29. August 2024
Angstgeflüster und Marterschreie: Heinz Ackers „Hexenszenen“ beim Sachsentreffen in Hermannstadt uraufgeführt
Das unwahrscheinlich vielseitige Programm des heurigen wichtigen Großen Sachsentreffens in Hermannstadt (800 Jahre Andreanum) hielt eine mit Spannung erwartete Premiere parat: Prof. Heinz Ackers vokal-instrumentales Hexenstück. Wer in den ruhigeren Stunden vor den drei Tagen des großen Trubels in der evangelischen Stadtpfarrkirche die ungemein expressiven, die Hexenverfolgung thematisierenden Monotypien der siebenbürgischen Malerin und Grafikerin Sieglinde Bottesch in Augenschein nahm, konnte sich durchaus vorstellen, dass Acker, der Vollblutmusiker, von der Bilderfolge fasziniert, schier dazu gedrängt wurde, sie zu vertonen.
In der total überfüllten Kirche wurde man vom ersten Takt an eines musikalischen Duktus gewahr, der vom verhaltenen Flüstern bis zu gewaltigen Akkord-Eruptionen die Zuschauer buchstäblich mitnahm auf eine Reise in die historisch gar nicht so weit entfernte Neuzeit Ende des 17. Jahrhunderts. Anhand alter Dokumente und recherchierten Archivmaterials von Hexenprozessen verfasste Acker selbst die Textunterlage des vokal-instrumentalen Melodrams, die Anklage und Verurteilung von drei ungerechtfertigterweise der Hexerei verdächtigten Bürgerinnen umfassend, einer der letzten Hexenprozesse in Hermannstadt.
Den 15 Szenen der Botteschbilder hat Acker zu vier Sätzen gebündelt. Ihnen ist ein verhaltener „Prolog“, ein Kyrie Eleison vorangestellt. Raunend wird anschließend (vom Sopran und Bariton) nachbarlich über den Gartenzaun hinweg die „Verdächtigung“ mitgeteilt, dass drei Ortsbewohnerinnen nachgesagt wird, mit dem Teufel im Bund zu stehen – ein auf drei unschuldige Frauen zielendes Gerücht mit vorhersehbaren fatalen Folgen. Gründe einer derartigen Beschuldigung waren neben eventuellen körperlichen Gebrechen der betreffenden Personen stattgefundene Unfälle im Ort, ein verheerender Hagelschlag, ein Krankheitsausbruch oder ganz einfach Neid und Missgunst.
Der zweite Satz, „Im Kerker“, bringt das verzweifelte Aufbegehren der Eingekerkerten, das Unbegreifliche der Anschuldigung, das Unheimliche der finsteren, von Fledermäusen bevölkerten Kellergewölbe zum Ausdruck und mündet, als einzig übriggebliebene Möglichkeit, in ein von den bedrohlichen Klängen des mittelalterlichen „Dies irae“ durchsetztes, flehendes Gebet.
Der dritte, in Scherzo-Manier verfasste Satz „Tanz mit dem Teufel“ gilt der angedichteten Buhlschaft der Hexen mit dem Teufel. Von schrillen Tönen und diabolischem Gefiedel begleitet, steigert sich die Szene zu einer höhnisch-lustvollen Tanzorgie mit dem Satan. Im finalen „Prozess“, einer heute unvorstellbaren inquisitorischen Inszenierung, verkündet der selbstgerechte Königsrichter nach Verhör und Folter die Anklage in betont empathieloser Diktion, die bei allen drei Frauen auf „Zauberei und Hexerei“ lautet. Die erste Angeklagte gesteht nach Peitschenhieben und anderer Folter, eine mit dem Teufel verbündete Hexe zu sein und wird dank des Geständnisses nicht verbrannt, sondern „bloß“ enthauptet. Der mitangeklagten Pfarrersgattin kann keine Schuld nachgewiesen werden, doch wird sie trotzdem exkommuniziert, die dritte Angeklagte aber wird dem Feuertod auf dem Scheiterhaufen zugeführt.
Der Text des Melodrams ist ein Amalgam von mittelalterlichem Deutsch, (gerichtlichen) lateinischen Termini der damaligen Zeit und idiomatischen Einsprengseln. Anhand eines zweisprachigen Programmheftes (deutsch-rumänisch) kann man dem Text des musikalischen Geschehens besser folgen. Der Komponist unterlegt ihn, wie er selbst sagt, mit einer „moderat zeitgenössischen und vielfach ausmalenden Tonsprache“. Für die elektronischen Beimengungen ist sein Sohn Michael Acker zuständig. Zwei Sänger treten, alle Rollen abdeckend, auf. Es ist der helle, modulationsfähige Sopran der lokal wohlbekannten Melinda Samson und der angenehme und ausdrucksstarke Bariton des zwar sächsischstämmigen, aber aus Deutschland angereisten Tim Lucas, dessen solistischer Auftritt vor einiger Zeit in Dinkelsbühl noch in bester Erinnerung ist.
