10. September 2024

Flucht und Evakuierung aus Nordsiebenbürgen 1944-1945/Neue Reihe mit ausgewählten Texten

In einer neuen ganzjährigen Reihe der Siebenbürgischen Zeitung veröffentlicht der Historiker Horst Göbbel von September 2024 bis September 2025, vorwiegend anhand von Zeitzeugenberichten, einige Fakten und Urteile zur Flucht und Evakuierung 1944 und deren Folgen.
Nach der Niederlage von Stalingrad (Januar/Februar 1943) folgte der verlustreiche Rückzug der deutschen Streitkräfte praktisch an allen Fronten. Rumänien trat am 23. August 1944 aus dem Bündnis mit Hitler aus und kehrte die Waffen gegen Deutschland. Die Gefahr für Siebenbürgen bestand nun darin, von der Roten Armee überrollt zu werden. In Zusammenarbeit mit der Gebietsführung im damals ungarischen Nordsiebenbürgen (Robert Gassner, Pfr. Dr. Carl Molitoris) schaffte die Wehrmacht die Evakuierung der deutschen Bevölkerung (rund 35.000 Menschen) mit Trecks, Eisenbahnzügen und Lastkraftwägen aus 34 Orten des Nösnerlandes (Bistritzer Gegend), elf des Reener Ländchens und sieben Orten im Kokelgebiet (Draas, Felldorf, Katzendorf, Maniersch, Rode, Zendersch, Zuckmantel). Nach mehrwöchiger beschwerlicher Fahrt wurden die Flüchtlinge Ende Oktober/Anfang November im Reichsgebiet (vorwiegend in Österreich und im Sudetenland) einquartiert. Beim Herannahen der Sowjets flohen mehrere Gemeinden besonders aus Niederösterreich nach Westen, der größte Teil blieb nach dem Krieg in der amerikanischen Besatzungszone Österreichs. Etwa 6.000 wurden von den Sowjets nach Siebenbürgen in Marsch gesetzt und erfuhren Enteignung, Zwangsarbeit, Entrechtung, kommunistische Unterdrückung. Nach schwierigem Beginn auch im Westen (besonders in Österreich, wo unsere Landsleute jahrelang rechtliche Unsicherheit und Ablehnung erfuhren) fanden die Evakuierten im Laufe der Jahrzehnte ihren Platz als geachtete Bürger ihrer neuen Heimat.

Krieg und Frohsinn – geht das?

In der Kirchenchronik von Weißkirch bei Bistritz schreibt 1943 der Pfarrer: „Ende Januar ereignet sich der erste, ernste Rückschlag dieses Krieges. Bei Stalingrad werden einige deutsche und rumänische Divisionen von den Russen eingeschlossen und vollkommen aufgerieben. Die Deutschen müssen sich durch diesen Ausfall an einigen Frontabschnitten zurückziehen. Wir hoffen und vertrauen jedoch zuversichtlich auf Gottes weitere Hilfe.“ Im Herbst desselben Jahres schreibt er: „Die Ernte dieses Jahres ist gut gewesen. Insbesondere sind auch Obst und Wein sehr gut geraten, so dass die Gemeinde aus übervollem Herzen danken kann, für den reichen Segen Gottes. Der Nachmittag des Erntedankfestes vereinigt die ganze Gemeinde auf dem Platz hinter der Schule zu fröhlichem Beisammensein.“ Maria Schneider kommentiert Jahrzehnte später dazu: „Es schien, als hätten wir alle Scheuklappen vor den Augen. Unsere Männer waren im Krieg und wir waren fröhlich beisammen, weil wir naiv und gutgläubig noch immer an den Sieg unseres hoch gelobten deutschen Mutterlandes glaubten. Glauben wollten.“

Quelle: Monika Görig, Maria Schneider: Das Ende der Flucht aus Siebenbürgen, Steyr 2008, S. 12ff
Textauswahl: Horst Göbbel

Schlagwörter: Flucht und Evakuierung, Nordsiebenbürgen, Zeitzeugenberichte

Bewerten:

16 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.