mhd. Halte für (Schweine-) Stuhl. Weideplatz“ zurückführt, ziehe ich bei der Namensinterpretation verständlicherweise den zur Au sich neigenden Hang vor.

Auch der Name „Ruetel/Riuetel“, unter dem Heltau oder ein Ort auf dessen heutiger Gemarkung erstmals urkundlich erwähnt wird, führt letztlich zum Schwein, wenn wir der Argumentation von Walther Scheiner folgen: Dieser Name ließe sich zwar vom mittelhochdeutschen „riute“ (althochdeutsch „riuti“) für „durch Rodung ­urbar machen“ ableiten und würde somit zu berühmten Namensverwandtschaften wie mit dem „Rütli“ der Schweizer Eidgenossen führen; doch argumentiert der Forscher für die Lokalisierung Ruetels am Doisīfen (früher Danseifen), in der Gegend des Hochbergs und des „Gehonnes“ auch mit dem von hier Richtung Heltau fließenden Bäresbach. Dessen Namen aber leitet der Forscher nicht vom umgangssprachlich naheliegenden Bären, sondern vom Eber ab, was zum ungarischen „disznájó“, dem Schweinsbach verweist.

Gibt es Bezüge der Ortsnamen Heltau und Ruetel zu vergleichbaren Namensgebungen in Europa? Eine Suche auf Google Earth ergab 32 Orts- oder Flurnamen, die zu Held/Helt und Ruetel/Rutten passen. Aber führt dieser Weg auf der Suche nach dem Herkunftsgebiet der Heltauer wirklich zum Ziel? Gleich mehrere Regionen bieten sich wegen der Namenshäufung an, wenn man allein nach vergleichbaren Namen fahndet.

Auffallend ist es allerdings, dass fast alle Bezeichnungen im heutigen „Fünfländereck“ von Deutschland, Luxemburg, Niederlande, Belgien und Frankreich zu lokalisieren sind, das im Mittelalter zu den Erzbistümern Köln und Trier sowie dem Bistum Lüttich/Liége gehörte und die Gebiete zwischen beiden Ufern des Rheins, der Maas und der Mosel bis hin zur Nordsee umfasste, eben die Gebiete, aus denen wohl der Großteil der Vorfahren der Siebenbürger Sachsen ab der Mitte des 12. Jahrhunderts ausgewandert sein soll, auch die „Latini“ aus Heltau und Umgebung. Überlegungen über Verbindungen zum nordlibanesischen Städtchen Helta erübrigen sich aus naheliegenden Gründen, doch kann den einen oder die andere interessieren, wie man den Namen auf Arabisch schreibt, nämlich حلتا.

Man könnte Hinweisen auf Othée (Gemeinde Awans, Provinz Lüttich) und Rutton (eingemeindet zu Tongeren, Provinz Limburg) folgen, die sich beide nur wenige Kilometer entfernt von der belgischen Stadt Tongern/Tongeren befinden, allerdings durch die flämisch-wallonische Sprachgrenze getrennt werden und zu unterschiedlichen Provinzen gehören. In den mittelalterlichen Quellen führt Othée den Namen Helta (wo 1408 eine Schlacht zwischen den Bürgern von Lüttich und ihrem Bischof Johann von Bayern stattfand). Und Rutton erinnert zumindest phonetisch stark an Ruetel. Bemerkenswert ist hierbei auch, dass Tongern der erste Sitz des späteren Bistums Lüttich war, und dass einer der ersten Bischöfe dieser Diözese der hl. Servatius war, der auch auf dem alten, von Vincentius aus Hermannstadt um 1520 gemalten Altar der Heltauer Kirche dargestellt wird.

In der heute zwischen Belgien und den Niederlanden geteilten Provinz Limburg fällt außerdem der Name „Helden“ auf, eines Dorfes, das heute zur Gemeinde Peel en Maas gehört. In der Nähe dieses Ortes liegt auch Levdal; auf Heltauer Gemarkung gab es einen gleichlautenden Flurnamen, den Richard Huss mit einem untergegangenen Ort zwischen Heltau und Schellenberg identifiziert. Dann gibt es die Flurnamen Grote und Clejne Ruetel im Städtchen Oirschot, das in der mit Limburg benachbarten Provinz Nordbrabant liegt. Und schließlich gibt es – wie im siebenbürgischen Heltau – eine Walpurgiskirche im ostflandrischen Oudenaarde an der Schelde. Alles Zufall? Leider gibt es außer den Namensähnlichkeiten keine handfesten Belege, die eine Siedlungsbewegung aus dem Limburgischen nach Siebenbürgen belegen würden. Phonetik und Etymologie helfen kaum weiter, wenn die auf Namensähnlichkeiten fußende Theorie nicht von Realitäten anderer Art wie Urkunden, Chroniken oder sonstigen Quellen untermauert werden kann.

In seinem richtungweisenden Aufsatz „Geschichte – historische Wahrnehmung – Historiografie. Zur Herkunft und ethnischen Zugehörigkeit der ersten westlichen Siedler im mittelalterlichen Siebenbürgen“, erschienen in Spiegelungen 17 (2022), Heft 2, S. 115-131, plädiert der Klausenburger Forscher Adinel C. Dincă „für eine methodische Neuausrichtung bei der Beurteilung der ethnischen Zugehörigkeit und Herkunft der ersten westlichen Siedler im mittelalterlichen Siebenbürgen, indem verschiedene Arten von Quellen intensiv befragt und der Dialog zwischen älteren oder neueren Forschungen in Rumänien und insbesondere in Europa besser miteinander abgestimmt werden.“ Seine Vorschläge müssen beherzigt werden, wenn die Herkunftsforschung der Siebenbürger Sachsen nicht „in parahistorischen Plädoyers“ oder „im akademischen Diskurs erstarren“ will. Die vielfältige Gründungsgeschichte des mittelalterlichen Heltau kann dazu einen Beitrag leisten.

Konrad Gündisch

Schlagwörter: Heltau, Geschichte, Etymologie

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