In nur zwei Tagen hat Acker Musiker aus Rumänien (Hermannstädter Philharmonie) und Deutschland (Eybler-Trio aus Nürnberg) zu einem homogenen Klangkörper zusammengefügt. Da zeigt sich Ackers Erfahrung als Orchesterdirigent, die er sowohl in Hermannstadt als auch in Deutschland mit seinem vielfach preisgekrönten Bruchsaler Jugendsinfonieorchester sammeln konnte. Streicher, Holz- und Blechbläser sowie vielfaches Schlagzeug, erweitert mit Orgel- Celesta- und Harfenklängen sowie elektronischen Zusatzeffekten, bieten ein differenziertes Klangspektrum, das von trostloser Verzweiflung bis zu schaurigen Folterszenen reicht.
Nach dem Schlussakkord des fast jeden der Zuhörer sichtlich aufwühlenden Stückes und den entsprechenden Danksagungen an alle Mitwirkenden und diese Aufführung erst möglich machenden Gremien aus dem In- und Ausland fragte ich am Huetplatz vor dem Kirchenportal einen zufällig angetroffenen Berufsmusiker, wie er die eben erlebte Aufführung denn einstufe. Seiner Antwort: „Ja, ein bemerkenswertes Stück – für das Jahr 1924“ widersprach ich heftig und mit Nachdruck: Ist man denn nicht nach den Nachwirkungen der Schönbergschule und der diktatorisch eingeengten seriellen Musik längst in der Postmoderne angekommen? Ist nicht sattsam erwiesen, dass ein dogmenfreies Komponieren, ein gekonntes Vermengen von Stilen und Kompositionsweisen eher, weil eingängiger, als ein unduldsames, mathematisch konstruiertes Elaborat den Zuhörer ansprechen wird? Seit den erfolgreichen Aufführungen meist szenischer Werke während der letzten Jahrzehnte, jene eines Bernd Alois Zimmermann und Gottfried von Einem zum Beispiel, wie auch solche von Benjamin Britten, von Hans Werner Henze wie von dem, erst kürzlich verstorbenen Wolfgang Rihm, hat sich gezeigt, dass wichtig ist, dass die verwendete musikalische Bildsprache dem transportierten Text, dem zugrundeliegenden Inhalt entsprechen möge, durch sich selbst, aber auch durch die Illustrierung der Textvorlage den Zuschauer packen, ihn mit ihrem musikalischen Torrent mitreißen kann und soll. Und das ist diesem 40-minütigen vokal-instrumentalen Opus Heinz Ackers vollauf gelungen.
Den 15 Szenen der Botteschbilder hat Acker zu vier Sätzen gebündelt. Ihnen ist ein verhaltener „Prolog“, ein Kyrie Eleison vorangestellt. Raunend wird anschließend (vom Sopran und Bariton) nachbarlich über den Gartenzaun hinweg die „Verdächtigung“ mitgeteilt, dass drei Ortsbewohnerinnen nachgesagt wird, mit dem Teufel im Bund zu stehen – ein auf drei unschuldige Frauen zielendes Gerücht mit vorhersehbaren fatalen Folgen. Gründe einer derartigen Beschuldigung waren neben eventuellen körperlichen Gebrechen der betreffenden Personen stattgefundene Unfälle im Ort, ein verheerender Hagelschlag, ein Krankheitsausbruch oder ganz einfach Neid und Missgunst.
Der zweite Satz, „Im Kerker“, bringt das verzweifelte Aufbegehren der Eingekerkerten, das Unbegreifliche der Anschuldigung, das Unheimliche der finsteren, von Fledermäusen bevölkerten Kellergewölbe zum Ausdruck und mündet, als einzig übriggebliebene Möglichkeit, in ein von den bedrohlichen Klängen des mittelalterlichen „Dies irae“ durchsetztes, flehendes Gebet.
Der dritte, in Scherzo-Manier verfasste Satz „Tanz mit dem Teufel“ gilt der angedichteten Buhlschaft der Hexen mit dem Teufel. Von schrillen Tönen und diabolischem Gefiedel begleitet, steigert sich die Szene zu einer höhnisch-lustvollen Tanzorgie mit dem Satan. Im finalen „Prozess“, einer heute unvorstellbaren inquisitorischen Inszenierung, verkündet der selbstgerechte Königsrichter nach Verhör und Folter die Anklage in betont empathieloser Diktion, die bei allen drei Frauen auf „Zauberei und Hexerei“ lautet. Die erste Angeklagte gesteht nach Peitschenhieben und anderer Folter, eine mit dem Teufel verbündete Hexe zu sein und wird dank des Geständnisses nicht verbrannt, sondern „bloß“ enthauptet. Der mitangeklagten Pfarrersgattin kann keine Schuld nachgewiesen werden, doch wird sie trotzdem exkommuniziert, die dritte Angeklagte aber wird dem Feuertod auf dem Scheiterhaufen zugeführt.
Der Text des Melodrams ist ein Amalgam von mittelalterlichem Deutsch, (gerichtlichen) lateinischen Termini der damaligen Zeit und idiomatischen Einsprengseln. Anhand eines zweisprachigen Programmheftes (deutsch-rumänisch) kann man dem Text des musikalischen Geschehens besser folgen. Der Komponist unterlegt ihn, wie er selbst sagt, mit einer „moderat zeitgenössischen und vielfach ausmalenden Tonsprache“. Für die elektronischen Beimengungen ist sein Sohn Michael Acker zuständig. Zwei Sänger treten, alle Rollen abdeckend, auf. Es ist der helle, modulationsfähige Sopran der lokal wohlbekannten Melinda Samson und der angenehme und ausdrucksstarke Bariton des zwar sächsischstämmigen, aber aus Deutschland angereisten Tim Lucas, dessen solistischer Auftritt vor einiger Zeit in Dinkelsbühl noch in bester Erinnerung ist.
In nur zwei Tagen hat Acker Musiker aus Rumänien (Hermannstädter Philharmonie) und Deutschland (Eybler-Trio aus Nürnberg) zu einem homogenen Klangkörper zusammengefügt. Da zeigt sich Ackers Erfahrung als Orchesterdirigent, die er sowohl in Hermannstadt als auch in Deutschland mit seinem vielfach preisgekrönten Bruchsaler Jugendsinfonieorchester sammeln konnte. Streicher, Holz- und Blechbläser sowie vielfaches Schlagzeug, erweitert mit Orgel- Celesta- und Harfenklängen sowie elektronischen Zusatzeffekten, bieten ein differenziertes Klangspektrum, das von trostloser Verzweiflung bis zu schaurigen Folterszenen reicht.
Nach dem Schlussakkord des fast jeden der Zuhörer sichtlich aufwühlenden Stückes und den entsprechenden Danksagungen an alle Mitwirkenden und diese Aufführung erst möglich machenden Gremien aus dem In- und Ausland fragte ich am Huetplatz vor dem Kirchenportal einen zufällig angetroffenen Berufsmusiker, wie er die eben erlebte Aufführung denn einstufe. Seiner Antwort: „Ja, ein bemerkenswertes Stück – für das Jahr 1924“ widersprach ich heftig und mit Nachdruck: Ist man denn nicht nach den Nachwirkungen der Schönbergschule und der diktatorisch eingeengten seriellen Musik längst in der Postmoderne angekommen? Ist nicht sattsam erwiesen, dass ein dogmenfreies Komponieren, ein gekonntes Vermengen von Stilen und Kompositionsweisen eher, weil eingängiger, als ein unduldsames, mathematisch konstruiertes Elaborat den Zuhörer ansprechen wird? Seit den erfolgreichen Aufführungen meist szenischer Werke während der letzten Jahrzehnte, jene eines Bernd Alois Zimmermann und Gottfried von Einem zum Beispiel, wie auch solche von Benjamin Britten, von Hans Werner Henze wie von dem, erst kürzlich verstorbenen Wolfgang Rihm, hat sich gezeigt, dass wichtig ist, dass die verwendete musikalische Bildsprache dem transportierten Text, dem zugrundeliegenden Inhalt entsprechen möge, durch sich selbst, aber auch durch die Illustrierung der Textvorlage den Zuschauer packen, ihn mit ihrem musikalischen Torrent mitreißen kann und soll. Und das ist diesem 40-minütigen vokal-instrumentalen Opus Heinz Ackers vollauf gelungen.
Kurt Thomas Ziegler
Schlagwörter: Sachsentreffen 2024, Heinz Acker, Uraufführung, Musik
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